Die weiße Kunst.

[64] Im Münsterthale waren die Leute im besten Heuen. Weit und breit war kein Wölklein zu sehen, das Regen bedeutet hätte, und mit Eifer wurde das prächtige Wetter benutzt. – Schon lag das Heu in Haufen zum Aufladen bereit. Da kam auf einmal eine schneeweiße Wolke dahergefahren, ließ sich über dem Heu zu Boden, und aus der Wolke entstand ein Wirbelwind, der das Heu in alle Gegenden weit umher zerstreute.

Die guten Leute konnten sich das nicht erklären, bis ein Tyroler, der beim Bauer, welchem das Heu gehörte, im Sommerdienst stand und um dergleichen Ereignisse wußte, ausrief: »Die sollen nochmal[64] kimme.« Den ganzen Nachmittag hatte man nun zu thun, das verzettete Heu wieder in Haufen zu bringen; aber kaum waren die Heuer damit fertig, kam die weiße Wolke zum andern Male und ließ sich auf das Heu nieder; da nahm der Tyroler seinen »Schnätz« aus dem Seitentäschlein und warf ihn kunstgerecht, grad, wie er ein »Passauer« wär', in die Wolke, die auf dieses hin rasch sich hob und das Heu fürder in Ruhe ließ.

Als nun der Tyroler seine Dienstzeit um hatte, zog er das Engadin hinauf und kam eines Tages zu einem Manne im Ober-Engadin. Den fragte er um Arbeit und trat in dessen Haus. – In der Stube gewahrte er in der Diele seinen »Schnätz« stecken. Da dachte er: »Du schweigst, aber Fragen ist erlaubt.«

Im Gespräche kam er auf den Schnätz, der dort in der Diele steckte. »Der ist meiner Frau in den Leib geworfen worden von einem so verdammten Schwarzkünstler. Sie ist im Sommer ins Münsterthal gegangen, um die ›weiße Kunst‹ zu lernen und kam heim und hatte den Schnätz im Leibe.« Aber der, welcher ihn sucht und ihn »heimschen« will, für den habe ich auch »Etwas« und zeigte dem Tyroler im »Buffet« eine geladene Pistole, »es ist gut, daß er nicht Euch gehört.«

Der Tyroler ließ auf diese Erklärung hin Schnätz Schnätz sein.

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 64-65.
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