Der Geist auf Brün.

[45] Zur Gemeinde Valendas gehört der Hof Brün hoch am Berge droben, und dieser Hof theilt sich in Vorder- und Hinter-Brün. – Ueber Hinter-Brün dehnt ein unheimlich-dunkler Wald sich aus.

In diesem Walde soll vor Zeiten ein Mann, ein Schreiner von Gewerbe, wegen einer Marche seinen Nachbarn erschlagen, und den Leichnam entsetzlich zerstümmelt haben. – Um die Mordthat zu verdecken, fertigte der Mörder aus einem dicken Tannenstamm, durch Aushöhlen, einen Sarg, legte den Erschlagenen hinein und machte die Höhlung wieder zu. Es war dieß zur Zeit, als der Bergbach hoch ging, und das Wasser führte den Sarg durch die Schlucht ins Carrèra-Tobel, bis dorthin, wo eine Brücke die steinigen Ufer vereint.

Der Mörder kam bald nach seiner Unthat beim Holzfällen um's Leben, und muß von dieser Zeit an geisten. Man hört ihn in finstern Nächten bald da, wo der Mord geschehen, bald dort, wo er den Sarg gezimmert, weiter zimmern und hacken, daß man es selbst in den umliegenden Höfen hört. Er muß immer neue Särge machen, und hat er einen Tannenstamm sauber ausgehöhlt, wirft er ihn ins Tobel hinab, und jauchzt dazu, daß es schauerlich wiederhallt. – Aber bald nimmt ihm der reißende Wildbach sein Machwerk fort, in den Rhein, und der Aermste beginnt, ächzend und wehklagend, einen neuen Stamm auszuhöhlen.

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 45.
Lizenz:
Kategorien: