22. Der faule Hans.

Ein Reisender langte in dunkler Nacht bei einer Herberge an und verlangte, daß ihn der Hans ohne Verzug heute abend noch durch den Wald fahre, der gleich hinter der Herberge anfing; denn der Hans war der Hausknecht und Kutscher in einem. Er griff es also an und fuhr mit dem Reisenden davon. Als sie an einer einsamen Stelle im Walde anlangten, wo es auch mitten im Tag nie hell wurde, verspürten die Pferde eine besondere Unruhe und rannten, als wenn die Räder von den Achsen springen sollten. Da fielen ihnen drei Räuber in die Zügel und forderten den Reisenden auf, ihnen gutwillig Geld und Gepäck zu übergeben. Dieser dachte an Gegenwehr und rief den Knecht zum Beistand auf; aber Hans blieb ruhig auf dem Bocke sitzen und rauchte sein Pfeifchen so stumm und dumm fort, als sollte er daheim eine Schüssel weißer Rüben mitessen helfen. Der Reisende mußte aussteigen und konnte nichts tun, als den Straßenräubern Hab[48] und Gut überlassen. Da sie nun alles ausgeleert zu haben glaubten und sich fortmachen wollten, sprach der Fremde: »Erfüllt mir jetzt eine Bitte, Ihr sollt sie mir nicht umsonst tun; hier in der Kutsche ist Euch ein Kistchen mit etlichen Dutzend Talern entgangen, nehmt sie auch noch; aber nehmt mir dafür jetzt auch den Knecht da droben auf dem Bock herunter und prügelt ihn nach aller Möglichkeit durch.«

Die Räuber waren bei Laune; sie rissen den Hans herab und schlugen erbärmlich auf ihn los. Das ließ er sich eine Weile gefallen; am Ende aber brummte er: »Potz Tausend!« und erhob die beiden Schultern, und eben da sie ihn zu werfen meinten, machte er seine erste Wendung, da küßte der Vorderste bereits den Boden. Nun ergriff er den zweiten beim Schopf, den dritten beim Kragen und schlug ihnen in angemessenen Zwischenpausen mehrmals so tapfer die Köpfe zusammen, daß ihnen die Eingeweide im Bauch klangen und sie fielen wie Fliegen im Spätherbst. Jetzt kniete er erst noch von einem auf den andern hinüber und gab ihnen der Reihe nach alles Empfangene mit Zinsen zurück. Der Fremde, der bis jetzt verwundert zugesehen hatte, bekam wieder Mut, packte Stück für Stück seiner verzettelten Habe behend in die Kutsche, und hatte zuletzt nur noch die Mühe, den Hans von den drei Schlachtopfern loszumachen, in die er wie ein Stier mit den Hörnern festgebohrt war. So machten sich beide fort und ließen die Zerschlagenen liegen.

»Aber sag nur einmal«, sprach der Fremde hernach zum Knechte, als sie wieder in der Kutsche saßen, »was für ein sonderbarer Heiliger bist du; warum hast du mich und dich so lange von den Schurken mißhandeln lassen, die du dann wie auf einen Schlag bezwungen hast?«

»Ihr fragt eben auch«, antwortete Hans, »wie einer, der nichts versteht. In diesem Wald ist schon mancher umgekommen, eben weil er sich gewehrt[49] hatte, und Ihr wißt wohl, daß ein solcher dann als Gespenst umgehen muß; nun wünsche ich mir erstens nach meinem Tode eine bessere Anstellung als eine solche; und zweitens müßt Ihr wissen: Warm muß ich doch erst werden, eh ich dreinschlage.«

Quelle:
Sutermeister, Otto: Kinder- und Hausmärchen aus der Schweiz, Aarau: H.R. Sauerländer, 1869, S. 42-43,48-50.
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