18. Der starke Hans

[17] Einem Manne starb seine Frau und hinterließ ihm drei Töchter; da nahm er sich eine andere Frau, die gebar ihm einen Sohn, und den nannten sie Hans, und diesen hatte die Mutter so lieb, das sie ihn sieben Jahre immerfort saugte. Das wurde dem Mann endlich zuviel, und als sie ihn eines Tages saugte, sprach er im Ärger: »Ei, das du eine Kuh wärest!« Alsbald war sie eine Kuh, und er schickte nun seinen kleinen Sohn jeden Tag mit seiner Mutter auf die Weide, und das war diesem recht, denn er sog nun fort den ganzen Tag. Sein Vater gab ihm, wenn er morgens ausging, einen Kuchen aus Asche mit, aber den warf der Knabe jedes mal fort. Als der Junge in kurzem sehr groß und stark wurde, wunderte sich der Vater, und er dachte, das kann doch nicht vom Aschkuchen kommen, und er sagte zu seiner jüngsten Tochter: »Gehe mit deinem Bruder heute mit und siehe zu, was er den Tag über macht.«

Als sie in das Feld kamen, warf Hans sein Brot fort. Seine Schwester fragte ihn: »Was willst du jetzt essen.« Da sagte Hans: »Ich lebe vom Winde!« Er hatte aber ein Fläschchen bei sich, wer daraus trank, der verfiel sogleich in einen festen Schlaf. Sowie er nun hungrig wurde, sagte er zu seiner Schwester: »Komm und trinke einmal aus meinem Fläschchen!« Sie tat es und schlief alsbald ein. Da ging Hans zu seiner Mutter und sog an ihr bis zum Abend. Als sie nach Hause kamen, fragte der Vater seine Tochter: »Was hat Hans heute getan« Da sprach sie: »Als wir hinaus in das Feld kamen, so warf er sein Brot fort, und als ich ihn fragte, was er essen wolle, sagte er: ›Ich lebe vom Winde!‹«.

Am anderen Morgen schickte der Mann seine ältere Tochter mit; dieser ging es wie der ersten, und sie konnte ihrem Vater auch nichts mehr sagen. Am dritten Tage sagte der Mann zu seiner ältesten Tochter: »Gehe du heute mit und gib gut acht, was dein Bruder tut.« Als sie ins Feld kamen, warf Hans seinen Aschkuchen fort und rief: »Solche Speise kann ich nicht brauchen!«

»Wovon lebst du denn?« fragte ihn die Schwester. »Du hast es ja gehört, daß ich vom Winde lebe!« Da lächelte sie und dachte bei sich: »Warte, du wirst mich nicht betrügen!« Wie er wieder hungrig ward, gab er seiner ältesten Schwester aus dem Fläschchen zu trinken. Sie verfiel sogleich in Schlaf; allein sie hatte im Nacken noch zwei geheime Augen, die blieben immer offen, und wenn jene zwei auf der Stirne schliefen, sah sie mit diesen alles, was um sie verging. Hans ging wieder zu seiner Mutter und sog wie bisher. Als sie nun abends nach Hause kamen und der Vater seine Tochter fragte: »Hat dein Bruder heute auch vom Winde gelebt?« sagte sie: »Nein«, und erzählte, was vorgegangen war. Da wurde der Mann zornig und sprach zu Hans: »Weil du immerfort gesogen und mich und deine Schwestern hintergangen hast, sollst du morgen mit der Kuh sterben!«

Da ward der Knabe traurig, ging in den Stall zu seiner Mutter und klagte ihr die Not. »Fürchte dich nicht, mein Kind«, sprach sie, »komme nur, bevor der Tag anbricht, zu mir« Als er zur bestimmten Zeit kam und sie losband, nahm sie ihn zwischen ihre Hörner und lief weit weg in einen einsamen Wald, so das man nichts von ihnen hören konnte. Hier sog er noch fort, bis wieder sieben Jahre voll waren, dann sprach seine Mutter zu ihm: »Gehe hin und reiße die dickste Eiche aus und stelle sie auf die Spitze.« Er ging und riss sie aus, aber mit der Spitze konnte er sie nicht auf den Boden stellen. Da sagte seine Mutter; »Du mußt noch sieben Jahre saugen« Als diese um waren, sprach sie zu ihrem Sohne: »Jetzt hast du dreimal sieben Jahre gesogen, gehe nun wieder hin und versuche es mit der dicksten Eiche!« Hans ging und riss die dickste Eiche aus, als wäre es eine Gerte, die man in den Erdboden gesteckt, und stellte sie leicht auf die Spitze. »So ist es recht« sprach die Mutter, »nun kannst du für dich selber sorgen, gehe jetzt aus in die große Welt «

