[190] IX. Das Land der Jugend.

[190] Aus Süd-Småland.


Es war einmal ein König, der über ein mächtiges Reich herrschte. Er war tapfer im Streit, klug im Rathe, und alle seine Unternehmungen nahmen einen guten Ausgang. Als aber Jahre verstrichen waren, wurde der König alt und grau, so daß er wol merken konnte, daß er nicht lange leben werde. Da ward er traurig, denn er hatte das Leben lieb, und fragte daher alle weisen Männer in seinem Reiche, ob es nicht irgend ein Mittel gebe, dem Tode zu entkommen. Die weisen Männer schüttelten ihre Köpfe, und beriethen sich, keiner aber wußte die Frage des Königs zu beantworten.

Eines Tages kam eine alte Wahrsagerin an den Königshof, die weit über das Wasser, und die Länder gereis't, und wegen ihrer Weisheit und Klugheit berühmt war. Der König fragte das alte Weib, ob sie nichts Neues wüßte. Da sagte das Weib: »Herr und König! Es ist mir gesagt worden, daß du dich sehr fürchtest, zu sterben, da du nun alt geworden bist. Darum bin ich hieher gekommen, um dich zu lehren, wie du Jugend und Gesundheit wieder gewinnen kannst.« Mit diesen Worten war[191] der König wohl zufrieden und fragte, wie das geschehen könne? Die Wahrsagerin erwiederte: »Weit, weit, viele tausend Meilen von hier liegt ein Land, welches das Land der Jugend heißt. In diesem Lande findet man eine Art Zauberwasser, und wächst eine Gattung kostbarer Aepfel. Wer von dem Wasser trinkt, und von den Aepfeln ißt, der wird von Neuem jung, als wäre er nie alt gewesen. Nicht Viele aber gibt es, die davon kosten, denn der Weg ist weit, und voll Gefahren.« Als der alte König dies hörte, ward er sehr frob, und belohnte die Wahrsagerin reichlich für ihren guten Rath. Damit schieden sie von einander.

Der König überlegte nun bei sich, wie er das wunderbare Wasser, und die köstlichen Aepfel erhalten könne; endlich beschloß er, einen von seinen Söhnen zu schicken, um sie zu holen. Zu dem Ende ließ er den ältesten Prinzen reichlich mit Geld, und mit allem Nothwendigen versehen, und sandte ihn auf den Weg. Nachdem der Prinz weit gereis't war, kam er zu einer Stadt, die ihm sehr gefiel. Da vergaß er bald sein Unternehmen, lebte in Lust und Ueppigkeit, und dachte nicht weiter an sein Versprechen, nach dem fernen Land zu reisen, um das Lebenswasser für seinen Vater zu holen.

Es verstrich so einige Zeit, und der König sehnte sich sehr nach der Rückkunft seines Sohnes, man hörte aber nichts von ihm. Da ließ der Greis seinen anderen Sohn mit Habe und Geld versehen, und schickte auch ihn, das gepriesene Land der Jugend aufzusuchen. Nachdem der Jüngling aber einen weiten Weg gereis't war, kam[192] er zu einer Stadt, und traf seinen Bruder. Nun ging es ihm, wie es dem ältesten Prinzen ergangen. Er vergaß sofort sein Unternehmen, ergab sich dem Wein und Buhldirnen, und dachte nicht weiter an sein Versprechen, die Jugendäpfel und das Lebenswasser für seinen Vater zu holen.

Als wieder eine geraume Zeit verstrich und keiner von den Prinzen zurückkam, ward der alte König von Kummer und Alter sehr gebrechlich. Da ging der jüngste Prinz zu seinem Vater, und bat, daß er fortziehen, und das gepriesene Land der Jugend aufsuchen dürfe. Da nun der König nur mehr den einzigen Sohn übrig hatte, wollte er ungern in das Begehren des Jünglings einwilligen, und bat ihn, daheim zu bleiben. Der Königssohn aber blieb fest bei seiner Meinung, und so behielt er zuletzt Recht. Der König ließ nun seinen jüngsten Sohn mit Gut und Geld ausrüsten, und der Jüngling begab sich auf den Weg. Der Greis aber saß einsam, und verlassen in seinem Reiche, und erwartete mit vieler Unruhe, ob einer von seinen Söhnen wieder heimkommen würde.

Der Jüngling reis'te nun weit, und kam zuletzt zu einer großen Stadt, wo er eine älteren Brüder traf. Da baten ihn die Königssöhne, bei ihnen zu bleiben, und um den alten Greis daheim sich nicht weiter zu bekümmern. Der Prinz aber wollte sein Wort nicht brechen, sondern schlug ihr Begehren ab. Er nahm Abschied von seinen Brüdern, und zog weit umher, durch viele und große Reiche. Wem er immer begegnete, fragte er um den Weg[193] zum Jugendlande, es fand sich aber Niemand, der davon zu erzählen, oder nur irgend einen Bescheid zu geben wußte.

Eines Tages kam der Jüngling in einen sehr großen Wald. Als er aber umhersah, um eine Herberge zu finden, erblickte er ein Licht, das in weiter Entfernung durch die Bäume flimmerte. Der Prinz ging hin, und kam zu einer kleinen Erdhütte, wo ein sehr altes Weib wohnte. Der Königssohn fragte, ob er da über Nacht bleiben könne, und das Weib willigte in sein Begehren. Als sie nun miteinander sprachen, fragte das alte Weib nach seiner Abkunft, und nach seinem Vorhaben. Der Prinz antwortete, daß er ein Königssohn sei, der fortgezogen, daß Jugendland zu suchen, und fragte zugleich, ob ihm die Alte nicht irgend eine Auskunft davon geben könne. Da sagte das Weib: »Ich habe dreihundert Winter gelebt, und Keiner hat mir von dem Lande erzählt, das du nennst. Ich herrsche aber über die Thiere auf der Erde. Vielleicht ist einer unter meinen Unterthanen, der den Weg dahin findet. Morgen Früh will ich sie darum fragen.« Der Königssohn dankte sehr für diesen guten Willen, und verweilte dort über Nacht.

Als nun der Tag graute, und die Sonne aufging, ging das Weib hinaus, und blies in ihre Pfeife. Da entstand ein starkes Getöse im Walde, und es kamen alle vierfüßigen Thiere gelaufen, von nah und fern. Als die Thiere versammelt waren, und ihrer Königin gehuldiget hatten, fragte die Alte, ob Eines unter ihnen wäre, das den Weg zum Jugendlande kenne. Die Thiere hielten[194] hierüber eine lange Berathung, es war aber keines, daß auf die Frage der Königin zu antworten wußte. Da wendete sich das alte Weib zu dem Königssohn, und sagte: »Ich kann dir nun nicht weiter beistehen. Ich habe aber eine Schwester, die herrscht über die Vögel in der Luft. Grüße sie von mir, vielleicht weiß sie irgend eine Hilfe.« Das Weib befahl nun dem Wolfe, den Jüngling zu ihrer Schwester zu führen, und hiermit endigte ihr Gespräch. Der Königssohn aber setzte sich auf den Rücken des Wolfes, und dieser trug ihn über Wälder und Flächen, über Berge und Thäler, auf so manchem öden Weg.

Spät am Abend, als die Sonne in den Wald gegangen, sahen sie ein Licht, das durch die Bäume flimmerte. Da sagte der Wolf: »Nun sind wir am Ziele, denn hier wohnt die Schwester meiner Königin.« Er kehrte wieder heim; der Königssohn aber ging hinein, und fand ein sehr altes Weib, das in einer Erdhütte wohnte. Während sie nun zusammen sprachen, fragte die Alte um seine Abkunft und sein Vorhaben. Der Prinz antwortete, daß er ein Königssohn sei, der fortgezogen, um das Jugendland zu suchen, und grüßte sie von ihrer Schwester, die über die Thiere der Erde herrschte. Da nahm das Weib das Wort: »Ich habe sechshundert Winter gelebt, und noch hat mir Niemand von dem Lande erzählt, das du nennst. Ich herrsche aber über alle Vögel in der Luft, vielleicht ist einer unter meinen Unterthanen, der den Weg dahin findet. Morgen in aller Früh will ich sie darum fragen.« Der Königssohn dankte, wie es sich gehörte, für den guten Willen des Weibes, und so blieb er dort über Nacht.[195]

