Der Drachentödter.

[100] (In Crestas bei Trons erzählt.)


Einst giengen drei junge Ritter auf Abenteuer aus, und ihr erstes Ziel war eine Höhle in tiefem Walde, in der eine wunderschöne Königstochter von drei grausigen Drachen gefangen gehalten wurde. Vor die Oeffnung der Höhle gekommen, hieß der jüngste und muthigste der Ritter die Andern ihm ein Seil um den Leib binden und ihn so in die Tiefe hinablassen. Die Begleiter thaten ihm den Willen und versprachen, des Gesellen zu harren, bis er ein Zeichen gebe, um dann ihn und die gerettete Prinzessin wieder an das Tageslicht emporzuziehen. Der junge Ritter gelangte glücklich in den innersten Raum der Höhle, wo ein anmuthiges Mädchenbild dem nahenden Retter durch Thränen entgegenlächelte. Dann lud sie ihn zum Sitzen ein und flüsterte ihm zu, er möge sein gutes Schwert bereit halten, denn es werden ihre Peiniger bald erscheinen, drei grausenerregende Drachen, der eine mit einem Kopfe, der zweite mit drei, und der letzte und fürchterlichste gar mit sieben Köpfen. Und kaum hatte das zarte Königskind also gesprochen, als ein Heulen anhub und eine scheußliche Drachengestalt sich auf den jungen Ritter warf. Aber Jener hob das Schwert mit Macht, und es fuhr die Klinge nieder, das Haupt des Drachen zerspaltend. »Nun kommt aber der zweite,« sagte die Jungfrau, »seht Euch vor, mein edler Ritter.« Und ehe sie noch die Worte vollendet, polterte das dreiköpfige Ungethüm heran, noch grausiger anzusehen, als das erlegte, und öffnete die entsetzlichen Rachen, um den Jüngling zu zermalmen. Allein des Ritters Arm war nicht erlahmt, und ein kräftiger Hieb trennte die Häupter vom Rumpfe. Da bebte die Höhle in ihren tiefsten Gründen, und ein Geheul gieng durch die Felsen, wie die Stimme des Donners im Hochgebirge. Das letzte und fürchterlichste Scheusal, jener schuppenbepanzerte Lindwurm mit sieben Köpfen, stund racheschnaubend vor dem jungen Manne, mit dem Schwanze um sich schlagend, daß die Felstrümmer emporstoben. Der Ritter besann[101] sich indeß nicht lange, und that mit seinem zweischneidigen, mächtigen Schwerte so wackere Arbeit, daß der Lindwurm, einen Strom von dunklem Blut ausgießend, in kurzer Zeit den männlichen Streichen erlag. Nun sank die Jungfrau, überströmenden Dankes voll, an die Brust des Jünglings, gelobte ihm, als ihrem künftigen Herrn und Gemahl, ewige Treue und gab ihm zum Angebinde ein gülden Ringlein. Deß freute sich der Ritter baß und zog am Seil, den Mitgesellen zum Zeichen, daß die That glücklich vollbracht und sie sich bereit machen möchten, die Gerettete und den Retter aus dem grausen Gefängniß ans Tageslicht zu fördern. Die aber, so oben stunden, waren argen Sinnes und verabredeten unter sich einen schlimmen Plan, um sich den Ruhm des fremden Werkes wohlfeil zu erwerben.

Vom bösen Geist getrieben, zogen sie zwar die Jungfrau empor, ließen dann wohl das Seil zum zweiten Mal herab, scheinbar zur Rettung des Gespielen, im Herzen aber den Vorsatz hegend, den Unglücklichen auf halbem Wege wieder in die grausige Tiefe stürzen zu lassen. Ein guter Geist mußte indessen dem jungen Ritter eine warnende Ahnung eingehaucht haben; denn statt sich selbst dem Seile anzuvertrauen, schlang er dasselbe um einen Baumstamm und gab neuerdings das Zeichen zum Emporziehen. Die verrätherischen Freunde am Rand der Höhle thaten, was ihnen ihr arges Herz eingegeben, und ließen die Last zurückfallen, ohne anders den Tod des Mitgesellen erwartend. Darauf traten sie hin vor die Königstochter, erzählten die erfundene Mähre und forderten Jene auf, Einen von ihnen zu ihrem Gemahl auszuwählen. Die Prinzessin aber war klugen Sinnes und erbat sich Bedenkzeit auf drei Tage, worauf sie dann alle zur nahen Königsstadt ritten.

Der junge Ritter, der doch das Beste gethan, trauerte verlassen in seinem dunklen Schlunde. Da erbarmte sich seiner ein alter, grauer Fuchs, und der sprach zu ihm: »Halte dich an meinem Schwanz und folge mir, ich will dich retten, wie du die schöne Jungfrau gerettet hast.« Der Ritter that, wie ihm geheißen, und sah bald wieder das goldene Licht der Sonne. Der Fuchs aber war plötzlich verschwunden.[102]

Wohlgemuth gieng der Jüngling fürbaß und kam in die Königsstadt. Dort herrschte große Freude, und als er nach der Ursache frug, erfuhr er, daß die Prinzessin im Begriffe stehe, einem ihrer vermeintlichen Retter die königliche Hand als Gemahlin zu reichen. Da begab sich der Ritter in die Küche des Königspalastes und frug den Koch, ob er ihm nicht Arbeit geben könne. Dieser bejahte es, und so hantierte der junge Mann an einem mächtigen Kuchen für die Königstafel, in den er geschickt das gülden Ringlein der Prinzessin warf. Das Glück wollte nun, daß gerade die Prinzessin dasjenige Stück Kuchen erhielt, welches das Ringlein barg. Darob erstaunte die königliche Jungfrau nicht wenig, und sie hieß den, so den Ring in den Teig gethan, im Saal erscheinen. Der Ritter kam, und Entsetzen packte die falschen Gesellen. Die Prinzessin erhob sich von ihrem Königsstuhl, führte ihren tapfern Retter vor ihren greisen Vater, und der Reichsherold verkündete unter Paukengeschmetter, daß der alte König den Gemahl seiner Tochter zu seinem Nachfolger auserkoren habe. Die zwei verrätherischen Freunde aber wurden von vier Pferden in Stücke zerrissen.

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 100-103.
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