[209] X. Das Mädchen, das Gold aus Lehm und Schüttenstroh spinnen konnte.

[209] Aus Upland.


Es war einmal ein altes Weib, die hatte eine einzige Tochter, das Mädchen war gut und sittsam, und dazu über die Maßen schön; sie war aber so faul, daß sie kaum an eine Arbeit Hand anlegen wollte. Hierüber grämte sich die Alte sehr, und suchte im Guten und im Bösen den Fehler ihrer Tochter abzugewöhnen. Aber nichts half. Da wußte das Weib sich keinen besseren Rath, als das Mädchen auf das Dach der Stube zu setzen, und sie dort spinnen zu lassen, damit die ganze Welt ihre Faulheit sehe und erfahre.

Dennoch ward es nicht anders, das Mädchen blieb unthätig, wie früher.

Eines Tages wollte der Königssohn auf die Jagd gehen, und ritt an der Hütte vorbei, worin die Alte mit ihrer Tochter wohnte. Als er nun die schöne Spinnerin oben auf dem Dache der Hütte sah, blieb er stehen, und fragte, warum sie auf einem solchen Orte sitze und spinne. Die Alte entgegnete: »I nun, sie sitzt dort, damit die[210] ganze Welt sehe, wie fleißig sie ist. Sie ist so fleißig, daß sie Gold aus Lehm und Schüttenstroh spinnen kann.« Bei diesen Worten verwunderte sich der Prinz sehr, denn er verstand nicht, daß die Alte auf die Faulheit ihrer Tochter anspielte. Er sagte hierauf: »Wenn es wahr ist, daß wie ihr sagt, das Mädchen Gold aus Lehm und Schüttenstroh spinnen kann, so soll sie nicht länger hier sitzen, sondern mir auf mein Schloß folgen, und meine Gemahlin werden.« Die Tochter der Alten stieg nun vom Dache herab, und fuhr mit dem Prinzen zum Königshofe. Dort saß sie in dem Frauengemach, und erhielt einen Eimer Lehm, und eine Garbe Stroh, damit man erfahre, ob sie so schnell in der Kunstarbeit war, wie ihre Mutter erzählt hatte.

Dem armen Mädchen wurde hierbei recht schlimm zu Muthe, denn sie wußte wol, daß sie nicht einmal Leinwand und noch weniger Gold spinnen könne. Sie setzte sich daher in das Frauengemach, stützte die Wange auf die Hand, und weinte bitterlich. Als sie nun lange so gesessen, öffnete sich die Thüre, und ein kleiner, kleiner Mann kam herein, der sehr wild und ungestaltet aussah. Der Greis grüßte freundlich, und fragte, warum die Jungfrau so einsam und betrübt dasitze. »Je nun,« antwortete das Mädchen, »ich muß wol traurig sein. Der Königssohn hat mir befohlen, Gold aus Lehm und Schüttenstroh zu spinnen, und wenn ich es nicht gethan, ehe heller Tag ist, gilt es mein junges Leben.« Da sprach der kleine Mann: »Schöne Jungfrau weine nicht, denn ich will dir helfen. Hier sind ein Paar Handschuhe, wenn[211] du sie anziehst, kannst du Gold spinnen. Morgen Nachts aber komme ich zurück, wenn du nicht bis dahin meinen Namen aufgefunden, sollst du mir heim folgen, und meine Liebste werden.« Da nun das Mädchen keinen andern Rath, ihr Leben zu sichern, wußte, willigte sie in die Bedingung des Greises. Hierauf ging der Zwerg seines Weges. Die Jungfrau aber setzte sich, und spann, und als es tagte, hatte sie alles Stroh und allen Lehm versponnen, und es war zum schönsten Gold geworden, das Jedermann schauen konnte.

Nun herrschte eine große Freude am ganzen Königshof, daß der Königssohn eine Braut bekommen, die so behende und zugleich so schön war. Das junge Mädchen aber that nichts anderes, als weinen, und je länger es dauerte, desto mehr weinte sie, denn sie dachte an den häßlichen Zwerg, der kommen, und sie holen würde. Überdem war es Abend geworden, und der Königssohn kam von der Jagd heim, und ging zu seiner Liebsten, um mit ihr zu sprechen. Als er nun ihren Kummer sah, suchte er sie auf jede Art und Weise zu trösten, und sagte, daß er ein lustiges Abenteuer erzählen wolle, wenn sie wieder fröhlich werde. Das Mädchen bat ihn zu erzählen. Da sagte der Prinz: »Als ich heute im Walde umherwanderte, sah ich etwas Seltsames. Ich sah einen Greis, der war so klein, so klein. Er sprang auf und ab, um einen Wachholderstrauch, und sang ein wunderliches Lied.« »Was sang er?« fragte das Mädchen neugierig, denn sie erkannte, daß der Königssohn dem Zwerge begegnet war. »Nun denn,« sagte der Prinz, »höre, wie er sang:«[212]


»Heute soll ich Malz mahlen,

Morgen soll meine Hochzeit sein.

Und die Jungfrau sitzt im Gemache und weint,

Sie weiß nicht, wie ich heiße.

Ich heiße Titteli Ture.

Ich heiße Titteli Ture.«


Da ward das Mädchen so froh, so froh, und bat den Prinzen, wieder zu erzählen, was der Zwerg gesagt hatte. Der Königssohn wiederholte nun das wunderliche Lied noch einmal, und die Jungfrau behielt den Namen des Greises im Gedächtniß. Hierauf sprach sie liebevoll mit ihrem Bräutigam, und der Prinz konnte nicht genug die Schönheit und den Verstand seiner jungen Braut loben. Er wunderte sich aber sehr, wie sie auf einmal so fröhlich geworden, so wie Niemand Bescheid wußte, was früher die Ursache ihres bitteren Schmerzes gewesen.

Als es nun Nacht geworden, und das Mädchen allein in ihrem Zimmer blieb, öffnete sich die Thüre, und der häßliche Zwerg trat wieder ein. Da sprang die Jungfrau auf, und sagte: »Hier hast du deine Handschuhe Titteli Ture! Titteli Ture!« Als der Greis aber seinen Namen hörte, wurde er sehr erzürnt, und hob sich mit solcher Gewalt in die Lüfte, daß er das ganze Dach mit sich nahm. Nun lachte die schöne Jungfrau in's Fäustchen, und war sehr fröhlich. Hierauf legte sie sich schlafen, und schlief, bis die Sonne schien.

Den andern Tag aber war ihre Hochzeit mit dem jungen Königssohn, und sie hörte seitdem nie mehr etwas von Titteli Ture sprechen.

Quelle:
Hyltén-Cavallius, Gunnar/Stephens, George: Schwedische Volkssagen und Märchen. Wien: Haas, 1848, S. 209-213.
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