Als nun der Tag anbrach, ging das Weib hinaus, und blies in ihre Pfeife. Da entstand ein starkes Sausen und Donnern in der Luft, und es kamen alle Vögel des Himmels geflogen, sowol große, als kleine, aus der Nähe und aus der Ferne. Als sie nun versammelt waren, und ihrer Königin gehuldigt hatten, fragte die Alte, ob es Einen unter ihnen gebe, der den Weg zum Land der Jugend wüßte. Die Vögel hielten nun hierüber eine lange Berathung; der Schluß aber war, daß keiner die Frage der Königin zu beantworten wußte.

Da wendete sich das alte Weib zum Königssohn, und sagte: »Ich kann dir nun nicht weiter helfen. Ich habe aber eine Schwester, die herrscht über die Fische im Meere. Reise hin, und grüße sie von mir. Weiß sie keinen Rath, so gibt es Niemand der einen wüßte.« Das Weib befahl nun dem Adler, den Jüngling zu ihrer Schwester zu tragen, und hiermit schieden sie. Der Königssohn aber stieg auf den Rücken des Adlers, und so wurde er, wie von einem Sturmwind über's blaue Meer und über grüne Länder getragen.

Spät am Abend sahen sie ein Licht, das durch die Bäume zitterte. Da sagte der Adler: »Nun sind wir am Ziele, denn hier wohnt die Schwester meiner Königin.« Er nahm Abschied von dem Jüngling, und flog wieder zu seiner Herrin heim. Der Königssohn aber trat in die Stube, und fragte, ob sie ihn beherbergen könne. Das Weib willigte gerne ein. Während sie nun zusammen sprachen, fragte die Alte nach seiner Abkunft, und nach seinem Unternehmen. Der Prinz antwortete, daß er ein Königssohn[196] sei, der fortgezogen, um das Land der Jugend zu suchen, und grüßte sie zugleich von ihrer Schwester, die über die Vögel in der Luft herrschte. Da nahm das Weib das Wort: »Ich habe nun neunhundert Winter gelebt, und noch nie hat mir Jemand von dem Lande erzählt, das du nennst; ich herrsche aber über die Fische im Meere; vielleicht ist einer unter meinen Unterthanen, der den Weg dahin findet. Früh Morgens will ich darnach spähen.« Der Jüngling dankte, wie es sich gehörte, für den guten Willen des Weibes, und verweilte dort über Nacht.

Zeitlich am Morgen, ehe es heller Tag wurde, ging das Weib hinaus, und blies in ihre Pfeife. Da entstand ein starkes Geräusch und Brausen im Meere, und das Wasser schäumte von den unzähligen Fischen, von großen und kleinen, die von nah und fern kamen. Als Alle zusammen gekommen waren, und ihrer Königin gehuldiget hatten, sprach das alte Weib, und sagte: »Ich habe euch deßhalb berufen, weil ich zu wissen wünsche, ob irgend Einer den Weg zu einem Lande kennt, das Jugendland heißt.« Die Fische beriethen sich nun lange, das Ende aber war, daß keiner auf die Frage der Königin antworten konnte. Da wurde das Weib zornig, und sagte: »Ihr seid doch Alle versammelt? Ich kann den alten Wallfisch nicht sehen, der sonst doch nicht der geringste unter euch ist.« In demselben Augenblicke vernahm man ein starkes Brausen aus dem Meere herauf, und der alte Wallfisch kam schnell herangeschwommen. Die Alte fragte, warum er nicht mit den übrigen gekommen sei; der Wallfisch aber entschuldigte[197] sich, daß er einen so weiten Weg gereis't sei. »Wo bist du gewesen?« fragte die Alte. »Ich, antwortete der Fisch, ich bin manche tausend Meilen gereis't, ich komme gerade von einem schönen Lande, welches das Land der Jugend heißt.«

Als dies das Weib hörte, war sie wol zufrieden, und sagte: »Dies mag deine Strafe für deinen Ungehorsam sein, daß du noch einmal zum Lande der Jugend reisest, und diesen Jüngling mit dir auf die Reise nimmst.« Hierauf nahm sie von dem Königssohne Abschied, wünschte ihm Glück auf den Weg, und so schieden sie von einander. Der Jüngling aber setzte sich auf den Rücken des Wallfisches, und wurde nun wie ein Pfeil weithin über das Wasser getragen.

