48. Handwerk geht über Alles.

[258] Ein Kaiser machte einst mit Frau und Tochter eine Lustfahrt auf dem Meere, bald aber nachdem sie sich von der Küste entfernt hatten, erhob sich ein Sturm, der das Schiff bis an ein fremdes Land verschlug, in welchem man von seinem Reiche nie etwas gehört hatte, so wie auch ihm das Land gänzlich unbekannt war. Als sie ans Land stiegen, wagte er nicht einmal zu sagen, daß er ein Kaiser sei, und da er kein Geld bei sich hatte, auch sonst kein Handwerk verstand und auf andere Weise sich und die Seinen zu ernähren nicht im Stande war, so verdingte er sich als Hüter einer Dorfheerde. Nachdem er nun da mehrere Jahre zugebracht hatte, verliebte sich der Kaisersohn jenes Landes in seine Tochter, welche sehr schön und herangewachsen war, daß sie heirathen konnte; er gestand seinen Eltern, daß er sich nie mit einem andern Mädchen als mit der Tochter des Rinderhirten dieses Dorfes verheirathen werde. Vater und Mutter, so wie auch die übrigen Hofleute, suchten es ihm auszureden, indem sie sagten, daß es für ihn, der unter so vielen kaiserlichen und königlichen Prinzessinnen wählen könne, eine Schande sei, die Tochter eines Rinderhirten zur Frau zu nehmen. Aber Alles war vergeblich, denn er sprach: »Entweder sie oder keine!« Als man sich überzeugt hatte, daß da nichts Anderes[259] mehr zu thun sei, sandte der Kaiser einen seiner Räthe an den Rinderhirten, ihm zu melden, daß der Kaiser die Hirtentochter zu seines Sohnes Frau erwählt habe. Der Rath begab sich zum Hirten und theilte ihm den Entschluß des Kaisers mit, der Hirte aber sprach: »Welches Handwerk versteht des Kaisers Sohn?« Worauf der Rath verblüfft erwiederte: »Gott mit dir, o Mann! wie sollte ein Prinz ein Handwerk verstehen? Handwerke lernen nur die Leute um sich zu ernähren, und des Kaisers Sohn besitzt ja Länder und Städte.« Doch der Rinderhirt entgegnete einfach: »Ja, wenn er kein Handwerk versteht, kann ich ihm meine Tochter nicht geben.« Da ging der Rath zurück und berichtete dem Kaiser, was der Rinderhirt gesagt hatte, worüber bei Hofe gewaltiges Erstaunen war. Man hatte geglaubt, es würde des Hirten größtes Glück, sein größter Stolz sein, wenn des Kaisers Sohn seine Tochter zur Frau nähme, und nun fragt er, welches Handwerk der Prinz verstehe! Der Kaiser entsandte einen zweiten Rath, aber der Rinderhirt sagte ihm wieder dasselbe. »So lange,« sprach er, »des Kaisers Sohn nicht irgend ein Handwerk erlernt, und mir seiner eigenen Hände Arbeit nicht als Beweis davon bringt, können wir uns nicht näher befreunden.« Als auch dieser Rath zurück kam und berichtete, daß der Rinderhirt das Mädchen dem Prinzen nicht eher zu geben gesonnen sei, als bis dieser irgend ein Handwerk, und wäre es auch das unbedeutendste, erlernt habe; ging der Prinz aus, um in den Werkstätten zu sehen, welches Handwerk wohl am leichtesten zu erlernen sei. Wie er so von Laden zu[260] Laden ging, und zusah was die verschiedenen Meister arbeiteten, kam er auch vor eine Bude, in welcher man Schilfmatten flocht, und da ihm dies das leichteste aller Handwerke schien, so fing er es zu lernen an, und nachdem er es in einigen Tagen erlernt hatte, flocht er ganz allein eine Matte, welche man dann dem Rinderhirten hintrug und dabei sagte, daß der Prinz bereits ein Handwerk erlernt habe und dies seiner Hände Arbeit sei. Der Rinderhirt nahm alsbald die Matte in die Hand und sie von allen Seiten betrachtend, fragte er: »Wie viel ist sie werth?« Und man sagte ihm: »Vier Para1.« »Eh!« sprach er, »gut. Vier Para heute, vier morgen, das macht acht, und vier übermorgen, das macht zwölf und so weiter. Hätte ich dieses Handwerk verstanden, würde ich heute nicht die Rinderhüten,« hierauf erzählte er ihnen wer er sei und was ihn hieher gebracht habe. Da freute man sich, daß man um die Tochter eines Kaisers und nicht eines Rinderhirten geworben hatte, und unter den größten Lustbarkeiten ward das Mädchen mit dem Jünglinge vermählt und die Hochzeit gefeiert. Hierauf gab man dem Vater des Mädchens ein Schiff und Krieger und er ging zur See und gelangte wieder in sein Reich.

1

Eine kleine türkische Scheidemünze im Werthe eines Pfennigs.

Quelle:
Karadzic, Vuk Stephanovic: Volksmärchen der Serben. Gesammelt und aufgezeichnet von Wuk Stephanowitsch Karadschitsch. Ins Deutsche übersetzt von Wilhelmine Karadschitsch. Berlin: Reimer, 1854, S. 258-261.
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