35. Die Stiefkinder.

[205] Es war einmal ein Wittwer, der hatte zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen, und als er sich wieder verheirathete, brachte die zweite Frau auch eine Tochter mit ins Haus, welche sie sehr liebte und bevorzugte, während die armen Stiefkinder von ihr gehaßt und auf alle Weise gequält wurden. Zuletzt sprach sie zu ihrem Mann: »Höre mich, mein Mann, deine Kinder sind mir so unerträglich, daß ich sie nicht mehr ansehen kann. Du sollst sie daher von Hause wegführen, oder wir Beide werden fortan kein Brod mehr zusammen essen.« Der Mann suchte sie zu besänftigen,[205] indem er ihr entgegnete: »Laß ab von solchem Begehren, so du Gott fürchtest, wohin sollte ich sie führen?« »Wo immer hin,« antwortete das Weib, »führe sie hinaus in das Gebirge und überlaß sie dort ihrem Schicksal.« Nach langem Sträuben willigte der Mann zuletzt doch ein, und versprach die Kinder den folgenden Tag hinaus zu führen und im Gebirge draußen zu verlassen.

Alles dies hatte aber seine Tochter mitangehört und weinend sprach sie zu ihrem Bruder, der jünger war als sie: »Ach mein lieber Bruder! morgen will uns der Vater ins Gebirge hinaus führen und dort verlassen. Doch weißt du, was wir thun sollen? Wir wollen unsere Taschen mit Asche füllen, unter Wegs werde ich immer ein wenig davon ausstreuen, und wenn sie mir ausgeht, dann sollst du es fortsetzen, und so werden wir später der Asche nachgehend, uns aus dem Gebirge zurück nach Hause finden.« Als der Morgen anbrach, schlichen die Armen hinaus und füllten sich ihre Taschen mit Asche, als sie nun der Vater hieß mit ihm gehen, gingen sie willig mit, und wie sie so weit und immer weiter gingen, streuten die Kinder den ganzen Weg entlang immerzu ein wenig von der Asche. Wie sie schon recht tief im Walde waren, sprach der Mann: »Kinder setzt euch hier ein wenig nieder, ich will gleich wieder kommen.« Die Kinder setzten sich, er aber schlich sich davon und kehrte nach Hause zurück. Die Kinder warteten lange auf den Vater, als es sie aber zu hungern anfing, und der Tag sich zu neigen begann, machten sie sich auf, und immer der Asche nachgehend,[206] gelangten sie wieder nach Hause. Da sie es aber nicht wagten gleich hinein zu gehen, versteckten sie sich unter dem Vordache neben dem Fenster und horchten, was im Hause drinnen vorging und gesprochen wurde. Da saß der Mann eben mit seinem Weibe beim Abendbrod, und während sie aßen, sprach das Weib: »Wenn nun deine beiden Kinder da wären, möchte ich ihnen das Bischen Rinde geben, so hätten auch sie etwas zum Abendbrod.« Da riefen die Kinder durchs Fenster: »Da sind wir, Mutter,« und liefen hinein. Als man sie befragte, auf welche Art sie denn zurück gekommen seien, da gestand der Knabe treuherzig, daß sie mit Hülfe der von ihnen gestreuten Asche nach Hause gefunden hätten. Nachdem sie ihr Abendbrod verzehrt und sich schlafen gelegt hatten, drang das Weib abermals in ihren Mann, die Kinder den nächsten Tag gleich wieder fortzuführen, sie wolle die Asche schon verstecken, damit sie nimmer wiederkämen. Die armen Kinder, welche noch nicht schliefen, hörten alles mit an, und als sie am frühen Morgen aufstehend im ganzen Hause keine Asche finden konnten, füllten sie sich heimlich die Taschen mit Kleie, und als sie der Vater abermals hinausführte in das Gebirge, fingen sie wieder abwechselnd davon auszustreuen au. Nachdem er sie recht tief in den Wald hinein geführt hatte, zündete er ihnen ein Feuer an, und hieß sie sich daneben hinsetzen, er aber nahm eine Kürbisflasche, that, als wollte er Wasser holen, und schlich sich weg, ging nach Hause und ließ die armen Kleinen allein im Walde zurück.[207]