Sie reis'ten den ganzen Tag hindurch, und kamen spät Abends zu dem gepriesenen Jugendlande. Da sagte der Wallfisch: »Ich will dir nun einen guten Rath geben, welchen du genau befolgen sollst, wenn du sonst wünschest, daß dein Unternehmen glücken soll. In dem verzauberten Schlosse fällt Alles um die Mitternachtsstunde in tiefen Schlaf. Geh' dann in das Schloß hinauf, nimm einen Apfel und eine Flasche Wasser; verweile aber nicht, sondern eile sogleich zurück. Wenn du über die Mitternachtsstunde daselbst verweilst, gilt es unser beider Leben.« Als der Königssohn dies hörte, dankte er dem Wallfisch für seinen guten Rath, und versprach, in Allem zu handeln, wie der Fisch gesagt hatte. Mitternachts ging der Prinz zu dem verzauberten Schlosse hinauf, und fand Alles, wie der kluge Wallfisch erzählt. An der Schloßpforte waren[198] wilde Thiere, Bären, Wölfe und Drachen, alle aber lagen in einer tiefen Betäubung, und es schien, als hätte das Schloß dasselbe Geschick. Der Prinz wanderte durch viele große Zimmer, das eine prächtiger als das andere, und er konnte sich nicht genug über den vielen Reichthum verwundern, der überall vor seinen Augen lag. Zuletzt kam er in einen großen Saal, der schön mit Decken von Gold und Silber ausgeschmückt war. Mitten in dem großen Saale wuchs ein Baum mit den allerkostbarsten Aepfeln, und neben dem Baume war zugleich die Quelle, deren Wasser wie klares Gold schimmerte, und einen wunderbaren Klang gab, wenn es über die Steine floß. Da begriff der Königssohn, daß er endlich das gefunden hatte, wornach er so lange gesucht. Er sprang daher hin, pflückte sein Ränzel mit den schönen Aepfeln voll, und füllte seine Flasche mit dem Lebenswasser aus der kostbaren Quelle.

Der Jüngling sollte nun zurückkehren, er konnte aber nicht seine Begierde bezähmen, noch eine kleine Weile sich in dem verzauberten Schlosse umzusehen. Er setzte daher seine Wanderung von Zimmer zu Zimmer, von Saal zu Saal fort, und es schien ihm, daß das eine jedesmal das andere übertreffe. Endlich kam er in ein Zimmer, das vor allen übrigen reich mit Gold, Silber und Edelsteinen geschmückt war. Mitten in dem prächtigen Zimmer stand ein Bett mit blauseidenen Polstern, und auf dem Bette schlummerte eine Jungfrau, so schön, daß ihr wol keine in der Welt gleichen mochte. Da wurde dem Jüngling das Herz in der Brust bewegt, er vergaß die Warnung des klugen Wallfisches, und schlief an dem Busen der schönen Königstochter ein.[199]

Nachdem der Jüngling geschlummert hatte, und seinen Rückweg antreten sollte, schien es ihm, daß er es der Jungfrau wol wissen lassen müsse, wer es war, der ihre Gunst genossen hatte. Zu dem Ende schrieb er auf die Wand, daß der Prinz Venius von England dort gewesen, und eilte aus dem Schlosse fort. Es war auch hohe Zeit, denn kaum war er durch die Schloßpforte gegangen, als Alles aus seiner Betäubung erwachte; die Thiere brüllten, die Waffen rasselten, und das ganze Schloß ward lebendig und bewegte sich. Der Prinz aber setzte sich schnell auf den Rücken des Wallfisches, und schnell trug ihn dieser gleich dem Winde über die Wogen.