Da lief die Kuh fort, und Hans machte sich aus der Eiche eine Keule und wanderte hinaus in die Welt. Wie er so ein Stück gegangen war, wurde er sehr durstig; da sah er zwischen zwei Bergen ein kleines Flüßchen hervorkommen. Er ging hin, um zu trinken. Oben auf dem Berge saß aber ein dicker Mann, der zerrieb Steine, also, daß dasWasser ganz trüb wurde. Hans rief hinauf: »Heda, nicht trübe mir das Wasser, sonst komme ich hinauf, und dann wehe dir!« Jener aber lachte, rieb noch ärger und rief: »Ich bin der Steinzerreiber, ich möchte dich wohl auch zu Staub zerreiben!« Da ward Hans zomig, lief hinauf und schlug ihn bis unter die Achsel in den Erdboden. »Lasse mich leben, ich will dein Knecht sein«, flehte der Steinzerreiber. »Es ist mir recht!« sprach Hans, zog ihn wieder heraus, und sie gingen miteinander weiter. Sie kamen in einen Wald und sahen da einen langen, baumhohen Mann, welcher die krummen Bäume gerade und die geraden krumm machte. Da drohte ihm Hans und sprach: »Lasse die Bäume gleich so, wie sie gewachsen sind, sonst wehe dirl« Aber der Langmann lachte, fuhr fort in seinem Geschäfte und rief: »Ich bin der Baumdreher, dir möchte ich wohl auch den Hals umdrehen!« Da ward Hans zornig, ging hin und schlug ihn auf den Boden, daß es so krachte, als hätte der Sturm eine mächtige Eiche niedergeschmettert. Der Langmann bat um sein Leben und sagte, er wolle sein Knecht sein; da zog ihn Hans heraus, und sie gingen miteinander weiter.

Nach einigen Tagen trafen sie im Wald ein kleines Haus, aber kein Mensch war drinnen. Da sprach Hans: »Hier wollen wir wohnen, und während zwei auf die Jagd gehen, soll einer zu Hause bleiben und etwas kochen.« Am ersten Tage blieb der Steinzerreiber zu Hause. Wie er nun das Essen zubereitete, kam nur einmal ein kleiner Mann mit einem sieben Ellen langen Bart hinein und jammerte: »Ach, wie friere ich!«

»Nun so komm und wärme dich« sprach der Steinzerreiber. Der kleine Mann ging zum Herde, stieß aber sogleich den Topf um und lief dann hurtig fort. Als die beiden andern hungrig nach Hause kamen und Essen verlangten, erzählte der Knecht, wie es ihm gegangen sei. Hans aber war zornig, nahm seine Keule und schlug auf den Knecht, bis ihm der Hunger verging. Am folgenden Tage blieb der Baumdreher zu Hause, und es ging ihm wie dem Steinzerreiber. Der kleine Mann kam wieder, stieß den Topf um und lief dann hurtig fort, und als die beiden hungrig nach Hause kamen und nichts fanden, so schlug Hans den Knecht ebenfalls mit seiner Keule, bis ihm der Hunger verging. Am dritten Tag sagte Hans: »Jetzt will ich zu Hause bleiben!« Der kleine Mann kam wieder und jammerte: »Ach, wie friere ich!«

»So komm und wärme dich«, sprach Hans; er setzte sich aber neben den Topf und achtete auf den Kleinen. Wie dieser den Topf wieder umstoßen wollte, so packte ihn Hans schnell am Bart, nahm den Löffel und schlug ihn aufs Maul und aufs Kreuz, daß er ganz stumm und träge wurde; dann trug er ihn hinaus und umwand seinen Bart um einen Baum und vernagelte ihn. Darauf machte er in der Stube das Essen fertig.

