[348] Wattuman und Wattusin.

1. Eine Ueberlieferung aus Ostgothland »der wunderbare Hecht« genannt, zeichnet sich durch viele Eigenthümlichkeiten aus. Sie lautet, wie folgt: Es war einmal ein Fischer, der am Seestrande wohnte. Er war arm, sehr arm, und wurde mit jedem Tag ärmer, weil die Fischerei wenig Gewinn einbrachte. Sein Weib war damit nicht zufrieden, und schalt oft ihren Mann wegen seines geringen Glückes in der Fischerei; denn es pflegt zu geschehen, »wenn die Noth einzieht, zieht die Liebe aus.« Der Fischer aber bekam nicht mehr Fische, und er hielt dies für ein schlechtes und jammervolles Leben.

Eines Tags fuhr er in seinem Boote auf die See,[348] hinaus, um seine Angeln zu untersuchen, aber wie gewöhnlich waren alle Angeln leer. Da wurde er sehr niedergeschlagen, und wußte nicht recht, ob er zu seiner Frau zurückkehren solle. Gerade als er mit diesem Gedanken beschäftigt war, riß es heftig an der Schnur, als wenn ein großer Fisch daran wäre. Nun freute sich der Mann, und zog vorsichtig die Angel, bis daß er einen großen Hecht auf der Oberfläche des Wassers sah. Als er jetzt seine Fischgabel nahm, um sie in den Rücken des Fisches zu stechen, begann der Hecht, für sich zu bitten, und sagte: »Schone mein Leben, so gebe ich dir ein ganzes Boot voll mit Fischen.« Als dies der Mann vernahm, kam es ihm seltsam vor, denn er hatte noch nie einen Fisch sprechen gehört. Er machte die Angel los, und ließ den Fisch frei. Sogleich fing der Hecht umherzuschwimmen an, und machte ein solches Geräusch im Wasser, daß Tausende von Fischen, sowohl kleine als große, vor Schrecken in das Boot hüpften. Hierauf wurde es wieder stille, und der Mann ruderte, was er nur vermochte, um an's Land zu kommen. Als er aber so ruderte, hüpften die Fische wieder in die See, und als er weiter kam, war das Boot leer wie früher. Der Fischer begab sich nun heim, und erzählte sein Abenteuer, aber seine Frau wurde sehr übellaunig, und schalt ihn wegen seiner Gutherzigkeit.

Einige Zeit hierauf begab der Mann sich wieder hinaus, um zu fischen, und es lief auf dieselbe Art ab. Aber nun nahm sich der Fischer vor, daß wenn er noch einmal den Hecht fangen sollte, ihn nichts in der Welt vermögen werde, ihn frei zu lassen. Er begab sich hierauf auf die See hinaus,[349] und der große Fisch biß nach einer Weile wieder an die Angel. Da ward der Mann frohen Sinnes, und sagte: »Ich habe zweimal dein Leben geschont, aber nun sollst du nicht mehr entkommen, denn ich will nicht deinetwegen die Scheltworte meiner Frau hören.« Der Hecht entgegnete: »Ich begehre nicht mehr, daß du mich frei lassen sollst; aber wenn du meinen Rath befolgen willst, soll er dir Glück bringen. Du sollst meinen Leib in acht Theile hauen; zwei davon deiner Frau geben, zwei außen bei deiner Stube vergraben, zwei in das Feuer, die übrigbleibenden zwei aber sogleich in die See werfen. Untersuche nun zuerst deine Angel, und du wirst sehen, es fehlt dir kein Fisch.« Der Fischer versprach zu thun, was der Hecht ihn gelehrt hatte. Er besichtigte hierauf seine Angeln, und er hatte einen großen Fang gemacht, so daß das ganze Boot voll war. Diesmal aber hüpften die Fische nicht in die See zurück, und der Mann erhielt bei seiner Rückkunft keine Scheltworte mehr von seinem Weibe.

Der Fischer zerstückelte nun den großen Hecht in acht Theile, und machte es mit diesen, wie er versprochen hatte. Aber nun sollte man etwas Wunderbares zu sehen bekommen, den aus den Stücken, welche außen bei der Stube vergraben wurden, wuchsen zwei schöne Pferde; die Theile, die er in's Feuer legte, wurden zu zwei glänzenden Schwertern; und aus denen die er in die See warf, entstanden zwei ansehnliche Hunde. Wunderbar aber war es auch mit den Stücken, welche die Frau des Fischers gegessen hatte; denn sie wurde fruchtbar, und gebar nach neun Monaten zwei schöne Knaben.[350]

Es dauerte so einige Zeit. Der Fischer war stets glücklich bei seinen Unternehmungen, und die Zwillinge wuchsen zu schlanken Jünglingen auf. Da ging der ältere Junge zu seinem Vater, und bat um Erlaubniß, fortzuziehen, und in der Welt sein Glück zu versuchen. Der Fischer willigte ein, und vertheilte seine Habe unter die Brüder, so daß jeder ein Schwert, ein Pferd und einen Hund erhielt. Hierauf schieden sie. Als aber die Zwillinge von einander Abschied nehmen sollten, sagte der jüngste: »Bruder, wie kann ich von dir erfahren, ob es dir gut in der Welt geht?« Der Aeltere antwortete: »Hier gebe ich dir zum Angedenken mein Messer und eine Bütte mit Milch; die Milch-Bütte sollst du außen bei der Stube vergraben, und es mag dir als ein Zeichen gelten, daß ich lebe, so lange die Milch weiß ist; wenn die Milch aber roth wird, dann bin ich gewiß in großer Gefahr.« So sprachen und schieden die Brüder von einander. Der Aelteste ritt seinen Weg durch viele Königreiche; der Jüngere blieb bei seinem Vater daheim.

In der Folge der Erzählung wird berichtet, wie der Junge zu einer großen Stadt kam etc., wie in der oben mitgetheilten Sage.

Nur zuletzt folgt diese kleine Variante davon: Gegenüber dem Königshofe, auf der anderen Seite eines großen See's lag eine alte verfallene Burg, die verzaubert war. Der junge König fühlte eine große Lust, die alte Burg zu besuchen, aber seine Gemahlin rieth ihm davon ab. Der Jüngling bestand gleichwol auf seinen Entschluß, und begab sich auf den Weg. Als er nun zum Schloßthor[351] kam, trat ihm ein alter, alter Mann mit einem grauen Barte und von ehrwürdigem Aussehen entgegen. Der Alte fragte, wer er sei, und was er für ein Anliegen habe. Der König antwortete, daß er ein Fremdling sei, der hieher gekommen, um das verzauberte Schloß zu besuchen. Da ward der Greis traurig, und sagte: »Ich habe manchen schmucken Jüngling hieher ziehen gesehen; aber keiner ist zurück gekommen.« Er gab dem Könige zugleich manchen guten Rath, und warnte ihn, daß er sich nicht betriegen lassen solle. Der Jüngling versprach, in Allem so zu handeln, wie der Greis gesagt hatte, und so schieden sie von einander.

Der junge König ging nun in das Schloß hinein, wanderte durch viele einsame Zimmer, und kam zuletzt in einen Saal, wo der Tisch mit allerhand Gerichten gedeckt stand. Der Jüngling setzte sich nieder und aß, denn er war einen weiten Weg gewandert, ohne daß er irgend Etwas gegessen hatte. Als er so bei Tische saß, hörte er eine jammernde Stimme, die, ohne aufzuhören, wehklagte: »Ach! ich bin so hungrig, ich bin so hungrig.« In demselben Augenblicke begann der Hund zu bellen, die Thür öffnete sich, und ein altes Weib von häßlichem Aussehen trat ein. Der König erbarmte sich der Alten und lud sie ein, zum Tische heranzutreten, und Speise zu nehmen; die Hexe aber sagte, daß sie es des Hundes wegen nicht wagte. Als nun der König sie dringender bat, gab ihm das Weib ein Haar, und sagte, daß er es über den Hals des Hundes legen solle, so könnte sie sehen, ob das Thier gegen seinen Herrn gehorsam wäre. Der Jüngling that,[352] wie sie gesagt hatte; das Haar aber wuchs zu einer starken Fessel, und der Hund wurde an den Boden festgekettet. Nun ging die Hexe keck zum Tische hin, nahm von der Speise, und verwandelte durch ihren Zauber den jungen König in einen Stein.

Während dem bemerkte der Sohn des Fischers, der bei seinem Vater daheim geblieben, daß das Messer, welches er immer auf seiner Brust trug, wie Feuer zu brennen begann. Schnell eilte er zur Milch-Bütte, die er außer der Stube eingegraben hatte, und sieh! die ganze Milch war in Blut verwandelt. Da begriff er, daß sein Freund in großer Noth sein mußte. Er sattelte daher sein Pferd, band das Schwert an die Seite, rief seinen Hund, und begab sich hinweg, um seinem Pflegebruder beizustehen.

Der Jüngling kam gegen Abend zum Königshofe, und wurde dort von Allen für den König selbst gehalten. Nachts schlief er bei der schönen Königin, legte aber ein blankes Schwert zwischen sich und ihr auf das Bett. Er erfuhr nun, daß sein Freund zu einem alten Thurme fortgezogen war, und machte sich daher bereit, sogleich Morgens dahin zu fahren und ihn zu suchen.

Als der Jüngling sich dem Schloßthore näherte, kam ihm der Greis mit dem grauen Barte entgegen. Der Alte fragte, wer er sei etc., wie früher.

Der Jüngling ging nun in die Burg hinein, kam zum Saale, wo der Tisch gedeckt stand, und traf das alte Weib. Als aber die Hexe ihn bat, ein Haar über den Hals des Hundes zu legen, ließ er sich nicht von ihrem falschen Rath bethören, sondern zog sein Schwert,[353] und hieb sie todt. Hierauf wanderte er in den Thurm, bis daß er eine große eiserne Thür fand; aber inner derselben lagen viele schwarze Steine, und nicht weit davon floß eine Quelle mit dem reinsten Wasser. Der Jüngling nahm Wasser aus der Quelle, und bestrich die schwarzen Steine. Da fingen sie zu leben an, und begannen sich zu bewegen, der eine nach dem anderen, und wurden zu Königssöhnen, Kämpen, Jungfrauen und anderen hochgebornen Männern und Weibern. Unter diesen war auch eine Prinzessin, die war so schön, daß Keiner eine schönere Jungfrau gesehen. Der Jüngling setzte seinen Weg fort, bis daß er seinen Pflegebruder fand, und es war eine große Freude, als sie sich wieder fanden. In demselben Augenblicke öffnete sich die Thür, und der Greis kam herein, gekleidet als König im Mantel und mit der Krone und mit ihm waren seine junge Tochter und viele andere Leute. Alle dankten dem schmucken Jüngling, daß er den Zauber gelös't, der so lange über sie lag. Der König aber ließ ein prächtiges Gastmahl zubereiten, und gab die schöne Prinzessin dem Jünglinge. Da herrschte Lust und Freude über den ganzen Königshof, und seitdem lebten die Zwillingsbrüder vergnügt und glücklich, jeder in seinem Reiche.

2. Eine Ueberlieferung aus Süd-Småland erzählt, daß der Fischer den Hecht in vier Theile zerstückte. Von diesen gab er ein Stück seinem Weibe, ein anderes seinem Pferde, den Kopf des Hechtes grub er unter dem Apfelbaum im Kohlgarten, und das letzte Stück gab er seiner Hündin. Als aber die Zeit um war, gebar das[354] Weib des Fischers zwei schmucke Knaben, warf die Stute zwei der schönsten Füllen, bekam die Hündin zwei junge Hunde, und schoßen unter dem Apfelbaum zwei gute Schwerter hervor, die alle zunahmen, wie die beiden Knaben.

Das Weitere der Sage ist ganz der Sage »Wattuman und Wattusin« ähnlich, nur mit der kleinen Abänderung des Schlusses:

»Nachts gewahrte der Jüngling, daß der Berg in Flammen stand; da sattelte er sein Pferd, ritt fort, und sah, wie der Fels auf goldenen Pfeilern stand; aber ein großer Haufe von Däumlingen spielte und tanzte darunter. Als der junge König eine Weile ihrem Spiele zugesehen hatte, kam ein kleiner Mann, und reichte ihm ein großes Goldhorn zum Trinken.

