45. Der König und der Hirte.

[244] Ein König hatte eine Tochter die sehr schön war. Der Ruf ihrer Schönheit hatte sich durch die ganze Welt verbreitet, und Könige und Kaiser gingen hin um sie zu freien, oder auch nur aus Begierde sie zu sehen. Allein ihr Vater wollte sie keinem Andern geben, als dem der ihn an Klugheit überträfe, und dem es gelänge ihn auf irgend eine Weise zu überlisten. Dies vernahm in der Ferne ein reicher Mann, und machte sich aus weiten Landen auf, und durch viele Länder und Städte kommend, führte ihn sein Weg eines Abends vor das Haus eines reichen Mannes. Als er nun da wegen eines Nachtlagers anfrug, nahm ihn der Hausvater bereitwillig auf und antwortete, du kannst zu Nacht bleiben, warum solltest du es nicht? Hierauf schlachtete der Wirth des Gastes wegen gleich ein Schaf, und als es zum Abendessen aufgetragen ward, legte er dessen Kopf für den Hirten bei Seite, der noch im Gebirge draußen bei den[244] Heerden war. Als der nächste Morgen graute, setzte der Wanderer seinen Weg fort, um des Königs Tochter zu freien. Wie er so durch das Gebirge ging, traf er den Hirten jenes Hauses, wo er zu Nacht gewesen war, und redete ihm Gottes Hilfe zurufend, ihn an: »Du weidest deine Heerde gut!« Der Hirte antwortete ihm: »Ich weide sie, damit sie sich satt weide.« »Ich bin gestern über Nacht bei euch gewesen,« sprach der Reisende, worauf der Hirte versetzte: »Dein Weg hat dich daher geführt.« Und der Wanderer sprach weiter: »Als ich in euer Haus kam, wurde für mich ein Lamm geschlachtet.« »Wenn Leute kommen, ziemts sich wohl, daß man Fleisch schlachte,« antwortete der Hirte. »Für dich haben wir den Kopf bei Seite gelegt,« sagte der Wanderer, und der Hirt antwortete: »Der Kopf taugt auch dem Kopfe.« Der Wanderer fuhr fort: »Das Hausgesinde hat ihn auf die Wandleiste gelegt, da kam die Hündin und fraß ihn auf.« »Für sie hat er auch gehört,« antwortete der Hirte. »Da kam dein Vater und erschlug die Hündin,« sagte der Wanderer weiter, worauf der Hirte entgegnete: »Wenn er sie erschlagen hat, hat sie es auch verdient.« »Nachdem sie erschlagen war, warf man sie auf den Mist,« sagte weiter der Wanderer, und der Hirte antwortete: »Warf man sie auf den Mist, so hat sie da auch bei Lebzeiten gelegen.« Als der Wanderer vernahm, wie der Hirte auf Alles zu antworten wußte, war er sehr verwundert und überlegte bei sich, daß dies wohl ein passender Freier für jene Königstochter wäre, also sprach er zu ihm: »Bei deiner Treue komm näher und laß[245] uns noch ein wenig miteinander reden.« Der Hirte antwortete ihm: »Warte ein klein wenig bis ich die Heerde heim geführt habe!« Hierauf beeilte sich der Hirte, leitete die Schafe heim und kam dann zu dem Manne zurück, der alsbald sprach: »Sieh, guter Freund, ich habe mich aufgemacht, um bei dem und dem Könige um seine Tochter zu freien, doch will er sie nur demjenigen zur Frau geben, der weiser als er selber sei, und dem es gelinge ihn auf irgend eine Art zu überlisten. Nun bemerke ich, daß du klaren Verstandes seiest, gut und klug zu sprechen verstehest; möchtest du wohl mit mir zu jenem Könige kommen?« Der Hirte sprach: »Ich gehe mit.« Und so gingen sie miteinander fort, und kamen in die Stadt, wo derselbe König lebte. Als sie an das königliche Thor kamen, trat ihnen die Wache entgegen und fragte sie: »Wo geht ihr hin?« Sie sprachen zur Wache: »Wir gehen zum König und wollen sein Töchterlein freien.« Da antwortete die Wache: »Jeder der da kommt um das Mädchen zu werben, wird ungehindert eingelassen,« und ließ sie eintreten.

