Das wetterkundige Fänggenmannli.

[27] Eine Frau auf Camana war just am Käsen und hatte gerade den Kessel mit der Milch über dem Feuer, und die Milch fing an heiß zu werden. Da flog plötzlich ein Lederkäpplein in die Küche hinein. Sie trat unter die Hausthüre, um zu sehen, wer da sei, und da saß ein Fänggenmannli vor der Thüre; das bat sie um einen Trunk Milch, aber doch ja geschwinde, es habe noch weit heim, und es drohe ein furchtbares Gewitter. Die Frau lachte und wollte es nicht glauben; der Himmel war klar und die Familie der Frau vollauf mit der Heuernte beschäftigt. Gleichwohl schöpfte sie Milch aus dem Kessel und brachte sie dem Mannli; das sagte aber: »Ei Frau, gebt mir doch ein größeres Gebsi, damit die Milch geschwinder kühl wird.« Die Frau willfahrte und lachte, als sie sah, wie das Mannli in größter Eile die Milch in dem größern Geschirr umschwenkte und[27] wie es hastig hineinblies, damit sie schneller erkalte, wie es sie nach und nach in gierigen Zügen hinunterschlürfte und dann in größter Eile davon- und den Berg hinanlief. Bald hätte es auf der eiligen Flucht sein Lederkäpplein vergessen, wenn die Frau es ihm nicht nachgeworfen hätte. – Die Frau käsete vorwärts, aber schon nach einigen Minuten zog eine schwere Gewitterwolke über das Gletscher bachhorn herüber, und bald fing es an zu blitzen und zu donnern und über der Familie der Frau und ihr Heu in Strömen zu regnen.

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 27-28.
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