Sie reis'ten so einige Zeit, und kamen auf das wogende Meer hinaus. Da tauchte der Wallfisch plötzlich unter das Wasser, und zog den Prinzen mit sich hinab. Als sie wieder hinaufgekommen, war der Jüngling sehr erschrocken, und dachte, daß sein Ende nahe wäre. Der Wallfisch fragte: »Erschrakst du?« Der Prinz bejahte es. Der Wallfisch aber entgegnete: »Ich erschrak gleichfalls, als du so viel Aepfel nahmst.«

Sie reis'ten noch eine Weile, und der Wallfisch tauchte wieder in das Meer unter. Diesmal aber blieb er länger unter dem Wasser, als früher, und als sie wieder herauf gekommen, war der Prinz vor Schreck beinahe halbtodt. Der Wallfisch fragte: »Erschrakst du?« Der Jüngling bejahte es. Der Wallfisch aber erwiederte: »Ich erschrak gleichfalls, als du bei der jungen Prinzessin schliefst.«

Sie reis'ten nun wieder eine Weile, und der Wallfisch tauchte zum dritten Male unter das Meer; diesmal[200] aber fuhr er so tief, daß der Prinz nie mehr das Tageslicht zu schauen glaubte. Als sie heraufgekommen, fragte der Wallfisch von Neuem: »Erschrakst du?« Der Jüngling bejahte es; der Fisch sagte hierauf: »Ich erschrak gleichfalls, als du deinen Namen an die Wand des Saales schriebst.« Sie setzten hierauf ihren Weg fort ohne weitere Abenteuer, bis sie zum anderen Ufer kamen.

Der Prinz nahm nun von dem alten Wallfisch Abschied, und ging zum alten Weibe, die neunhundert Winter gesehen hatte. Als ihn das Weib sah, freute sie sich, daß sein Abenteuer so gut abgelaufen war. Der Jüngling aber sagte, daß er ihr den guten Beistand wieder vergelten wolle, und gab ihr einen Apfel vom Jugendlande, und einen Trunk von dem köstlichen Lebenswasser. Das Weib aß und trank, und ließ es sich wohl schmecken. Da sah man ein großes Wunder, denn das alte Weib verwandelte ihre Gestalt, die Runzeln verschwanden von ihrem Antlitz, der Mund füllte sich mit frischen Zähnen, der Busen hob sich, und sie stand wie eine blühende Maid da, wie sie in ihren jungen Tagen war. Die Fischkönigin konnte nicht genug die wunderbare Veränderung preisen, und dankte dem Königssohn über die Maßen für seinen großen Dienst. Hierauf schieden sie von einander. Beim Abschiede aber sagte das Weib: »Ich will dich für deine gute Gabe belohnen. Hier hast du einen Zaum, wenn du damit schüttelst, kommt ein Zelter hervor, der so schnell wie der Wind ist, er wird dich tragen, wohin du wünschest.«

