Vorrede.

[5] Die Uebertragung der vorliegenden Sagen wurde mit der genauen Beobachtung des Originaltextes, so weit es die deutsche Sprache erlaubte, ausgeführt, und es waren meistens nur hie und da eingestreute Verse, welche wahrscheinlich als Bruchstücke eines alten Nationalliedes durch den Erzähler in die Sage eingewebt und dadurch nicht so leicht verständlich wurden, die ich etwas freier behandelte; den größten Theil derselben habe ich jedoch wortgetreu wiedergegeben, ohne Rücksicht des Metrums, das oft als ein willkürliches oder unbestimmtes erschien. Daß die Volkssagen und Märchen treu und einfach nach der mündlichen Ueberlieferung sind, dafür spricht die kleine Bevorwortung der Herausgeber des schwedischen Originals. Ich lasse hier ihre eigenen Worte folgen:[5]

»Gegenwärtige Sammlung ist in ihrer Art die erste, welche im Vaterlande herausgegeben wurde.«

»Es war und konnte auch nicht unser Zweck sein, hier nur eine Sammlung von unterhaltenden Erzählungen zu liefern; wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, daß dem Vaterlande die Ueberreste von der reichen Poesie erhalten werden, welche während Jahrtausenden bei unserem Volksstamm fortlebten, von Geschlecht auf Geschlecht folgten, und in wechselnden Bildern ganz dessen ehemalige Weltanschauung abspiegelten. Die genannten Ueberlieferungen sind auf dem Wege auszusterben oder unter dem Einfluß einer neuen Zeit und neuer Verhältnisse verdorben zu werden, und nur in den abgelegenen Gegenden des Landes lauscht man noch ihren verhallenden Lauten, welche einmal das Eigenthum des ganzen Volkes und die erste Nahrung für die Bildung unserer Väter waren.«

»Ungeachtet der reichen poetischen Ader, die durch alle unsere uralten Traditionen strömt, und welche auch den Volkssagen einen großen und allgemeinen Werth gibt, sind die letzteren auch für die Geschichte von Wichtigkeit. Vieles ist aus diesen für Denjenigen zu holen, welcher die schwedische Geschichte in ihrem innersten Grund studiren will, welcher den Geist und die Eigenthümlichkeit des Volkes kennen lernen, und den ganzen Gang von dessen innerer Entwicklung verfolgen will. Die Volkssage läßt uns manchen Blick in längst entschwundene Zeiten werfen, sie gibt ein treues und lebendiges Bild von[6] den Sitten und der Lebensart unserer Vorfahren, und verbreitet über die Vorzeit ein Licht, welches man nicht immer aus den schriftlichen Urkunden gewinnt.«

»In Folge dieser Ansicht haben wir jede Sage, so viel als möglich, ursprünglich und echt zu erhalten gesucht. Wir haben deßhalb weite Reisen durch verschiedene Landschaften des Vaterlandes unternommen und eine große Anzahl der Sagen nach mündlicher Ueberlieferung aufgezeichnet.«

Schließlich noch meinen innigsten Dank dem Herrn Hofrathe Münch-Bellinghausen, erstem Custoden der k.k. Hofbibliothek in Wien (der gefeierte Dichter Halm und Mitglied der k.k. Akademie der Wissenschaften in Wien), so wie auch dem berühmten Sprachforscher und Gelehrten Herrn Dr. Ferdinand Wolf, dem dieses Werk gewidmet ist, da sie mir bei der seltenen Kenntniß der skandinavischen Sprachen in der Residenz die Quellen der k.k. Hofbibliothek zu meinem Selbststudium und zu den Arbeiten so bereitwillig aufschlossen, deren Benützung ich ganz und allein die kleinen Fortschritte meiner bisherigen Bemühungen zu verdanken habe. Da für die nordischen Sprachen in Wien noch wenig geleistet wurde, so ist dies hauptsächlich der Grund, diesen reichhaltigen Schatz von echter Volkspoesie, wie ihn die Heimskringla, die Edda, die Volkslieder, wie die vorliegenden Sagenüberlieferungen, ingleichen auch die Literatur der drei skandinavischen Reiche in sich schließen, auszubeuten, und für die Zukunft, wenn es mir vorbehalten sein mag, die Anregung[7] zu diesem dankbaren literaturwissenschaftlichen Studium zu geben, welches gewiß für den dramatischen und epischen Dichter die poesiereichsten Stoffe darbietet.

Auch glaube ich hier noch erinnern zu dürfen, durch diese Bearbeitung der Sagen und Märchen einem Wunsche des um die Märchenliteratur sehr verdienten Gelehrten und Alterthumforschers Jakob Grimm nachgekommen zu sein, wie er sich in der Zeitschrift für deutsches Alterthum (herausgegeben von Moritz Haupt. 4. B. 3. Heft. 1844) dahin aussprach »es möge sich bald der ungemein frischen Sammlung norwegischer Märchen auch eine gleich ansehnliche schwedischer an die Seite stellen.«


Wien, den 30. März 1847.

Carl Oberleitner.[8]

Quelle:
Hyltén-Cavallius, Gunnar/Stephens, George: Schwedische Volkssagen und Märchen. Wien: Haas, 1848.
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