20. Die Verbrüderungsgeschenke.

[142] Es erzählen sich die Leute, einst in alten Zeiten habe ein gewaltiger Mensch gelebt, der nie zu Gott betete, nie in[142] die Kirche ging, auch nicht, wie die Religion gebietet, beichtete und das heilige Abendmahl empfing, sondern sich schwarzem Unglauben hingab, so daß er der ganzen Stadt ein Aergerniß war. In seinem Uebermuthe wollte er sich auch nicht mit einem Weibe verheirathen, wie Gott der Herr es befiehlt, sondern beschloß sich mit einem Drachen zu vermählen, um nur des Bösen mehr thun zu können, und machte sich deshalb auf in eine Wüste zu gehen, in der sich ungeheuere Seen befanden, verfehlte aber den Weg, und als die Nacht ihn erreichte, war er gezwungen in einer Höhle Obdach zu suchen. Kaum daß er aber eingeschlafen war, vernahm er in der Höhle ein Klirren und Rasseln von Ketten, und ein Gedröhne wie Donner, das ihn aus dem Schlafe aufschreckte. Und es war mit einem Male in der Höhle tageshell geworden, und eine zahllose Menge von Menschen aller Art, als schwarze, rothe und gelbe, in die buntesten Gewänder gekleidet, waren da zu sehen, und an ihrer Spitze schritt ein Greis auf Krücken gestützt, dessen Haar und Bart lämmerweiß erglänzte, und der ihn fragte: »Wer bist du?« der Mann antwortete ihm voll Entsetzen: »Ein Wanderer aus fernen Landen und euer Gefährte.« Worauf ihm der Greis erwiederte: »Wenn du zu uns gehören und glücklich sein willst, mußt du dich mit mir verbrüdern.« Der Mann willigte in den Vorschlag und verbrüderte sich mit dem Greise. Und nachdem sie sich verbrüdert hatten, sprach der Greis zu ihm: »Nun, Bundesbruder, wollen wir uns gegenseitig beschenken, ich schenke dir Kraft und Reichthum, und du sollst mir für diese beiden[143] Gaben nur deine Seele geben.« Der Mann, wiewohl er ein böser Mensch war, bedachte sich doch ob er seine Seele wegschenken solle, allein die Furcht überwältigte ihn, und so beschenkten sie sich gegenseitig. Der Greis hauchte ihn an, in dem Augenblicke wuchsen ihm Flügel, ein Schweif und am Kopfe kleine Hörner, dann gab er ihm einen zweizackigen Stab, der roth wie Feuer war indem er zu ihm sprach: »Nimm diesen Stab, und so oft du in Geldes Nöthen bist, brauchst du mit demselben nur an irgend einen Gegenstand zu klopfen, und alsbald wird das Geld zu Hunderten von der Gattung, die du verlangen wirst, hervorquellen.« Der Mann war hierüber ganz vergnügt, und als der Morgen anbrach, trennte er sich von seinem Bundesbruder und zog so, wie er nun war, weiter.

Nach langem Wandern gelangte er zu einem großen Felsen, und fing an mit dem Stabe sein Glück zu versuchen, indem er damit an den Stein schlug und dazu sprach: »Lauter gelbe Dukaten möchte ich haben.« Da quollen aus dem Stein so viele Dukaten hervor, daß er ganz von ihnen bedeckt ward, und bald erdrückt worden wäre, und laut aufschrie: »Bundesbruder! Bundesbruder! Ich gehe zu Grunde.« Da kam der Bundesbruder herbeigeflogen und frug: »Hier bin ich, was fehlt dir?« »Sieh doch,« antwortete der Mann, »wie die Dukaten mich überströmen und erdrücken wollen.« Und der Bundesbruder antwortete ihm: »Sage nur, schon genug! so werden sie aufhören herauszuströmen.« Da sprach der Mann gleich: »schon genug!« und alsbald versiegte der[144] Dukatenquell. »Nun,« sprach der Alte, »nimm so viel du tragen kannst und geh von Ort zu Ort und kaufe mit diesem Golde Seelen.« Nachdem der Bundesbruder von ihm Abschied genommen, setzte er seinen Weg fort und gelangte in eine Stadt, wo an einem Kreuzweg angelangt, er plötzlich fühlte, daß das Gold von seinen Schultern, auf welchen er es trug, verschwunden war; er sah sich um und gewahrte einen Mönch, der an der Straßenecke saß und einen Rosenkranz in den Händen hielt. »Ha!« sprach er zu sich selbst, »den Mönch dort will ich anführen und aus ihm Dukaten fließen lassen.« Und er ging hin zum Mönche, klopfte an ihn mit seinem Stabe und sprach: »Blanke Thaler und Dukaten!« Doch, statt daß Geld geflossen wäre, zerfloß der Stab in seinen Händen, der Mönch aber machte über den Rosenkranz das Zeichen des Kreuzes, und legte ihm denselben aufs Haupt mit den Worten: »Möge Gott dich bekehren.« In dem Augenblicke durchdrang den Mann ein Schauer, und er verwandelte sich wieder in einen Menschen, wie er ehedem war.

Da sprach der Mönch zu ihm: »O Christ! bereue deine Sünden und bete zu Gott und danke ihm, der das Flehen deiner Eltern im Himmel in demselben Augenblicke vernahm, als du deine Seele verkauft hattest, entsage von nun an den höllischen Schätzen und arbeite.« Der Mann verneigte sich, dankte dem Mönche, ihm die Hände küssend, ging heim, bekehrte sich und lebte als echter Christ bis in das höchste Alter, und Gott sei mit uns!

Quelle:
Karadzic, Vuk Stephanovic: Volksmärchen der Serben. Gesammelt und aufgezeichnet von Wuk Stephanowitsch Karadschitsch. Ins Deutsche übersetzt von Wilhelmine Karadschitsch. Berlin: Reimer, 1854, S. 142-145.
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