Der Jüngling rüttelte nun an dem Zaum, wie die Fischkönigin ihn gelehrt hatte, und sogleich kam ein schöner[201] Zelter hervor, der ihn zu dem alten Weibe trug, die sechshundert Winter gesehen. Als ihn nun die Vogelkönigin sah, freute sie sich, daß sein Unternehmen so gut abgelaufen war. Der Königssohn dankte aber für den Dienst, und sagte, daß er ihr den guten Beistand wieder vergelten wolle. Er gab ihr daher einen Apfel vom Jugendlande, und einen Trunk von dem kostbaren Lebenswasser. Das Weib aß und trank, und ließ es sich wohl schmecken. In demselben Augenblicke sah man ein neues Wunder, denn das alte Weib verwandelte ihre Gestalt, die Runzeln wichen aus ihrem Angesicht, der Mund lächelte, der Busen hob sich, und sie stand da vor dem Prinzen wie eine Jungfrau in jungen Tagen. Die Vogelkönigin konnte nicht genug diese seltsame Veränderung loben, und dankte dem Jungen über die Maßen für seinen großen Dienst. Hierauf schieden sie sehr freundschaftlich von einander. Beim Abschiede aber sagte das Weib: »Ich will dich nun für deine Gabe belohnen. Hier hast du ein Tuch, wo du es immer ausbreitest, wird sich der Tisch mit kostbaren Gerichten decken.« Der Jüngling nahm das kostbare Tuch, setzte sich auf sein Füllen, und ritt fort, bis er zu dem Weibe kam, welches dreihundert Winter gelebt hatte. Als ihn nun die Thierkönigin gewahrte, hatte sie eine große Freude, daß sein Abenteuer ein so gutes Ende genommen habe, und empfing ihn sehr freundschaftlich. Der Junge aber sagte, daß er ihr den guten Beistand wieder vergelten wolle, und gab ihr einen Apfel vom Jugendlande, und einen Trunk von dem köstlichen Lebenswasser. Das Weib aß und trank, und ließ es sich wohl schmecken. Da sah man[202] wieder ein großes Wunder, denn das alte Weib verwandelte ihre Gestalt, und ward von Neuem jung. Die Runzeln verschwanden aus ihrem Antlitz, die krumme Gestalt richtete sich auf, und sie stand da, wie ein Mädchen von seltener Schönheit. Die Thierkönigin konnte sich nicht genug über dies Alles freuen, und dankte dem Prinzen für seinen sehr großen Dienst. Hierauf schieden sie sehr freundschaftlich von einander. Beim Abschiede aber nahm das Weib ein Schwert hervor, gab es dem Jünglinge, und sagte: »Ich will dich für dein Geschenk belohnen. Hier hast du ein Schwert. Wem du immer damit drohst, der wird entweichen, wäre es auch das wildeste Thier.« Der Königssohn schien nun aus Allem gut davon gekommen zu sein, und reis'te daher weiter, bis er seine Brüder traf. Da war auf beiden Seiten große Freude. Als aber die älteren Königssöhne erfuhren, daß ihr Bruder in seinem Unternehmen glücklich gewesen, wuchs ein großer Neid in ihren Herzen, und sie überlegten miteinander, wie sie ihn überlisten, und selbst den Preis bei ihrem Vater gewinnen könnten. Sie gaben nun manches schöne Wort, und ließen ein prächtiges Gastmahl zubereiten. Nachts aber, als der Jüngling schlief, warteten die Brüder die Gelegenheit ab, und vertauschten die Jugendäpfel und das Lebenswasser, ohne daß der Prinz es wußte, oder auch nur eine solche Falschheit argwohnen konnte.

Der Junge nahm hierauf von seinen Brüdern Abschied, stieg auf seinen Zelter, und ritt zum Hofe seines Vaters heim. Da war der alte König wol zufrieden, daß er seinen jüngsten Sohn wieder erhalten, und der Prinz[203] freute sich, daß sein Vater noch am Leben war. Er reichte seine Gaben dar, und bat den König, von den Aepfeln zu essen und vom Wasser zu trinken, damit er wieder von Neuem jung werde.

Es kam aber gegen die Vermuthung, denn man gewahrte keine Veränderung, sondern der Greis war und blieb gleich alt und grau, wie früher. Nun konnte der König nichts anderes denken, als daß sein Sohn mit ihm Spott treiben wolle, und wurde darüber höchlich erzürnt. Der Prinz aber merkte, daß er betrogen worden war, und dieses ging ihm schwer zu Gemüthe.

Nach einiger Zeit kamen auch die beiden ältesten Brüder zum Königshof heim. Die hatten viel von ihrer Reise zu erzählen, und sprachen weitläufig von allen den Gefahren, die sie auf dem Wege zum Jugendlande bestanden. Hierauf gingen beide Prinzen zu ihrem Vater, und boten ihm die Aepfel und das Lebenswasser an, damit er von Neuem jung werde.

Der König aß und trank, und ließ es sich wohl schmecken. Nun sah man eine merkwürdige Erscheinung, denn der Greis veränderte seine Gestalt, sein graues Haar wurde blond, der Mund füllte sich mit Zähnen, die Runzeln verschwanden, und er stand da wie ein schöner Jüngling. Da herrschte eine große Freude über das ganze Reich, und der König pries die Treue und Tapferkeit seiner beiden ältesten Söhne, alle aber zürnten dem jüngsten Königssohne, daß er mit Lüge und Falschheit gekommen. Es ward nun das Urtheil gefällt, daß der Jüngling in die Löwengrube geworfen werden solle, und das Urtheil ging ohne[204] alle Gnade in Erfüllung. Als aber die wilden Thiere den jungen Prinzen zerreißen wollten, drohte er ihnen mit seinem Schwerte, und sie thaten ihm keinen Schaden. Als der Prinz hungrig wurde, breitete er sein Tuch auf, und es füllte sich mit köstlichen Speisen. Er saß so sieben volle Jahre in der Löwengrube, und kein Mensch wußte, daß er noch am Leben war.

