36. Das goldene Kegelspiel auf Ruchenberg.

[95] Von den Wolken, von den dunkeln,

Ist verdeckt der Sterne Funkeln,

Stürme ziehen ein und aus;

Rauschend geh'n des Waldes Bäume;

Durch die finstern hohlen Räume

Eilt ein Bauer schnell nach Haus! –
[95]

Sieh' was ist das für ein Glänzen,

Das in lichten Feuertänzen

Lustig durch die Aeste dringt,

Horch' was ist's, das in so schönen

Wundervoll metall'nen Tönen

Durch die Lüfte lockend klingt. –


Forschend strebt er hin zur Stelle,

Wo das Tönen, wo die Helle

Durch die dunkeln Räume floß;

Dringend durch des Waldes Dichte

Sah er bald von gold'nem Lichte

Rings umflirrt das alte Schloß. –


Bei dem moosigen Gemäuer,

In dem wundervollen Feuer

Standen dort der Ritter drei,

Gold'ne Kegel leuchtend lagen

Auf dem Rasen umgeschlagen,

Und die Kugeln auch dabei. –


Und die Drei, als sie die Kegel

Aufgestellt in schöner Regel,

Fingen neues Spiel jetzt an.

Schwangen durch die Lust die blanken

Kugeln, daß die Kegel sanken

Klirrend auf den grünen Plan. –


Und sie spielten lange, lange,

Und beim heitern hellen Klange,

Bei des Goldes lichtem Schein,

Schlich bei wonnevollem Schauer

In das Herz dem armen Bauer

Heiße Spielbegier sich ein. –


Immer näher, näher kam er,

Eine von den Kugeln nahm er,

Stille schauten Jene zu;[96]

Und von neuem Muth getragen

Ward des Bauern keckes Wagen

Bei der finstern Ritter Ruh'. –


Golden blitzten dort die Kegel,

Aufgestellt in schöner Regel,

Und er fing zu spielen an;

Warf mit Kraft den spiegelblanken

Ball hin, daß die Kegel sanken

Klingend auf den grünen Plan. –


Doch, so wie er ihn geschwungen,

Wie die Kegel nun erklungen,

Scholl auf einmal groß' Geschrei;

Und die Kugeln und die blanken

Kegel in die Erde sanken,

Und die Ritter alle Drei. –

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 95-97.
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