Das Todtenvolk im Prätigäu.

[5] Einst wüthete die Pest im Prätigäu und eine angesehene Familie flüchtete sich in ein entlegenes Berggut, einen Knecht zurücklassend. Diesen ließ die Familie von Zeit zu Zeit fragen, ob sie nicht bald wieder heimkehren könne, er aber warnte selbst dann noch davor, als längere Zeit kein Pestfall mehr vorgekommen war. – Endlich, nachdem ein altes Weib noch daran gestorben war, ließ er die Herrschaft heimkehren und erzählte dann, er habe kurz vor dem Ausbruche der Pest eines Morgens früh beim Füttern der Pferde ein sonderbares Gemurmel, wie Bienengesumse, vom Dorfe her gehört, er sei unter die Thüre getreten, um zu schauen, was es gebe, und habe dann das Todtenvolk, einen langen Zug noch lebender Leute gesehen, dem Kirchhofe zuwallen, und zwar ganz in der Reihenfolge, wie sie später an der Pest verstorben seien. Zuletzt sei dann noch, eine ziemliche Strecke hinter den Andern, jenes alte Weib nachgehumpelt, welches die Seuche zuletzt hinraffte. Deßwegen habe er bis zu deren Bestattung die Herrschaft vor der Rückkehr gewarnt.

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 5.
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