Die Sage wendet sich nun wieder zum Jugendlande. Dort entstand ein großer Aufruhr, als der Prinz entflohen war, denn das Lebenswasser war fort, die Aepfel waren fort, und was noch schlimmer war, die junge Prinzessin hatte ihre Ehre verloren. Nach Monaten kam die Königstochter in die Wochen, und gebar ein schönes Knäblein. Der kleine Prinz aber hatte in der linken Hand ein wunderbares Gewächs gleich einem Apfel, und der Apfel wollte nicht verschwinden. Da ließ die Königstochter alle weisen Weiber im ganzen Jugendlande versammeln, und fragte sie um Rath, wie ihr Sohn von seinem Gebrechen frei werden könnte. Die Weiber überlegten lange, und sprachen hin und her. Der Beschluß aber war, daß der junge Prinz nicht gesund werden könne, bevor er nicht seinen Vater wieder gefunden.

Es verstrich so eine geraume Zeit; der Knabe wuchs heran, und verrieth mehr Verstand und Fassungsgabe als andere Kinder. Nichts war so künstlich, daß er nicht Rechenschaft davon zu geben vermocht hätte, und mit sieben Jahren konnte er den Namen seines Vaters buchstabiren, der auf der Wand des Saales geschrieben stand. Da bekam die Königstochter eine große Lust, fortzuziehen, und[205] den Prinzen Venius aufzusuchen. Sie ließ ihre Schiffe in die See stechen, und rüstete sie auf das Allerbeste mit kostbaren Gütern, und gewählter Mannschaft aus. Hierauf ging die Prinzessin an Bord, zugleich mit ihrem jungen Sohn; die Segel wurden auf den vergoldeten Mastbaum aufgehißt, und so schifften sie schnell über das Meer nach England.

Als nun die prächtige Flotte vor die Stadt kam, herrschte viel Unruhe und Aufstand darin, denn Alle glaubten, daß es eine feindliche Heeresmacht wäre. Die Königstochter aber landete an der Brücke und schickte eine Gesandtschaft an den König, daß sie den Prinzen Venius sprechen wolle. Da ward der König sehr unentschlossen, denn er erinnerte sich recht wol, daß der Prinz den wilden Thieren vorgeworfen worden, obschon er es nicht bekennen wollte. Er hielt Rath mit seinen Mannen, und überlegte, was nun zu thun sei, keiner aber wußte Hilfe in einer solchen Gefahr. Der Beschluß fiel aber dahin aus, daß der König seinen ältesten Sohn schicken solle, da er den jüngsten nicht schicken könne. Die Gesandten wurden aber mit der Bothschaft an die Königstochter abgefertiget, daß der Prinz Venius den folgenden Tag kommen werde.

Früh Morgens ließ die Prinzessin goldene Decken über den Weg breiten, und setzte sich selbst mit ihrem kleinen Sohn auf die Schiffsbrücke, um den Königssohn zu empfangen. Nach einer Weile kam der Prinz aus der Stadt geritten, und wollte sich zum Schiffe begeben. Als er nun sah, welche prächtige Decken auf dem Wege ausgebreitet waren, konnte er sich nicht genug über all diesen[206] Reichthum wundern, und hielt bei Seite an, daß sein Zelter nicht auf so kostbare Stoffe trete. Er kam zur Schiffsbrücke herab, wo die Königstochter, umgeben von ihrer ganzen Mannschaft, auf dem Thron saß. Als ihn aber der kleine Knabe so vorsichtig einherschreiten sah, rief er mit Eifer: »Dies ist nicht mein Vater!« Der Apfel blieb in der Hand des Knaben, wie früher. Da mußte der Prinz mit wenig Ehren und unverrichteter Sache heimkehren. Die Prinzessin aber ließ verkündigen, daß sie nicht von hinnen fahren wolle, bis sie den rechten Prinzen Venins gefunden hätte.

Den anderen Tag schickte der König seinen anderen Sohn, es erging ihm aber ebenso. Der Prinz fürchtet sich, über die schönen Golddecken zu reiten, und als er zur Schiffsbrücke kam, wo die Königstochter am obersten Platze saß, rief der Knabe, der zwischen ihren Knieen stand: »Dies kann mein Vater nicht sein.« Der Apfel blieb auch in der Hand des Knaben, wie früher. Der Königssohn begab sich nun wieder heim, und es schien Allen, daß sie mehr Schande als Schaden erlitten. Als die Prinzessin aber nun wol merken konnte, daß man gegen sie mit List und Falschheit handle, wurde sie erzürnt, und ging mit ihrer Heeresmacht an's Land. Zugleich sandte sie einen Boten an den König, daß sie den rechten Prinzen Venius sehen wolle, wäre es auch blos ein Bein von ihm, sonst wollte sie keinen Stein auf dem andern in der ganzen Stadt lassen.

Als nun allgemeine Bestürzung herrschte, wußte der König in dieser großen Gefahr keinen Rath zu finden.[207] Endlich schien es ihm das Beste zu sein, einen Boten in die Löwengrube zu schicken, um zu untersuchen, ob dort noch einige Ueberbleibsel von seinem jüngsten Sohn zu finden wären. Als nun die Abgesandten in den Löwenhof kamen, um Beine von dem Prinzen Venius aufzusuchen, siehe, da saß er selbst, lebte und spielte mit den wilden Thieren. Da kann man sich wol denken, welche Freude über Stadt und Land herrschte, und Alle baten den Jüngling, daß er heraus gehe. Der Prinz aber war erzürnt, und wollte nicht kommen, bevor nicht sein eigener Vater einen Kniefall gethan, und zu bereuen versprach, was er früher verbrochen.

Den dritten Tag, als die Sonne aufging; ließ die Königstochter wieder Golddecken über den Weg breiten, und setzte sich auf ihren obersten Platz, der kleine Knabe aber stand zwischen ihren Knieen, und alle ihre Mannen waren um sie versammelt. Da kleidete sie Prinz Venius auf das Allerprächtigste in Seide und Scharlach, band das Schwert an die Seite, rüttelte seinen Zaum, und stieg auf seinen windschnellen Zelter. Er ritt so den Weg zum Schiffe hin; es schien aber Allen, die ihn sahen, als wenn er gerade durch die Luft flöge; denn ein so muthiger Reiter und ein so schneller Zelter wurden weder früher noch seitdem von Jemand gesehen. Als nun der Knabe den Prinzen Venius sah, der über den goldenen Weg heran ritt, rief er freudig: »Dies ist mein Vater! Dies ist mein Vater,« und in demselben Augenblicke fiel der Apfel aus der Hand des Kindes. Da stieg die Königstochter von ihrem obersten Sitze herab, trat dem Prinzen entgegen,[208] und empfing ihn sehr freudig und liebevoll. Alles Volk aber staunte, sah zu, und dachte, daß man wol lange suchen müßte, um einen schöneren Mann, und ein schöneres Weib in der ganzen weiten Welt zu finden.

Der Königssohn und seine schöne Braut fuhren nun in die Stadt, und der König ließ eine Hochzeit veranstalten, daß es Alle hören und sehen sollten. Als das Gastmahl mit Lust und Spiel stattgefunden hatte, fuhren Prinz Venius und seine Gemahlin zum Jugendlande fort, und dort leben sie noch heute.

Die betrügerischen Brüder aber wurden in die Löwengrube geworfen, und Keiner hat erfahren, daß sie wieder herausgekommen.

Weiter weiß ich nichts zu berichten.

Quelle:
Hyltén-Cavallius, Gunnar/Stephens, George: Schwedische Volkssagen und Märchen. Wien: Haas, 1848, S. 190-209.
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