64. Der Tod des heiligen Lambert.

[91] Bovy I, 138, 149. Nach einer alten Legende.

Mündliche Erzählungen.


Der heilige Bischof Lambert wollte nicht in die Verbindung Pipins mit Algaiden einstimmen, strafte ihn stets darüber und ermahnte ihn, seine rechtmäßige Gattin Plectrudis wieder zu sich zu nehmen. Aber alles war vergebens, denn Pipin war zu sehr von den Reizen der schönen Algais umstrickt.

Diese aber sann auf Rache an dem frommen Bischofe, ging am 15. September des Jahres 674 nach Bolsee und sandte von dort aus einen Boten an ihren Bruder Dodon, der zu Avroy in dem Hause ihres Vaters wohnte, damit derselbe alsbald zu ihr komme. Andere Boten schickte sie zu den Herren von Emburg, Sagin, Karl von Ramet, Ebruck und andern, und als diese alle bei ihr sich versammelt hatten, trug sie ihnen auf, den heiligen Lambert zu tödten, und versprach ihnen dafür große Schätze.

Die Mörder kamen mit Anbruche des Tages da zusammen, wo nun das Kloster Sankt Lambert steht, um dort des Bischofes zu warten. Als sie ihn aber nicht kommen sahen, stiegen sie nieder ins Thal zur Einsiedelei, in der Lambert jeden Morgen die Messe las.

Der Diener des heiligen Bischofes bemerkte die Mörder und kündete seinem Herrn ihr Nahen, doch Lambert sprach ruhig: »Wenn mein letzter Tag gekommen ist, dann gebe Gott mir Muth, damit ich sterbe als ein guter und getreuer Martyrer.« Und mit diesen Worten zog er sein Meßgewand an und ging zum Altare.

Da stürmte Dodon mit den andern heran zur Siedelei, zerbrachen die Thore und ermordeten Peter und Andolet, die Neffen des Bischofes. Als sie ihn selbst[92] nicht fanden, stieg einer von ihnen auf das Dach der Kapelle und sah, wie der Heilige vor dem Altare im Gebete lag. Alsbald griff der Gottlose zu seiner Lanze und schleuderte sie hinunter, des Bischofes Leib durchbohrend.

Nachdem sie noch die Kapelle alles Schmuckes beraubt, zogen sich die Mörder nach Publemont zurück, wo Dodon sie ihre Beute theilen hieß. Darüber konnten sie sich jedoch nicht einigen, begannen zu kämpfen und tödteten alle einander.

Algais harrte inzwischen auf dem Thurme von Ougeye der Boten, welche ihr Lamberti Tod verkünden sollten. Als sie aber so am Fenster saß und in die Ferne schaute, kamen durch die Luft plötzlich viele Tropfen Blutes geflogen und fielen auf die Steine der Fensterbrüstung nieder. Erschrocken griff Algais nach einem Tuche, um sie wegzuwischen, aber das war un möglich; sie blieben da bis auf den heutigen Tag und werden von den Gläubigen noch in großer Verehrung gehalten.

Dodon, der Bruder der Algais, hatte sechs Finger an einer Hand, und Gott strafte sein ganzes Geschlecht mit dieser Mißform. Noch jetzt ist ein Kind in dem Lütticherlande verachtet, wenn es sechs Finger hat, denn man glaubt, daß es aus dem Stamme Dodons sei.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 91-93.
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