Da nun der Jüngling nach dem Ritte sehr durstig war, nahm er das Horn, und trank daraus; in demselben Augenblicke aber versank er mit dem Pferde und mit Allem in die Erde, und wurde in einen Stein verwandelt.«

Auch zu Ende wird der verzauberte König von seinem Pflegebruder auf dieselbe Art (wie in der Variante Nr. 1) gerettet, nur daß es hier Steinbilder waren, die dieser im Schlosse fand, welches zum Vorschein kam, als er den Trank des goldenen Hornes der Däumlinge auf den Boden ausgoß, und unter den mit dem wunderbaren Wasser wiederbelebten Bildern fand sich auch sein Bruder.

3. Eine andere Ueberlieferung ist bei den schwedischen[355] Stammverwandten im nordwestlichen Finnland aufgezeichnet, und lautet in der Kürze auf die Art:

»Es war einmal ein Greis, der hatte zwei Söhne und eine Tochter. Die Tochter war nicht daheim, denn sie war von einem Drachen geraubt worden. Die Söhne aber, die waren Zwillinge, und glichen einander so, daß Niemand sie unterscheiden konnte.

Eines Tages sollte der Greis Wasser aus dem Brunnen holen. Als er den Eimer hinabließ, fing sich darin ein großer Hecht.

Als nun der Fisch merkte, daß er nicht länger leben könne, sagte er: ›Nimm meine Augen, und bewahre sie. Wenn sie schwarz werden, sind deine Söhne in Lebensgefahr.‹

Als die Jünglinge aufgewachsen waren, nahm der älteste Sohn Urlaub von seinem Vater, und zog in die Welt hinaus, um sein Glück zu versuchen. Unterwegs besuchte er seine Schwester, die ihm ein treffliches Schwert schenkte. Hierauf zog er weit umher, bis daß er zu einem Königshof kam, wo der König seine einzige Tochter einem Meer-Troll verlobt hatte. Der Jüngling tödtete den Troll, und gewann die schöne Prinzessin. Einige Zeit hierauf bekam der junge König große Lust, eine Insel zu besuchen, ›die ringsum ein See umfloß‹ und auf die kein Mensch seinen Fuß zu setzen wagte, weil die Insel verzaubert war. Die Prinzessin rieth ihrem Manne von der Fahrt ab, aber es half nichts. Als nun der Jüngling zu der schwimmenden Insel kam, fand er am Strande eine kleine schlechte Hütte. In der kleinen Hütte war ein altes häßliches[356] Weib, die zitterte vor Kälte, obgleich sie auf einen Dreifuß mit glühenden Kohlen saß, und sich wärmte. Die Hexe hieß den Jüngling willkommen, und gab ihm einen Strohhalm, um damit sein Füllen zu binden. Hierauf verlangte sie, daß er ihr helfen solle, die Kohlen anzuschüren.

Als aber der Jüngling sich niederbeugte, wurde der Strohhalm in eine starke Fessel verwandelt, so daß das Pferd sich nicht bewegen konnte. Die Hexe tödtete nun den König, und warf seine Leiche in eine dunkle Höhle, die unter der Hütte war.

Während dem schwärzte sich das eine Hechtenauge. Da begab sich der andere Sohn des Greises auf den Weg, um seinen Bruder aufzusuchen. Unterwegs kam er zu seiner Schwester, und erhielt von ihr ein treffliches Schwert und dazu noch eine Flasche mit Lebenswasser. So ausgerüstet langte er beim Königshofe an, und wurde von Allen für den jungen König selbst gehalten. Nachts schlief er bei der Königin, legte aber ein blankes Schwert zwischen sich und ihr. Zuletzt fuhr er zu der schwimmenden Insel, und fand die Hexe und ihre Hütte. Der Jüngling aber ließ sich von den falschen Worten des Weibes nicht bethören, sondern lohnte ihr den Betrug mit einem Schwerthieb. Als nun die Hexe ermordet war, suchte er die Leiche seines Bruders auf, und rief ihn mit dem wunderbaren Wasser wieder in's Leben zurück. Der Brüder theilten alle Habe der Hexe, und zogen hierauf ihres Weges. Aber seit dem Tage war die Insel nicht mehr sichtbar.«

Quelle:
Hyltén-Cavallius, Gunnar/Stephens, George: Schwedische Volkssagen und Märchen. Wien: Haas, 1848, S. 348-357.
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