Von dem Burschen,
der zu dem Nordwind ging und das Mehl zurückforderte.

[33] Es war einmal eine alte Frau, die hatte einen Sohn, und da sie schon sehr elend und gebrechlich war und nicht mehr recht fortkonnte, sollte der Bursch für sie aufs Stabur gehen und Mehl holen. Der Bursch ging auch hin; als er aber wieder die Treppe hinunterstieg, kam der Nordwind gestoben, nahm ihm das Mehl weg und fuhr damit durch die Luft. Der Bursch ging noch einmal aufs Stabur; als er aber die Treppe hinunterstieg, kam der Nordwind abermals gestoben und nahm ihm das Mehl weg, und eben so geschah es auch das dritte Mal. Das verdroß den Burschen, und er meinte, es wäre Unrecht, daß der Nordwind ihm so mitspielen sollte, und er gedachte daher, ihn aufzusuchen und sein Mehl zurückfordern.

Er machte sich nun auf; aber der Weg war lang, und er ging und ging, und endlich kam er zum Nordwind. »Guten Tag!« sagte der Bursch. »Guten Tag!« sagte der Nordwind, und seine Stimme war so grob: »Was willst Du?« – »O«, sagte der Bursch: »ich wollte Dich bitten, mir das Mehl wiederzugeben, das Du mir auf der Staburstreppe nahmst; denn Wenig haben wir nur, und wenn Du[34] uns das Bischen, das wir haben, noch dazu nimmst, so wird's nichts Anders, als Hungerpfotensaugen.« – »Ich habe kein Mehl«, sagte der Nordwind: »aber weil es Dir so dürftig geht, will ich Dir ein Tuch geben, das schafft Dir Alles, was Du Dir nur zu essen wünschest, wenn Du bloß sagst: ›Tuch, deck dich mit allerlei köstlichen Speisen!‹«

Damit war der Bursch sehr wohl zufrieden. Weil aber der Weg so lang war, daß er nicht in einem Tage nach Hause kommen konnte, kehrte er bei einem Gastwirth an der Landstraße ein. Als nun die Gäste, die schon vor ihm gekommen waren, zu Abend essen wollten, breitete der Bursch sein Tuch auf einem Tisch aus, der in der Ecke stand, und sprach dann: »Tuch, deck dich mit allerlei köstlichen Speisen!« Kaum hatte er das gesagt, so that das Tuch seine Schuldigkeit. Da meinten Alle, besonders die Wirthsfrau, das wäre ein gar herrliches Tuch. Wie es nun Nacht geworden war, und Alle lagen und schliefen, schlich sich die Wirthsfrau herbei und stipitzte das Tuch und legte dann ein andres an die Stelle, das eben so aussah, wie jenes, aber das konnte nicht einmal mit trocknem Brod aufdecken.

Als der Bursch am Morgen erwachte, nahm er sein Tuch und ging damit fort, und an diesem Tage kam er nach Hause zu seiner Mutter. »Nun«, sagte er: »bin ich beim Nordwind gewesen; das ist ein recht schicklicher Mann, denn er hat mir dieses Tuch gegeben, und wenn ich bloß sage: ›Tuch, deck dich mit allerlei köstlichen Speisen!‹ so bekomme ich Alles, was ich mir nur an Essen wünsche.« – »Ja, das mag wahr sein«, sagte die Mutter: »aber ich glaub' es nicht, eh' ich es sehe.« Sogleich stellte der Bursch einen Tisch hin, legte das Tuch darauf und sprach: »Tuch, deck' dich mit allerlei köstlichen Speisen!« Aber das Tuch deckte sich nicht einmal mit einem Stück Brod.

»Es ist kein andrer Rath, ich muß wieder zum Nordwind«, sagte der Bursch und machte sich auf den Weg. »Guten Tag!« sagte er, als er beim Nordwind ankam. »Guten Tag!« sagte der Nordwind: »Was willst Du?« – »Ich wollte gern Ersatz für's Mehl haben, das Du mir nahmst«, sagte der Bursch: »denn das Tuch, das[35] Du mir gegeben hast, taugt nichts.« – »Ich habe kein Mehl«, sagte der Nordwind: »aber da hast Du einen Bock, der macht lauter Goldducaten, wenn Du bloß sagst: ›Bock, mach Gold!‹« Damit war der Bursch wohl zufrieden; weil er aber so weit nach Hause hatte, daß er an einem Tage nicht hinkommen konnte, nahm er wieder Nachtherberge bei dem Gastwirth. Eh' er aber Etwas zu essen verlangte, probirte er seinen Bock, um zu sehen, ob es auch wahr sei, was der Nordwind ihm gesagt hatte; die Sache verhielt sich aber wirklich so. Als der Gastwirth das Experiment sah, meinte er, das wäre ein prächtiges Thier; und wie der Bursch eingeschlafen war, holte er sich den Bock und setzte einen andern an die Stelle, der machte aber keine Goldducaten.

Am andern Morgen ging der Bursch weiter, und als er nach Hause zu seiner Mutter kam, sagte er: »Der Nordwind ist dennoch ein guter Mann; er hat mir jetzt einen Bock gegeben, der macht lauter Goldducaten, wenn ich bloß sage: ›Bock, mach Gold!‹« – »Das könnte wahr sein«, sagte die Mutter: »aber es ist wohl nur wieder Schnickschnack, und ich glaub' es nicht, eh' ich es sehe.« – »Bock, mach Gold!« sagte der Bursch; aber es war kein Gold, was der Bock machte.

Da ging der Bursch wieder zum Nordwind und sagte, der Bock tauge nichts, und er wolle Ersatz für's Mehl haben. »Ja, nun hab' ich Dir nichts Anders zu geben«, sagte der Nordwind: »als den alten Stock, der da in der Ecke steht, der hat aber die Eigenschaft, daß, wenn Du sagst: ›Stock, schlag' zu!‹ er so lange zuschlägt, bis Du wieder sagst: ›Stock, steh' still!‹« – Weil nun der Weg nach Hause wieder nicht kurz war, so kehrte der Bursch auch an dem Abend wieder bei dem Gastwirth ein. Da er aber wohl so halbweges begreifen konnte, wie es mit dem Tuch und dem Bock zugegangen war, streckte er sich sogleich auf die Bank hin und fing an zu schnarchen. Der Wirth, der sich wohl denken mochte, daß der Stock zu Etwas tauge, suchte einen andern hervor, der diesem ganz ähnlich war und wollte ihn an die Stelle setzen, denn er glaubte nicht anders, als daß der Bursch schliefe. Wie aber der Gastwirth den Stock wegnehmen wollte, rief der Bursch: »Stock, schlag' zu!«[36] Der Stock auf den Gastwirth los, daß dieser über Tisch und Bänke fuhr und rief und bat: »Ach Herrgott! Herrgott! laß bloß den Stock wieder aufhören, sonst schlägt er mich noch todt! Ich will Dir auch gern Dein Tuch und Deinen Bock wiedergeben.« Als es dem Burschen schien, daß der Gastwirth wohl Genug hätte, rief er: »Stock, steh' still!« Er nahm nun sein Tuch und steckte es in die Tasche, band dem Bock eine Schnur um die Hörner und nahm den Stock in die Hand, und fort ging er mit Allem, bis er nach Hause zu seiner Mutter kam; und nun hatte er guten Ersatz für's Mehl bekommen.

Quelle:
Asbjørnsen, P. [C.]/Moe, J.: Norwegische Volksmärchen 1-2. Berlin: Hans Bondy, [1908], S. 33-37.
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