A. Das schöne Hirtenmädchen.

[142] Aus Nord-Småland.


Es war einmal ein König, der hatte eine einzige Tochter. Sie war so schön und sanft, daß sie von Allen geliebt wurde, die sie sahen. Die Gemahlin des Königs, die Königin, hatte gleichfalls nur eine Tochter; diese aber war von häßlichem Aussehen, und von so böser Sinnesart, daß sie bei Niemanden in guten Leumund war. Hierüber grämte sich die Königin sehr, und gönnte der Tochter des Königs nichts Gutes. Als nun der König todt war, wurde die Königin sehr böse gegen ihre Stieftochter, und verwendete sie zu allerhand geringen Arbeiten. Das arme Mädchen aber klagte nie, sondern war stets geduldig und ergeben.

Es ereignete sich eines Tages, daß die Königin ihre Stieftochter auf den Boden schickte, um das Getreide zu bewachen. Während sie nun so saß, und es hütete, kamen die kleinen Vögel des Himmels, und flogen zwitschernd um den Getreidehaufen, als wollten sie um Korn bitten. Da[142] that es der Königstochter um die kleinen Thiere leid, und sie warf ihnen von dem Haufen Getreide zu. Sie sagte: »Meine armen kleinen Vögel! Ihr seid so hungrig; hier habt ihr Korn, klaubt es schnell auf, und esset euch satt.« Als nun die Sperlinge gegessen hatten, flogen sie fort, setzten sich auf das Dach, und hielten Rath, wie sie der Jungfrau für ihr gutes Herz lohnen sollten. Da sprach der eine Vogel: »Ich vergelte es ihr dadurch, daß unter ihren Tritten rothe Rosen wachsen.« Der Andere sagte: »Ich, daß sie jeden Tag schöner und schöner wird.« »Und ich,« sagte der Dritte, »will es ihr damit vergelten, daß jedesmal, wenn sie lacht, ein rother Goldring aus ihrem Munde fällt.« So sprachen sie, und flogen davon. Alles aber ging in Erfüllung, wie die Vögel gesagt hatten, und von dem Tage an, ward die Königstochter noch liebenswürdiger als früher, so daß kein schöneres Weib zu finden gewesen wäre, hätte man auch in sieben Königreichen gesucht.

Als dies Alles die Königin vernahm, wurde sie noch neidischer als früher, und überlegte bei sich, wie ihre Tochter eben so schön wie ihre Schwester werden möge. In dieser Absicht sandte sie die Prinzessin gleichfalls auf den Boden, das Getreide zu bewachen. Das Mädchen ging, obschon es sie sehr schmerzte, daß man ihr eine so geringe Beschäftigung gegeben. Als sie nun so die Wache hielt, kamen die Vögel des Himmels, und flogen zwitschernd um den Getreidehaufen, als wollten sie um etwas Korn bitten. Da ward die böse Jungfrau erboßt, sie faßte den Kehrbesen, jagte die kleinen Vögel fort, und sagte zornig: »Was[143] wollt ihr hier, ihr häßlichen Vögel; bildet ihr euch etwa ein, daß eine vornehme Jungfrau, wie ich, ihre Hände beschmutzen werde, um euch Speise zu geben?« Die Sperlinge entflohen, setzten sich auf das Dach, und berathschlagten, wie sie die böse Prinzessin ihre harten Worte entgelten lassen könnten. Da sagte der Eine: »Ich vergelte es dadurch, daß unter ihren Tritten Distel und Dornen wachsen.« Der Andere sagte: »Ich, daß sie jeden Tag häßlicher, und häßlicher werde.« »Und ich« setzte der Dritte hinzu, »lasse es sie damit entgelten, daß jedesmal, wenn sie lacht, Frösche und Kröten aus ihrem Munde heraushüpfen sollen.« So sprechend flogen sie davon. Alles aber ging in Erfüllung, wie die Sperlinge gesagt hatten, und von dem Tage an ward die Tochter der Königin noch häßlicher, und noch böswilliger, als sie früher gewesen.

Die Stiefmutter und ihre böse Tochter konnten nun die schöne Königstochter nicht länger vor ihren Augen leiden, und schickten sie daher in den Wald, das Vieh zu weiden. Die arme Jungfrau schweifte so in der Einöde umher, wie andere Hirtenmädchen; und es schien ihr oft, daß sie große Noth und Unrecht litt. Die böse Prinzessin aber blieb bei ihrer Mutter am Königshofe, und freute sich in ihrem falschen Herzen, daß Niemand die schöne Königstochter sehen, oder Etwas von ihrer Schönheit vernehmen konnte.

Es ereignete sich eines Tages, daß das schöne Hirtenmädchen im Walde saß, und an einem Fausthandschuh stickte, während ihr Vieh auf die Weide ging. Da kamen[144] einige junge Männer vorbeigefahren. Als sie die schöne Jungfrau sahen, wie sie saß, und emsig nähte, wurden sie von ihrer Schönheit sehr angezogen, gingen hin, grüßten höflich und fragten: »Warum sitzt die schöne Jungfrau hier, und stickt so fleißig?« Die Königstochter sang:


»Schnapp, Schnapp, freue dich,

Ich denke, den Sohn des Königs von Dänemark zu bekommen.«


Bei diesen Worten wunderten sich die jungen Männer, und baten die Jungfrau, mit zum Königshof zu kommen. Die Jungfrau aber wollte nicht auf ihr Worte hören, sondern gab ihnen goldene Ringe, damit sie sie in Frieden lassen sollten. Die jungen Männer zogen hierauf ihres Weges, und kamen heim. Sie konnten aber nicht ermüden, von dem schönen Hirtenmädchen zu erzählen, das ihnen im Walde begegnete und es wurde sehr viel am ganzen Königshofe von ihrer Schönheit, und ihrem Reichthum gesprochen.

Als dieses Alles der junge Königssohn vernahm, bekam er eine große Lust, die schöne Jungfrau zu sehen, und zu erkunden, ob Alles wahr sei, was die jungen Männer erzählt hatten. Er zog nun mit seinen Habichten und Hunden auf die Jagd, und kam weithin in den Wald zu der Stelle, wo die Königstochter saß, und an ihrem Fausthandschuh stickte. Der Prinz ging hin, grüßte höflich, und fragte: »Warum sitzt ihr hier, schöne Jungfrau, und näht so fleißig?« Die Jungfrau sang:


»Schnapp, Schnapp, freue dich,

Ich denke, den Sohn des Königs von Dänemark zu bekommen.«[145]


Als dies der Königssohn hörte, ward ihm wunderlich zu Muthe, und er fragte, ob das Hirtenmädchen ihm zum Königshof heim folgen wolle. Da lachte die Prinzessin; in demselben Augenblicke fiel ein goldener Ring aus ihrem Munde, und als sie sich bereit machte, um zu gehen, sieh', da sproßten rothe Rosen aus ihren Fußspuren empor. Da faßte der Königssohn eine Neigung zu ihr, so daß er bekannte, wer er war, und fragte, ob nicht die junge Maid seine Königin werden wolle. Die Prinzessin willigte ein, und ließ ihn zugleich wissen, daß sie dem Geschlechte und der Herkunft nach nicht geringer, als er sei. Hierauf zogen sie zusammen zum Königshof, und die Königstochter ward die Gemahlin des Prinzen. Alle aber waren ihr gut, und der Königssohn hielt sie lieb vor Allem andern in der Welt.

Bei diesen Nachrichten wurde die böse Stiefmutter noch neidischer in ihrem Herzen, und dachte auf nichts so sehr, als wie sie ihrer Stieftochter einen Schaden zufügen, und ihre eigene Tochter zur Königin anstatt ihrer machen könne. Da ereignete es sich, daß ein großer Krieg ausbrach, so daß der Königssohn fortziehen mußte. Die Königin aber war schwanger, und sollte in die Wochen kommen. Nun wartete die Stiefmutter die Gelegenheit ab, zog zum Königshof hin, und zeigte sich sehr freundlich gegen Alle. Als aber die junge Königin krank wurde, und Niemand bei ihr war, nahm die Stiefmutter zur List ihre Zuflucht, legte ihre eigene Tochter an ihre Stelle, und verwandelte die rechte Königin in eine kleine Ente, die schwamm im Flusse vor dem Königshofe.[146] Einige Zeit darnach ging der Krieg zu Ende, und der junge König zog heim, voll Sehnsucht, seine schöne Frau wiederzusehen.

Als er nun in das Schlafgemach kam, und die häßliche Stiefschwester im Bette fand, ward er sehr traurig, und fragte, warum das Aussehen seiner Gemahlin sich so verändert habe. Die listige Stiefmutter war sogleich bereit, und antwortete: »Es kommt von ihrer Krankheit und geht wol vorüber.« Der König fragte weiter: »Früher entfielen jedesmal goldene Ringe ihrem Munde, wenn meine Gemahlin lachte, nun aber Frösche und Kröten; früher aber wuchsen rothe Rosen in ihren Fußspuren, nun wuchern Disteln und Dornen darin; was mag wol die Ursache von diesem Allem sein?« Die böse Königin aber nahm schnell das Wort, und antwortete: »Also ist sie, bleibt sie und wird nicht anders, bis daß der König das Blut einer kleinen Ente bekommen kann, die im Flusse umherschwimmt.« Der König fragte: »Wie soll ich das Blut der Ente erhalten können?« Die Stiefmutter sagte: »Je nun, es soll zwischen dem abnehmenden und dem Neumond genommen werden.« Der König gab jetzt Befehl, daß man die kleine Ente fangen soll; der Vogel aber entkam allen Schlingen, wie man sie auch legen mochte.

An einem Donnerstag, Nachts, während Alle in ihrem Schlummer lagen, bemerkten die Wächter, wie ein weißer Schatten, der in Allem der Königin glich, aus dem Flusse auftauchte, und in die Küche ging. Die Prinzessin hatte einen kleinen Hund besessen, den sie sehr liebte. Er hieß[147] Schnappe (Nappe). Als sie nun auf die Hausflur kam, sagte sie:

»Kleiner Schnappe, mein Hund,

Hast du etwas Speise, um sie mir Abends zu geben?«

»Nein, ich habe nichts, meine Frau,« antwortete der Hund.

Die Königstochter fragte:

»Die Hexe schläft wol bei meinem kleinen Prinzen im obersten Stockwerk?«

»Ja, das thut sie, meine Frau!« sagte der Hund.

Die Königstochter sagte wieder:

»Nun komme ich noch zwei Donnerstagabende hieher, und dann nie mehr.« Hierauf seufzte sie schwer, ging zum Flusse hinab, und verwandelte sich in eine kleine Ente, wie früher. Die nächste Donnerstagnacht trug sich dasselbe zu. Als die Leute zur Ruhe gegangen, bemerkten die Wächter eine weiße Gestalt, die aus dem Flusse emportauchte, und in die Küche ging. Da nun Alle die junge Königin liebten, wunderten sie sich sehr darüber, und gingen heimlich, um zu lauschen, was sie sagen, und thun würde. Als aber die Königstochter auf die Hausflur gekommen war, sang sie:

»Kleiner Schnappe, mein Hund,

Hast du etwas Speise, um sie mir Abends zu bringen?«

»Nein, ich habe nichts, meine Frau!« entgegnete der Hund.

Die Königstochter fragte wieder:

»Schläft die Hexe noch bei meinem kleinen, jungen Prinzen im obersten Stock?«[148]

»Ja, das thut sie, meine Herrin!« sagte der Hund. Die Königin fuhr fort: »Nun komme ich noch einen Donnerstagabend hieher, und dann nie mehr.« Hierauf begann sie bitterlich zu weinen, und kehrte zum Flusse zurück, wo sie sich in eine kleine Ente verwandelte, die im Wasser umherschwamm. Als aber die Männer alles dieses vernommen, kam es ihnen wunderlich vor, so daß sie heimlich zu ihrem Herrn gingen, und ihm erzählten, was sie gehört und gesehen.

Da verfiel der König in tiefe Gedanken, und er befahl den Wächtern, ihn zu benachrichtigen, wenn die Gestalt sich das drittemal zeigen sollte.

Die dritte Donnerstagnacht, als alle zur Ruhe gegangen, tauchte die Königstochter wieder aus dem Wasser empor, und ging zum Königshofe hin. Als sie auf die Hausflur gekommen, wie sie es gewohnt war, sagte sie zu ihrem Hunde, und sang:

»Kleiner Schnappe, mein Hund,

Hast du etwas Speise, um sie mir Abends zu geben?«

»Nein, ich habe nichts, meine Herrin!« antwortete der Hund.

Die Königstochter fragte wieder:

»Die Hexe schläft wol bei meinem kleinen, jungen Prinzen im obersten Stock?«

»Ja, das thut sie, meine Herrin!« antwortete der Hund. Da seufzte die Königin schwer, und sagte: »Nun komme ich nie mehr hieher.« Hierauf begann sie bitterlich zu weinen, und ging hinaus, um zum Flusse zurückzukehren. Der König aber stand hinter dem Thore, und[149] lauschte auf ihr Gespräch. Als nun die Gestalt ihres Weges gehen wollte, nahm er sein silberbeschlagenes Messer, und verwundete ihren linken kleinen Finger, so daß drei Blutstropfen hervorkamen. Da schwand der Zauber, die Königin erwachte wie aus einem schweren Traume, und sagte: »Ha, ha, stehst du hier?« Hierauf fiel sie freudig ihrem Manne um den Hals, und er trug sie hinauf in ihr Frauengemach.

Die junge Königstochter erzählte nun ihrem Gemahl Alles, was ihr wiederfahren, und freute sich vom Herzen, daß sie sich einander wieder besaßen. Der König ging zur Stiefmutter, die am Bette ihrer Tochter saß; die falsche Königin aber hatte das Kind auf ihrem Arme, und stellte sich sehr schwach nach ihrer Krankheit. Als nun der König hinein kam, grüßte er die alte Hexe, und fragte: »Wenn Jemand meine kranke Königin umbringen und in den Fluß werfen wollte, sag' mir, was würde er wol verdienen?« Die böse Stiefmutter dachte nicht, daß ihr Betrug verrathen worden, sondern antwortete sogleich: »Er wäre wol werth, in eine Tonne mit nach innen vorstehenden Nägeln gelegt, und vom Berge hinabgerollt zu werden.« Da ward der König zornig, stand auf, und sagte: »Damit hast du dir nun dein eigen Urtheil gesprochen, und es soll dir so geschehen, wie du selbst gesagt hast.« Die Hexe wurde in eine solche Tonne gelegt, und vom Berge hinabgerollt, und ihre Tochter die falsche Königin erlitt dieselbe Strafe. Der König aber nahm seine rechte Königin, und lebte mit ihr in Frieden, und glücklich. Weiter habe ich nichts erfahren.

Quelle:
Hyltén-Cavallius, Gunnar/Stephens, George: Schwedische Volkssagen und Märchen. Wien: Haas, 1848, S. 142-150.
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