Sage von den Goldbergen bei Neidenburg.

[132] Auf dem höchsten Gipfel der Goldberge (nordöstlich von Neidenburg) steht eine vielhundertjährige Kiefer, von der aus man den ewig grünen Forst ringsum weithin übersehen kann. Bei dieser Kiefer hat sich früher öfters die schönste Jungfrau gezeigt, welche der Erlösung harrend aus ihrem unterirdischen Palaste durch eine brunnenartige, noch jetzt vorhandene Einsenkung sich zum Tageslicht emporhob. Von Liebreiz und köstlichem Geschmeide strahlend, ließ sie sich auf einen Kiefernstubben nieder, um ihr langes goldrothes Haar mit goldenem Kamme zu ordnen. Wer sie sah, erbebte vor der wunderbaren Schönheit, und Niemand wagte es, sich ihr zu nahen. Ein Jüngling, der gedankenvoll vor sich hinwandelnd, ohne es zu merken, ihr ganz nahe gekommen war, fiel, sobald er sie gewahr wurde, in seligem Entzücken vor ihr auf die Kniee. Sie sprach: Erlösest Du mich aus meiner Einsamkeit, so fordere von mir, was Du willst, zum Lohne. Sie bot ihm ihr Geschmeide; sie bot ihm auch wunderbare Habe aus ihrem unterirdischen Palaste: drei fette Schweine mit dem schweren goldenen Troge, aus dem sie gefüttert würden, wenn es ihm gelänge, denselben ans Sonnenlicht zu bringen, drei schneeweiße Hühner, die nur goldene Eier legten; sie wird ihm endlich (wie aus ähnlichen Sagen zu schließen ist) auch ihre Hand geboten haben. Der Jüngling besinnt sich nicht lange, hebt die Jungfrau auf den Rücken und will sie davon tragen. Aber in demselben Augenblick sieht er sich von sämmtlichen Thieren des Goldberges umringt und kann nicht von der Stelle. Die Jungfrau belehrte ihn: Das Werk meiner Erlösung wird Dir gelingen, wenn Du ohne Furcht jedes der hier versammelten Thiere küssest. Er folgt dem Befehle, faßt sich ein Herz und küßt die Thiere, wie sie ihm nahen, Rehe, Hasen, Eichkätzchen etc., Eulen, Spechte, Habichte, Finken etc., Schlangen, Blindschleichen, Eidechsen, Ratten, Salamander, Würmer, Käfer etc. etc. Als er mit seiner Arbeit fertig zu sein meinte, kroch noch eine große ekelhafte Kröte, ganz von Schorf und Aussatz bedeckt, mit rothblinzenden Augen heran. Da geht ihm doch sein Muth zu Ende und, statt sie zu küssen, ruft er: Hat denn der Teufel auch dich noch hier? (A ieszizes to i ciebie tu diali maią?). Klagend sank die Jungfrau in die Tiefe hinab: Jetzt hast Du mich aber auch in alle Ewigkeit verflucht, jetzt muß ich alle Hoffnung aufgeben, je gerettet zu werden.[132]

Der Erlösungsversuch war an einem Sonnabende gemacht und verunglückt, am Sonntage darauf zeigten sich an der Stelle, wo die Jungfrau ihr Haar gekämmt hatte, drei schwarze Jünglinge, die jedes menschliche Wesen von dem Berge verscheuchten. Die Jungfrau aber hat seit jener Zeit kein menschliches Auge wiedergesehen.17

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Mündlich aus Wallendorf.

Quelle:
Toeppen, M.: Aberglauben aus Masuren, mit einem Anhange, enthaltend: Masurische Sagen und Mährchen. Danzig: Th. Bertling, 1867, S. 132-133.
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