Das verhexte Vieh.

[62] Vor vielen Jahren lebte in Ruis im Oberlande ein Schuster, der eine halbe Stunde vom Dorfe entfernt ein Gütlein, »Sereins« genannt, besaß, von dem er zwei Kühe ernähren konnte. Als dieser nun eines Winters auf dem Gute fütterte und an einem schönen Morgen dahin ging, fand er im Stalle eine fremde Kuh mit einer seiner beiden Kühe in einer Kette beisammen. Er suchte lange Zeit sie zu lösen, doch vergebens. Da nahm er vor Zorn einen Bundhaken und schlug die fremde Kuh so, daß sie umfiel. Nun wurde aber dem armen Pechvogel Angst, und er rannte zum Stall hinaus, kam aber bald wieder in denselben zurück; aber siehe, die fremde Kuh war nicht mehr da; sie war verschwunden und blieb verschwunden. – Nicht länger als eine halbe Stunde ging es, so kam sein Bube zu ihm und berichtete ihm die Mähre, die alte »Billa«, die in einem schlechten Häuschen am Ende des Dörfchens wohnte, sei, man wisse nicht wie und von wem, so an den Kopf geschlagen worden, daß sie eben daran gestorben sei. Nun wußte der gute Schuster, wie er dran war mit der fremden Kuh, schwieg aber mäuschenstill davon viele Jahre lang.

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 62.
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