Die aber saßen lange am Feuer und warteten auf den Vater, als es aber schon Nacht zu werden begann, und er noch immer nicht kam, wollten sie, die Spur der Kleie verfolgend, den Rückweg antreten, aber sieh! die Kleie war verschwunden, irgend ein Thier des Waldes mußte sie aufgezehrt haben. Wie das die Kinder sahen, fingen sie bitterlich zu weinen an und kehrten zum Feuer zurück. Bald darauf kamen ein Paar Juden gegangen, welche, als sie das Feuer gewahrten, darauf zu gingen und die Kinder fragten, was sie hier thäten, und ob nicht Jemand bei ihnen sei? nachdem ihnen die Kinder Alles erzählt hatten, auf welche Art sie hergekommen seien, sprachen die Juden: »Kommt mit, bei uns soll es euch gut gehen.« Die Kinder willigten ein und folgten den Juden, welche sie mit sich fort nach Hause nahmen. Sie hatten aber daheim Niemanden als eine alte Mutter, der übergaben sie die Kinder als sie nach Hause kamen. Alsbald wurde der Knabe von ihr in ein Ställchen gesperrt, um gemästet zu werden, das Mädchen aber sollte der Alten dienen. Als der Knabe feist geworden war, befahlen die Juden eines Morgens, ehe sie ihrem Geschäft nachgingen, der Mutter, den Knaben zu braten, damit sie ihn, wenn sie Abends heim kämen, verzehren könnten. Aber das Mädchen, welches während der Zeit, die es unter den Juden verlebte, etwas von deren Sprache erlernt hatte, verstand nun was die Juden ihres Brüderchens wegen zur Mutter gesagt hatten. Da ging sie hinaus und sprach zu ihrem Bruder: »Brüderchen, heute sind die Juden fortgegangen,[208] und haben der Mutter befohlen dich zu braten. Doch das soll nicht geschehen, vielleicht gelingt es uns die Alte in den Ofen zu schieben.« Nachmittag heizte die Alte den Ofen, holte dann das Kind herbei, um es hinein zu schieben, und sagte ihm, es möge sich auf die Schaufel setzen. Da sprach sein Schwesterchen zur Alten: »Mutter, er ist noch jung und unerfahren und weiß nicht wie er sich anstellen soll, setze du dich daher zuerst, damit wir es sehen können.« Die Alte that es und setzte sich auf die Schaufel, da faßten sie die Kinder eilends, schoben sie in den Ofen, und nun mußte die Alte braten.

Hierauf verließen die Kinder das Haus und eilenden Laufes erreichten sie einen Fluß, über den eine Brücke führte; als sie diese überschritten hatten, nahm am jenseitigen Ufer sie ein dichter Wald auf.

Als Abends die Juden hungrig heim kamen, riefen sie sogleich der Mutter ihnen das Essen aufzutragen, aber im Hause ward Niemand sichtbar, nur ein Bratengeruch kam ihnen entgegen, und als sie zuletzt selbst den Braten aus dem Ofen holten, erkannten sie in demselben ihre Mutter, und brachen nun ungesäumt auf die Kinder zu verfolgen. Wie sie aber an jenen Fluß kamen, da war ein Platzregen niedergerauscht, der hatte die Brücke weggerissen, und als sie keine Möglichkeit sahen über das Wasser zu kommen, so kehrten sie wieder um. Mittlerweile waren die Kinder rathlos im Walde umher geirrt, zuletzt an eine Quelle gekommen, an welcher sie ein Weib fanden, und nachdem sie ihm ein Gott helfe dir zugerufen, stillten sie ihren Durst, und setzten[209] sich nieder um auszuruhen. Da sprach das Weib zu dem Mädchen: »Töchterchen! ich möchte gerne meinen Kopf in deinen Schooß legen, daß du mich ein wenig krauest.« Und das Mädchen erwiederte: »Herzlich gerne, Mutter!« Da legte das Weib seinen Kopf in des Mädchens Schooß, und fragte, woher sie denn Beide wären? Mit Thränen erzählte das Mädchen umständlich, wer sie seien und wie es ihnen ergangen war und sprach zuletzt: »Mutter, wie duftet doch dein Haupt!« Da erhob sich das Weib aus des Kindes Schooße, betrachtete das betrübte weinende Mägdelein, und sprach zu ihm: »Wohin du gehen magst, soll dich das Glück begleiten; wenn du weinst, sollen statt der Thränen Perlen deinen Augen entströmen, und bei jedem Worte, das du sprichst, soll eine goldene Rose von deinen Lippen fallen.« Hierauf zeigte sie den Kindern wie sie gehen müßten um auf den rechten Weg zu kommen. Da machten sich die Kinder auf und gingen weiter, das Weib blieb an der Quelle zurück. Und als sie auf die Straße hinaus kamen, gingen sie gerades Wegs nach Hause. So wie das Mädchen seinen Vater und die Stiefmutter erblickte, fing es zu weinen an, und die Stiefmutter gewahrte, daß ihm statt der Thränen Perlen aus den Augen quollen, da breitete sie ihr die Arme entgegen, küßte und umarmte sie und rief: »Wohl mir, daß du wieder da bist! Wo warst du nur so lange?« Nun hub das Mädchen zu erzählen an, und bei jedem Worte das es sprach, entfiel eine goldne Rose ihrem Mund. Darüber steigerte sich die Verwunderung der Stiefmutter noch mehr, und sie[210] fragte: »Wo ist dir dieser Segen zu Theil geworden?« Das Mädchen sagte ihr, wie sie im Gebirge da und da an einer Quelle ein Weib angetroffen hätten und wie es von diesem gesegnet worden sei. Worauf die Stiefmutter weiter fragte: »ist das Weib wohl noch dort? damit ich meine Tochter zu ihr schicken kann, daß auch ihr dieser Segen zu Theil werde.« »Wir haben sie an der Quelle dort zurückgelassen, ich glaube wohl, daß sie noch da sein werde,« war des Mädchens Antwort. Nun fing die Stiefmutter ihre Tochter zu bereden an, auch hin zu gehen; diese widersetzte sich Anfangs sehr, aber zuletzt gelang es den Bitten der Mutter dennoch, sie dahin zu bringen, daß sie sich aufmachte, das Weib an der Quelle zu suchen. Anstatt aber, als sie hinkam, dem Weibe ein freundliches Gott helfe dir zuzurufen, sagte sie nichts, und murmelte bloß in sich hinein: »Da wäre nun die Trulle, möge Gott sie tödten!« worauf sie sich mit dem Trunke labte und an der Quelle niedersetzte, wie ihr bedeutet worden war. Alsbald näherte sich ihr das Weib mit den Worten: »Laß mich meinen Kopf in deinen Schooß legen, damit du mich ein wenig krauest.« »Ich wills thun,« entgegnete das Mädchen, »aber was für einen garstigen Schädel du da hast! ich wäre, fügte es weinend hinzu, gar nicht hergekommen, wenn nicht die Mutter mich dazu gezwungen hätte.« Da sah das Weib die Dirne bedeutsam an, und sprach: »Fortan, wenn du weinst, sollen blutige Zähren deinen Augen entquellen, und wenn du sprichst, sollst du zischen und geifern,[211] daß dich Niemand anhören kann.« Hierauf kehrte das Mädchen zu seiner Mutter heim, welche es schon mit Ungeduld erwartete und freudig zu seinem Empfange die Arme öffnete, als es aber zu sprechen begann und zu geifern und zu sprudeln anfing, da wich die Mutter entsetzt zurück, denn sie wußte nicht, was ihm geschehen war. Da hub das Mädchen zu weinen an und sprach: »Daran bist du Schuld,« und blutige Thränen überströmten dabei ihre Wangen.

Die Kunde von seiner glücklichen Stiefschwester verbreitete sich aber bald und drang bis zum Kaiser, der um sie für seinen Sohn warb, sie nahm ihren Bruder mit sich, und Beide lebten glücklich bis an ihr Ende. Die häßliche Stieftochter blieb bei ihrer Mutter und ihrem Stiefvater unverheirathet ihr Leben lang.

Quelle:
Karadzic, Vuk Stephanovic: Volksmärchen der Serben. Gesammelt und aufgezeichnet von Wuk Stephanowitsch Karadschitsch. Ins Deutsche übersetzt von Wilhelmine Karadschitsch. Berlin: Reimer, 1854, S. 205-212.
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