Als die andern nach Hause kamen, freuten sie sich, wie sie nun den Hans auch unter den Prügel nehmen sollten; allein sie fanden das Essen fertig, und so mußten sie ruhig sein. Als sie gegessen hatten, sprach Hans: »Jetzt kommt und seht den kleinen Mann, der euch den Topf umgestoßen, ich habe ihn draußen an einen Baum gebunden!« Als sie aber hinauskamen, war der Kleine samt dem Baum verschwunden; doch war, wo der Baum gestanden, ein großes Loch. »Warte«, sprach Hans, »ich will dich schon finden.« Da machten sie ein langes Seil aus Baumrinde und ließen den Hans hinunter; das dauerte aber dreimal sieben Tage, bis er auf den Grund gelangte, und da war erst noch ein langer dunkler Gang; endlich wurde es wieder hell, und ein neuer Himmel tat sich hier auf. Hans sah einen großen Palast und ging hin. Da fand er in dem innersten Zimmer drei schöne Königstöchter, die immerfort klagten und weinten. Als sie den starken Hans erblickten, sprachen sie: »Du armes Menschenkind, wie kommst du hierher? Unser Herr ist ein Drache mit zwölf Häuptern, wenn er dich hier trifft, so bist du verloren!«

»Ich fürchte mich nicht!« sprach Hans, »käme er nur bald, ich werde mit ihm schon fertig werden!« Nur einmal kam der Drache und schnaubte Wut und Feuer: »Ich rieche Menschenfleisch!«

»Du hast einen feinen Geruch, abscheuliches Ungetüm!« rief Hans und sprang hervor auf den Drachen los, umfaßte ihm alle Häupter und erwürgte ihn, den zappelnden Leib und Schwanz aber schlug er mit seiner Keule nieder, daß er sich nicht mehr regte imd rührte. Da waren die Königstöchter froh und erzählten, wie sie entführt worden seien, dankten dem starken Hans und baten ihn, er solle sie jetzt auch hinaus auf die Oberwelt führen. Hans ging aber zuerst in alle Zimmer und besah sich die Gelegenheit; da fand er in dem letzten einen unermeßlichen Schatz von Gold und Silber und Edelstein, den nahm er mit sich und führte nun auch die Königstöchter durch den dunkeln Gang an die Öffnung in die Oberwelt. Er rief aber seinen Gesellen hinauf, er bringe drei Königstöchter und einen großen Schatz: die beiden ältern Königstöchter sollten ihnen gehören, die Jüngste aber solle sein Weib werden, den Schatz sollten sie teilen; nur sollten sie jetzt alles hinaufziehen.

Als der Steinzerreiber und Baumdreher die drei Jungfrauen und den Schatz hinaufgezogen hatten, sahen sie, daß die Königstöchter sehr schön waren, die Jüngste aber war die Schönste; sie sprachen untereinander: »Er soll sie nicht bekommen; wir ziehen ihn bis zur Hälfte, dann lassen wir los, daß er zerschmettert! «Hans aber merkte ihre Bosheit, band einen dicken Stein an das Seil, und wie sie diesen bis in die Mitte gezogen hatten, ließen sie los, und der Stein fiel herab und zerschellte auf kleine Stücke. Die beiden waren froh, nahmen den Schatz und die Königstöchter und gingen weiter; aber bald fingen sie untereinander an zu streiten, denn jeder von ihnen wollte die Jüngste haben.

Indessen dachte Hans, wie er hinauskäme. Er ging lange herum und wußte sich nicht zu helfen; endlich fand er in einem Winkel den kleinen Mann mit dem sieben Ellen langen Bart, der noch immer um die Eiche umwunden war. Dieser mußte sich mit der Eiche fortschleppen und ihm einen anderen Weg auf die obere Welt zeigen. Sie gingen und kamen nach langer Zeit an einen mächtigen hohen Baum, der mit seiner Spitze weit nach der Oberwelt ragte. Da sagte der Kleine zu Hans: er solle nur da hinaufsteigen, so werde er schon in die obere Welt kommen. Als Hans sieben Tage gestiegen war, kam er endlich in die Spitze; von da sah er weit, weit ein kleines Licht, und das war in der Oberwelt; aber wie sollte er nun dahin kommen? Indem er darüber nachdachte, sah er auf dem Baum ein großes Nest vom Vogel Greif, darin waren junge Vögel. Da kroch eben eine gewaltige Schlange am Baum herauf, die wollte die kleinen Vögel fressen. Wie nun die Kleinen die Schlange merkten, flatterten sie voll Angst herum und schrieen: »Lieber Mann, hilf uns, sonst sind wir verloren!« Da zerschmetterte Hans mit seiner Keule der Schlange das Haupt, faßte ihren Leib dann in beide Hände und zerquetschte und zerknitterte sie auf tausend Stücke. Indem kam auch der alte Vogel Greif. Wie er den Hans von Blut bespritzt bei dem Neste sah, dachte er gleich: »Ha, der hat deine Kinder umgebracht«, ward wütend und verschluckte den Hans gleich im ersten Grimm. Nun sah er aber seine Kleinen wohlbehalten, und diese erzählten, wie der Mann sie vor der bösen Schlange gerettet habe und klagten und weinten, daß er nun dafür so schlecht belohnt sei. Da spuckte der alte Vogel den Hans wieder aus, und der war nun viel schöner und herrlicher; er sprach aber auch zu Hans: »Weil du meine Kinder gerettet hast, so wünsche dir etwas!«

»Trage mich auf die Oberwelt!« sprach Hans zum Vogel Greif. »Das soll geschehen doch mußt du mir erst sieben Fässer Wein und sieben Löwen heraufbringen, daß ich Nahrung habe auf dem Wege, denn er ist weit länger, als du glaubst.«

Hans stieg hinunter und brachte alles herauf, belud den Vogel und setzte sich auf seinen Hals. Da hob sich derselbe und flog dem kleinen Lichte zu; sooft er rief: »Fleisch, Wein!« gab ihm Hans immer einen Löwen und ein Faß Wein. Als alles aufgezehrt war, gelangten sie auch auf die Oberwelt. Hans stieg ab und dankte dem Vogel; der senkte sich jetzt wie der Blitz hinunter in sein Nest. Hans wanderte fort und traf bald zwei Königssöhne, die in die Welt zogen und sich Frauen suchten. »Kommt mit mir!« sprach Hans, und sie folgten ihm. Da dachte er an seine falschen Knechte und an die schönen Königstöchter und an die jüngste und schönste, die er zu seinem Weibe bestimmt hatte.

Nicht lange, so traf er seine Knechte, wie sie noch miteinander im Kampfe lagen. Keiner der beiden gönnte dem anderen die jüngste Königstochter. Die drei Jungfrauen aber standen von weitem und sahen zu. Da trat Hans plötzlich unter die Kämpfer, wie sie sich gerade umschlungen hatten, und sie standen gleich steif und erstarrt vor Schrecken, und Hans rief mit furchtbarer Stimme: »Ha, ihr Feigen und Elenden, weil ihr mich betrügen wolltet, so empfanget jetzt eurem Lohn!« Damit hob er seine Keule und schlug beide auf einen Schlag tot. Dann ging er zu den Königstöchtern und sprach zu der jüngsten, ob sie ihn zum Gemahl haben wolle. Sie sagte nicht nein, und Hans freute sich und sprach zu den beiden älteren Jungfrauen: »Weil jede Frau ihren Mann haben muß, so will ich auch für euch sorgen« Er führte sie jetzt zu den beiden Königssöhnen und gab einem jeden eine; er teilte auch den großen Schatz mit diesen, und dann feierten sie miteinander die Hochzeit und waren über die Maßen froh und glücklich.

Unser Herr Christus wanderte mit Petrus und Johannes durch mancherlei Länder, um zu sehen, wie es in der Welt ginge. Da kamen sie eines Abends zu einem Zigeuner und baten um Herberge. Nur die Frau war zu Hause; der Mann war im Wirtshaus. »Ich möchte euch gerne aufnehmen«, sprach die Zigeunerin, »aber mein Mann wird euch mißhandeln, wenn er nach Hause kommt!«

»Nu, es wird ja nicht so arg sein!« sprach der Herr; »wir legen uns gleich in den Winkel zum Schlafen, und da wird er uns schwerlich bemerken!« Jetzt wollte sie die Zigeunerin nicht abweisen, sie machte eine Streu, und die drei Wanderer legten sich: der Herr zunächst, Johannes in die Mitte, Petrus an die Wand. Als der Zigeuner schwer angetrunken nach Hause kam, fing er an zu schelten und zu lärmen und auf seine Frau loszuschlagen: »Du glaubst, ich sei betrunken, du lügst!«

»Aber Mann, ich habe ja gar nichts gesagt!« Indem erblickte er die drei auf dem Boden. »Ha, Schlange, wen hast du hier?«

