40. Kaiser Dukljan.

[228] Es war einmal ein Kaiser, der hieß Dukljan. Als er eines Tages jagte, tiefe Klüfte und dichte Gebüsche durchstreifend, erblickte er einen See, zu dem er sich leise hinschlich, zu sehen, ob es nicht dabei etwas zu jagen gebe. Wie er sich so dem See näherte, gewahrte er plötzlich ein geflügeltes Roß, auf dem ein geflügelter Mann saß, dem[228] goldnes Haar bis zur Ferse niederwallte, aus dem See sich erheben. Und wie der Kaiser dies sah, verbarg er sich um zu lauschen, was der Mann wohl beginnen würde. Sobald der Mann auf trocknem Boden war, stieg er vom Pferde, ergriff eine lange Flöte, gewunden und buntscheckig wie eine der größten Schlangen anzusehen, und fing darauf zu blasen an, so schön wie man es beim lieben Gott selber nicht hören könnte, und bei dem Klange fingen die Felsen und Bäume sich zu bewegen an. Der Kaiser erschrak, spannte seinen Bogen nach dem Mann, und verwundete ihn tief durch beide Flügel. Da stürzte der Mann zusammen, und schrie vor Schmerz und Jammer, daß man es bis zum Himmel hören konnte, »Danke Gott o Mensch!« rief er aus, »daß du mich eher erblicktest als ich dich.« Kaum hatte der Kaiser gesehen, daß der Mann verwundet war, so eilte er mit blankem Säbel auf ihn zu, der Mann aber huschte, verwundet wie er war, in den See. Da fing der Kaiser des Mannes Pferd, bestieg es und eilte damit nach Hause. Doch kaum hatte er sich aufgesetzt, als auch ihm Flügel zu wachsen anfingen, da stieg er erschrocken wieder ab und führte das Pferd am Zügel weiter, nachdem er eine Weile gegangen war, verschwanden auch die Flügel wieder welche ihm gewachsen waren, und so kam er nach Hause. Hier nun erzählte er Alles was sich zugetragen hatte und das geflügelte Pferd ward auf seinen Befehl in den Stall zu den andern Pferden geführt. Des Kaisers Sohn, der die ganze Erzählung von dem See aufmerksam angehört hatte, entfernte sich eines Morgens heimlich vom Vater, und[229] gelangte in der That an den geschilderten See; doch nicht auf den Fußspitzen schlich er hinzu, sondern ging mit gespanntem Bogen darauf los, ehe er aber hinkam, gewahrte er am Ufer desselben eine Frau mittleren Alters, weinend und mit aufgelöstem Haar, und sobald sie ihn anblickte, fiel er zur Stelle in eine tiefe Ohnmacht. In dem Augenblicke als ihm dieser Unfall zustieß, in dem Augenblicke fing das geflügelte Pferd in dem kaiserlichen Stalle so heftig zu wihern und mit den Flügeln zu schlagen an, daß davon das kaiserliche Schloß erbebte. Der Kaiser eilte herbei um zu sehen was es wäre, da sprach das Pferd zum Kaiser: »Willst du deinen Sohn noch lebend sehen, so bringe mich eilends zurück an jenen Ort, von wo du mich weg geführt hast.« Erschrocken bestieg der Kaiser das Pferd ungesattelt, und kaum befand es sich im freien Felde, als es einem Blitze gleich dem See zuflog. Dort angekommen erblickte der Kaiser seinen Sohn todt hingestreckt, und über ihn gebeugt ein Weib, welches weinte und ihm mit einem Haar beide Augen aus dem Kopfe stach. Da brach der Kaiser in Wehegeheul um seinen Sohn, das Pferd aber in durchdringendes Wihern um das Weib aus, und das weise Pferd rief aus: »Laß uns Sohn für Sohn austauschen, und was er am Vater verübt hat sei ihm vergeben.« Da gab das Weib dem Prinzen die Augen wieder und blies ihn an, und als er ins Leben zurück gekommen war, übergab ihn das Weib dem Kaiser, und dieser dem Weibe dafür das Pferd.

Quelle:
Karadzic, Vuk Stephanovic: Volksmärchen der Serben. Gesammelt und aufgezeichnet von Wuk Stephanowitsch Karadschitsch. Ins Deutsche übersetzt von Wilhelmine Karadschitsch. Berlin: Reimer, 1854, S. 228-230.
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