Als sie zum König hinauf kamen, nahm der reiche Mann zuerst das Wort und sprach: »Gott helfe dir durchlauchtigster König.« Und der König entgegnete ihm den Gruß mit den Worten: »Möge Gott euch Gutes geben, Kinder!« aber hierauf sprach er zu dem Reichen: »Weshalb ist jener Bauer in groben Kleidern hergekommen?« Doch der Hirte ließ dem Reichen nicht Zeit zu antworten, sondern trat selbst vor und sprach: »Wenn ich auch ein Bauer bin und in[246] schlechtes Zeug gekleidet, so habe ich doch mehr Reichthum als die in prächtigen Stoffen einhergehen, zu allem Ueberflusse auch drei Tausend Schafe. In einem Thale melke ich, in einem zweiten mach ich Käse, in dem dritten schichte ich sie auf.« Da sprach der König: »Es ist gut wenn du so viel Vermögen hast.« Doch der Hirte entgegnete: »Das ist nicht gut, sondern übel.« Sprach der König: »Wie kann es übel sein, wenn du so viel Gutes davon sagst?« Und der Hirte erwiederte: »Ha, weil mir der ganze Käse verdarb und zu Dünger ward.« Der König: »Schade, das ist kein geringer Verlust.« Und der Hirte erwiederte: »Mir war das kein Schade, sondern ein Nutzen.« Da fragte der König: »Wie so das?« Und der Hirte antwortete: »Ich nahm Pflug und Ochsen, pflügte dreihundert Morgen Landes, und säete lauter Waizen.« Darauf sprach der König: »Es war gut, daß du so viel Waizen gesäet hast.« Aber der Hirte entgegnete: »Gott behüte, das war nicht gut, sondern übel.« Sprach der König: »Was Elender?« antwortete der Hirte: »Der Waizen verwandelte sich mir, und es wuchsen statt seiner lauter Buchen und Tannen auf.« Da rief der König aus: »Oh, das war ein großer Schade!« Doch der Hirte entgegnete: »Mir war das gar kein Schade, sondern ein Vortheil.« Sprach der König: »Wie konntest du davon Vortheil haben, daß sich dir so viel Waizen verwandelte?« Und der Hirte antwortete: »Weil ein Bienenschwarm herangeflogen kam und sich auf jenen Buchen und Tannen niederließ, so dicht, daß weder Rinde noch Ast mehr zu sehen war.« Da sprach[247] der König: »Das war gut, daß so viele Bienen heranflogen.« Aber wieder entgegnete der Hirte: »Das war nicht gut, sondern übel.« Sprach der König wieder: »Was Bursche?« Und der Hirte antwortete: »Die Sonnenglut im hohen Sommer schmelzte die Wachszellen, daß sie sammt dem Honig hinunter flossen bis zur Erde.« Worauf der König sprach: »Bei Gott, das war in der That übel!« Doch der Hirte entgegnete: »Gott behüte! das war nicht übel, sondern gut.« Und wieder fragte der König: »Wie so, Bursche?« Und der Hirte antwortete: »Ich fing einen Floh, tödtete ihn, zog ihm die Haut ab, und machte daraus einen Schlauch für dreihundert Lasten.« Da rief der König aus: »Dies heißt doch bei Gott lügenhaft sprechen.« Worauf der Hirte antwortete: »Wenn es auch lügenhaft gesprochen ist, hast du mirs doch im Ernst geglaubt. Ich habe dich genug getäuscht, gieb mir daher das Mädchen, ich habe es verdient.« Da wußte der König keinen Ausweg, sondern gab dem Hirten das Mädchen, der Hirte aber gab es dem reichen Manne, und der Reiche gab ihm dafür eine Menge ungezählten Goldes.

Quelle:
Karadzic, Vuk Stephanovic: Volksmärchen der Serben. Gesammelt und aufgezeichnet von Wuk Stephanowitsch Karadschitsch. Ins Deutsche übersetzt von Wilhelmine Karadschitsch. Berlin: Reimer, 1854, S. 244-248.
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