Eine Freiergeschichte.

[60] Es war einmal ein Bursch, der ging aufs Freien aus. Da kam er unter anderm auch zu einem Kathen, wo die Leute in purer Armuth und Dürftigkeit lebten. Als aber der Freier kam, wollten sie gern wohlhabend scheinen, kannst Du glauben. Der Mann hatte einen neuen Ärmel in seine Jacke bekommen. »Setz Dich nieder!« sagte er zu dem Freier: »aber's sieht hier überall so stäubig aus!« und damit ging er umher und wischte und stäubte mit seinem neuen Jackenärmel überall auf den Bänken und Tischen herum; den andern Arm aber hielt er auf den Rücken. Die Frau hatte einen neuen Schuh bekommen, und mit dem stieß sie an alle Bänke und Stühle. »Es liegt hier so Viel herum«, sagte sie: »es sieht hier so unordentlich aus.« Darauf riefen sie die Tochter, sie sollte hereinkommen und aufräumen. Die hatte eine neue Mütze bekommen und steckte den Kopf zur Thür herein und nickte: »Ich kann denn doch auch nicht überall sein«, sagte sie. Ja, das waren rechte Wohlstandsleute, zu denen der Freier gekommen war.

Quelle:
Asbjørnsen, P. [C.]/Moe, J.: Norwegische Volksmärchen 1-2. Berlin: Hans Bondy, [1908], S. 60-61.
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