[250] 43. Der Herr vom Berg und Johannes Blessom

[250] Johannes Blessom war einmal unten in Kopenhagen und führte einen Prozeß, denn hierzulande konnte man sich in jenen Zeiten kein Recht verschaffen; wenn man zu seinem Recht kommen wollte, so blieb einem nichts anderes übrig, als nach Kopenhagen zu reisen. Das hatte Blessom getan, und das tat nach ihm auch sein Sohn, denn der hatte auch einen Prozeß. Also am Weihnachtsabend hatte Johannes mit den hochmögenden Herren geredet und seine Geschäfte erledigt und ging nun trübsinnig auf der Straße, denn er hatte Heimweh. Wie er so ging, kam ein Mann aus Vaage an ihm vorbei in weißer Bluse, mit einem Rucksack und Knöpfen, groß wie Silbertaler. Es war ein großer, gewichtiger Mann. Ihm schien, als sollte er ihn kennen, aber er ging sehr schnell.

»Du gehst aber sehr schnell«, sagte Johannes.

»Ja, ich habe aber auch Eile«, antwortete der Mann, »ich muß noch heute abend nach Vaage.«

»Wenn ich nur auch dahin könnte!« seufzte Johannes.

»Du kannst bei mir auf den Kufen stehen«, sagte der Mann, »ich habe nämlich ein Pferd, das nur zwölf Schritt zu einer Meile braucht.«

Also machten sie sich auf, und Blessom hatte gerade genug zu tun, sich auf den Schlittenkufen festzuhalten, denn es ging durch Wetter und Wind, und er konnte weder Himmel noch Erde sehen.

Einmal machten sie halt und ruhten aus. Wo es war, konnte er nicht genau sagen, erst als sie wieder weitereilten, glaubte er einen Totenkopf auf einer Stange zu sehen. Als sie ein Stück Wegs weiter waren, fing Johannes Blessom zu frieren an.

»O weh, ich habe meinen einen Fäustling vergessen, da wo wir Rast machten; jetzt friere ich an meiner Hand!« sagte er.

»Das mußt du eben in Kauf nehmen, Blessom«, sagte der[251] Mann. »Wir sind nicht mehr weit von Vaage; als wir Rast machten, hatten wir den halben Weg.«

Als sie über die Finnebrücke kamen, machte der Mann halt und setzte Johannes ab.

»Nun hast du nicht mehr weit nach Hause«, sagte er, »aber du mußt mir versprechen, daß du dich nicht umschaust, wenn du ein Brausen hörst und einen Lichtschein siehst.«

Das versprach Johannes und dankte für die Extrapost. Der Mann fuhr seiner Wege, und Johannes ging über den Hügel seinem Hof zu. Wie er so ging, hörte er ein Brausen im Jutulsberg, und der Weg vor ihm wurde plötzlich so hell, daß man hätte eine Nadel vom Boden aufheben können. Er dachte nicht daran, was er versprochen hatte, sondern drehte den Kopf, um zu sehen, was das sei. Da stand die Riesenpforte im Jutulsberg weit offen, und es schien und leuchtete heraus wie von vielen tausend Lichtern. Mitten darin stand der Riese, und das war der Mann, mit dem er gefahren war. Aber von der Zeit an saß ihm der Kopf schief, und so blieb er, solange er lebte.

Quelle:
Stroebe, Klara: Nordische Volksmärchen. 2: Norwegen. Jena: Eugen Diederichs, 1922, S. 250-252.
Lizenz:
Kategorien: