28. Wie sich die Tochter eines Kaisers in ein Lamm verwandelte.

[170] Es lebte einmal ein Kaiser, der hatte eine Frau die er über Alles liebte. Ihrer Ehe war eine einzige Tochter entsprossen, als diese zum Verheirathen herangewachsen war, da erkrankte die Kaiserin, und fühlend, daß sie nicht mehr aufkommen werde, ließ sie den Kaiser, ihren Gemahl, zu sich rufen, und sprach unter Thränen: »Schon naht die letzte Stunde meines Daseins, und ehe der Hahn zum dritten Male kräht, werd ich zu leben aufgehört haben. Ich weiß, daß du nach meinem Tode dich wieder zu vermählen wünschen wirst, und, wenn es nur dein Glück ist, dann sei es dir von Gott und mir Sünderin vergeben! Doch bei dieser und jener Welt höre und befolge was ich dir nun sagen[170] will. Nimm hier diesen Ring, und wenn du ein Mädchen findest, um das du werben möchtest, so vermähle es dir nicht, wenn ihm der Ring nicht an den Zeigefinger der rechten Hand genau paßt, und drei Mal beschwöre ich dich bei Himmel und Erde nur jenes Mädchen an meiner Stelle zur Frau zu nehmen, dem der Ring ganz genau paßt, befolgst du dies nicht, dann soll Alles was du arbeitest und unternimmst, dir mißlingen, und um was du Gott bittest soll dir nicht gewährt werden, spurlos und ohne Nachkommen sollst du von der Erde gehen.« Der Kaiser versprach und schwur ihr, sich mit keinem Mädchen zu vermählen, dem der Ring nicht recht wäre, und wenn er kein solches fände, unverheirathet zu bleiben. Da antwortete ihm die Kaiserin: »Du wirst schon Eines finden, nur brich den Schwur nicht, sonst wird es dir schlimm ergehen, nur brich den Schwur nicht,« und mit diesen Worten verschied sie.

Nach dem Tode seiner Frau schickte der Kaiser Boten durch die ganze Stadt allen Mädchen den Ring probieren zu lassen, ob er nicht Einer genau paßte, und als er in der ganzen Stadt keinem Mädchen recht war, da sandte er die Boten durch die weite weiße Welt, zu suchen, ob sie nicht irgendwo Eines fänden, doch vergebens! Denn nach langer Zeit kehrten die Diener heim und sagten dem Kaiser, sie hätten in der ganzen Welt kein Mädchen finden können, welchem nicht der Ring entweder zu groß oder zu klein gewesen wäre. Der Kaiser befand sich in großer Verlegenheit, was er nun thun sollte: er hätte gerne wieder geheirathet, und[171] fand kein Mädchen, den Schwur hätte er gerne gebrochen, aber er wagte es nicht, aus Furcht, daß der Fluch ihn dann treffen werde, und von solchen Gedanken gequält, warf er eines Tages unmuthig den Ring von sich, und was geschah? Der Ring prallte vom Boden auf und fiel seiner eigenen Tochter in den Schooß. Diese, den schönen goldenen Ring sehend, nahm ihn und steckte sich ihn auf den Zeigefinger der rechten Hand, und die Hand ihrem Vater hinreichend, sprach sie: »Sieh Väterchen, wie er mir schön steht.« Als aber der Kaiser das sah, da schwanden ihm aus Ueberraschung die Sinne, daß er einen halben Tag lang nicht zu sich kommen kann, bis seine Tochter auf ihn zu sprang, ihn mit ihren Armen umschlang, und in ihrem Leide um ihn heftig zu weinen anfing, da erst erwachte er aus der Ohnmacht, und sprach zur Tochter: »Du sollst meine Gemahlin und an der Stelle deiner verstorbenen Mutter Kaiserin werden, denn so hat es Gott bestimmt.«

Die Tochter wunderte sich ob solcher Rede, und glaubte Anfangs, daß der Vater wahnwitzig und seines Verstandes beraubt sei, nachdem sie aber sich lange gegen dies Ansinnen gesträubt hatte, und zuletzt keinen Ausweg mehr übrig sah, was begann sie da, um der Vermählung mit ihrem Vater zu entgehen, damit nicht ein Geschlecht dem andern davon sprichwörtlich erzähle? Sie beschließt sich zu tödten, und thut es auch, indem sie des Vaters Handschar (Messer) ergriff und ihn sich durchs Herz stößt. Wie der Vater dies sah, ließ er eine Zauberin kommen, und diese sagte ihm: »Da hast du eine[172] Flöte, stelle dich damit zum Haupte deiner Tochter und blas darauf vom ersten Sonnenstrahl bis zur späten Dämmerung, so wird sie wieder lebendig werden.« Dieß that der Kaiser, und kaum hatte er neben der todten Tochter zu blasen angefangen, als sie sich auch schon aufrichtete. Da umarmte er sie, und befahl, Alles was zum Hochzeitsfest nöthig war, für den nächsten Tag zu bereiten. Als aber dies die Tochter vernahm, da ergriff sie des Vaters Schwert, schlug sich damit die linke Hand ab, die rechte aber ließ sie im Feuer verbrennen. Den nächsten Morgen, als die Diener Alles zur Hochzeit bereiteten, da ging einer von ihnen hin zum Kaiser und sagte ihm, er habe seine Tochter ohne Hände gesehen. Der Kaiser eilte hin und nachdem er sich davon überzeugt hatte, schickte er eilends wieder nach der Zauberin, die gab ihm ein Kraut, und kaum hatte er damit der Tochter die Armstümpfe bestrichen, da wuchsen ihr wieder ganz solche Hände nach, wie sie ehedem hatte. Hierauf ließ sie der Vater strenge bewachen, damit sie nicht nochmals versuchen könne, sich das Leben zu nehmen. Und als sie sich nichts mehr zu Leid thun konnte, und hin und her die Gemächer durchschritt, erblickte sie in einem Winkel des Hauses einen Stab, der aus purem Golde war, auf welchem mit blutigen Lettern geschrieben stand: »Berühre mich nicht.« Erstaunt darüber und nicht wissend, was dies wohl bedeuten könne, nahm sie den Stab in die Hand, doch in dem Augenblick, als sie ihn durch die Hand gleiten ließ, verwandelte sie sich in ein Lamm, das blökend durch das Schloß lief. Die erschrockenen und[173] erstaunten Diener eilten zum Kaiser ihm das zu melden, und als er es mit eigenen Augen gesehen hatte, ließ er so schnell als möglich wieder die Zauberin kommen, die aber gestand, daß sie nun kein Mittel wisse, dem Mädchen zu helfen, er möge andere Zauberinnen befragen. Der Kaiser ging hierauf noch zu vielen des Zaubers kundigen Frauen, doch jede sagte ihm, daß sie nicht im Stande seien dem Mädchen seine frühere Gestalt wieder zu geben, und so blieb denn der Kaiser unverheirathet.

Das Lämmchen aber war immer bei ihm und sprang und blökte an seiner Seite, und er fütterte und pflegte es wie sein Kind, und an dem Tage als der Kaiser verschied, starb auch das Lämmchen.

Quelle:
Karadzic, Vuk Stephanovic: Volksmärchen der Serben. Gesammelt und aufgezeichnet von Wuk Stephanowitsch Karadschitsch. Ins Deutsche übersetzt von Wilhelmine Karadschitsch. Berlin: Reimer, 1854, S. 170-174.
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