3. Goldig Betheli und Harzebabi.

[4] Lebte einst, niemand weiß vor wie langer Zeit, eine Frau, die dem Betheli, ihrem Stiefkinde, recht bös war, dagegen ihrem eigenen, dem Babi, alles nachsah, selbst das Gröbste. Babi hatte immer Recht, Betheli immer Unrecht; Babi behielt immer den Vorzug, bekam die Haut voll zu essen, was es nur wollte und ging hoffärtig gekleidet daher, während Betheli oft hungerte, daß ihm fast die Ohren abfielen und es in Lumpen armselig dastand. Babi hatte immer Feiertag, Betheli mußte Mühsal und hartes Leben erdauern. Tag und Nacht sollte Bethelis Spinnrädchen schnurren, und so wohl ihm's auch dabei ausgab, Stiefmutter war nie, nie zufrieden.

Einmal fiel seine Spindel zu Boden, trollte und trollte in ein Mauseloch hinunter. Stiefmutter beharrte durchaus darauf, Betheli müsse jetzt in das Mauseloch hinab und die Spindel selber wieder holen. Arm Betheli weiß nun nichts anderes als zu gehorchen; es probiert, und Mauslöchlein macht ihm Platz. Und es ist als ob es von unsichtbaren Händen unaussprechlich weit hinunter in eine ganz andere Welt getragen würde. So geschah es. O wie herrlich sah es da unten aus, welch ein prächtiges Schloß glitzerte ihm entgegen!

Wie es demselben nahe stand, sah Betheli vor den Toren spielende[4] Hündchen, gar liebe, gescheite Tierchen, die reden konnten wie Menschen. Sie grüßten das erstaunte Mädchen freundlich und wußten sogar seinen Namen, indem sie riefen: »Wau wau, s'guldig Betheli chunnt! Wau wau, s'guldig Betheli chunnt!«

Bald erschienen und traten Betheli entgegen mehrere Kinder; sie waren so hold und klug, ich kann nicht beschreiben wie. Betheli machte große, schüchterne Augen; aber es fühlte sich von den wunderbaren Kindern so wohltätig angeblickt, daß ihm ganz heimelig und wonnig wurde, zumal da es sich wieder als das goldig Betheli begrüßen hörte. Die Kinderlein sahen ihm indessen wohl an, wie sehr es hungere, und fragten gleich: »Guldig Betheli, mit wem willst du essen, mit uns oder mit den Hündchen?«

»Setzt mich nur zu den Hündchen, s'ist lang gut genug für mich«, sagte demütig das Mädchen. »Nein, du sollst mit uns zu Tische gehen«, riefen einstimmig die Holden, welche ihm sofort zweierlei Gewänder zur Auswahl vorhielten, ein hölziges und ein goldenes. Betheli langte nach dem hölzigen, indem es sagte: »Das ist gut genug für mich.« Es geschah jedoch dem bescheidenen Kinde zum Lohne das bessere Gegenteil, sie zogen ihm das Goldkleid an und führten's in einen glänzenden Saal des Schlosses, wo ein goldener Tisch mit den allerbesten und süßesten Speisen und Getränken in goldenen Gefäßen bedeckt stand.

Hungrig Betheli bekam es jetzt einmal so gut, fast wie des lieben Herrgott seine Engelchen bei der himmlischen Mahlzeit. Die lieblichen Kinder spendeten Betheli von allen guten Sachen, lobten und küßten es, so daß ihm war wie im Paradies. Zum Abschied schenkten sie ihm obendrein vielen kostbaren Schmuck und unter anderm eine goldene Spindel. Dann schoben und hoben sie's wieder durch jenes Mauslöchlein hinauf in der bösen Stiefmutter Stube. Da stand Betheli wie ein lichter Engel strahlend im Goldkleid. Kaum hatten sich Mutter und Babi[5] vom größten Erstaunen erholt und Betheli über alles haarklein ausgefragt, als beschlossen wurde, Babi müsse ebenfalls in die andere Welt hinunter und zum mindesten ebenso schöne Sachen als Betheli heraufholen. Mutter und Tochter zweifelten gar nicht daran, daß, wenn dem verachteten einfältigen Betheli solche Aufnahme zu Teil wurde, dem Babi natürlich noch weit mehr Ehre widerfahren würde. Und sie ließen eine Spindel durch das Mausloch hinab und Babi setzte ihr nach. Da wirklich das Löchlein wieder Platz machte und Babi verschwand, hoffte die Mutter oben und hoffte das Meitli unten während der Fahrt in die andere Welt das Allerbeste. Babi, dort angelangt, ging die gleichen Wege, wie Betheli sie beschrieben hatte, bis es zu den Hündchen und dem Schloß gelangte. Schon lachte ihm das Herz im Leib. Die Hündchen bellten sogleich: »Wau wau, s'Harzebabi chunnt! Wau wau, s'Harzebabi chunnt!«

Und das riefen sie in mürrischem Tone, machten glänzende Augen und ließen die Schwänzchen hangen. Wohl eilten auch jene holden Kinder herbei, allein ihr Blick leuchtete nicht so sonnig in Babis Herz wie in Bethelis. Sie fragten das Babi, mit wem es essen wolle. »Mit euch«, sagte es; »das Betheli hat auch mit euch gegessen.« Dann legten sie zwei Paar Kleider vor, ein hölziges und ein goldiges; Babi sprach, es wolle das goldige; Betheli habe auch ein goldiges, und wolle eine goldige Spindel und andern Goldschmuck. Allein sie ließen's ihm nicht, es mußte das hölzige anziehen, sofort mit den Hündchen auf dem Boden zu Gast essen: Abfall und Treber. Zum Abschied wurde sein Holzgewand mit Pech und Harz überstrichen, und es wurde dabei immer nur Harzebabi geheißen. Eine Spindel bekam es, aber eine alte, hölzige. Sie waren froh, seiner bald los zu werden, und machten, daß Harzebabi schnell durch das Mausloch in die Oberwelt stieg. Hier oben blieb Betheli zeitlebens in Ehre und Ansehen,[6] und hieß immer Goldig Betheli, während Babi verachtet blieb und oft hören mußte:


Wau wau, s'Harzebabi chunnt!

Quelle:
Sutermeister, Otto: Kinder- und Hausmärchen aus der Schweiz, Aarau: H.R. Sauerländer, 1869, S. 4-7.
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