»Es sind müde Wanderer!«

»Ei zum Donner, konnten die nicht auf der Gasse schlafen?« Da ließ er seine Frau und fing nun auf den ersten besten an zu schlagen, und das war Christus. Der Herr regte und rührte sich nicht. Als am Morgen die Wanderer dankten und fortgehen wollten, hatte der Zigeuner seinen Rausch verschlafen und bat um Verzeihung, daß er sie mißhandelt habe; er habe es nicht gerne getan, allein wenn er lustig sei, müsse er jemanden schlagen. Der Herr sprach sanftmütig: »Schon gut, kein Mensch ist ja ohne Fehler!« Damit gingen sie fort. Nach einem Jahr aber kehrte der Herr mit den beiden Jüngern wieder da ein. Der Zigeuner war auch jetzt nicht zu Hause, sondern, wie gewöhnlich, wenn er Geld hatte, im Wirtshaus. Christus hatte sich diesmal in die Mitte gelegt. Als der Zigeuner betrunken heimkam, schalt und lärmte er abermals und schlug auf seine Frau, und als diese ihm sagte, es seien wieder die drei armen Wanderer da, ließ er seine Frau und schlug auf den mittlern los. »Die Reihe ist jetzt an dem!« sprach er bei sich; es war aber wieder Christus, den er geschlagen hatte. Am andern Morgen bat er abermals um Verzeihung, und der Herr sagte wieder: »Schon gut, kein Mensch ist ja ohne Fehler!« Zum drittenmal, wieder nach einem Jahre, kehrten die drei Wanderer bei dem Zigeuner ein; jetzt hatte sich Christus an die Wand gelegt. Als der Zigeuner betrunken aus dem Wirtshaus nach Hause kam, schlug er mit Vorbedacht den dritten. »Jetzt dürfen sie einander nichts vorwerfen!« sprach er bei sich: »jeder hat sein Teil bekommen«; allein Christus hatte auch diesmal die Schläge empfangen. Als sie am andern Morgen Abschied nahmen, bat der Zigeuner wieder gar sehr um Verzeihung für seine Unart; er meine es gar nicht schlecht; allein wenn er in der Lust sei, müsse er jemanden schlagen. Da freute sich der Herr, daß er im Grunde ein so gutes Herz habe, und sprach zu ihm: »Erbitte dir dreierlei Gnade!«

»So bitte ich«, sprach der Zigeuner, »um einen Beutel voll Geld, der nie leer wird, zum zweiten um einen Spiegel, mit der Eigenschaft, daß, wer einmal hineinsieht, sich nicht von der Stelle rühren kann, bis ich ihn nicht fortstoße, und zum dritten um einen Birnbaum vor meinem Haus, stets voll von Früchten, mit der Eigenschaft, daß, wer hinauf kriecht, nicht herunterkommen kann, bis ich ihn nicht herunterstoße.«

»Es soll dir werden!« sprach Christus, und damit zog er mit Petrus und Johannes weiter. Der Zigeuner freute sich sehr, wie er am nächsten Tage seine Wünsche erfüllt sah. »Jetzt habe ich, was mein Herz begehrt; nun kann ich immerfort lustig leben!« Von da an war er jeden Tag vom Morgen bis zum Abend im Wirtshaus und lebte wie ein Kaiser oder König, aß stets Schweinefleisch und trank stets süßen Rosoli. Endlich aber, als es Zeit war, daß er sterben sollte, kam der Teufel und sprach: »Na, Bruder Midi, jetzt bist du mein, auf und folge mir!«

»Gleich auf der Stelle, nur daß ich meine Sachen zusammennehme, sieh indes in jenem Spiegel, was für ein schöner Kerl du bist!« Der Teufel tat das gerne; denn er denkt ja auch, er sei schön, und wo er kann, besieht er sich im Spiegel. Der Zigeuner ging in seine Schmiede und machte eine Zange glühend und kam dann und faßte den Teufel an seiner Nase, versengte und dehnte sie; der Arme konnte sich nicht von der Stelle rühren; er brüllte aber vor entsetzlichem Schmerze. Da stieß ihn zuletzt der Zigeuner, daß er zur Türe hinausflog. Der Teufel aber war froh und lief, daß er kein Leben hatte. Der Zigeuner dachte: »Der wird dir gewiß nicht wiederkommen!« Als der Teufel außer Atem in der Hölle ankam, erzählte er seinem Vater und seinem Bruder, was ihm begegnet sei, und die mußten die Wahrheit an seiner Nase erkennen. »Du elender Kerl!« sprach sein Bruder, »warte, ich will ihn gleich lehren und holen!« Da ging er zum Zigeuner, und ohne einen guten Tag zu bieten, rief er von der Gasse, denn er wollte gar nicht ins Zimmer, damit er nicht in den Spiegel sehe, ihm trotzig zu: »He, Midi, du bist mein, auf, folge mir!«

»Auf der Stelle!« sprach der Zigeuner: »ich will nur ein wenig einsacken, daß wir auf dem weiten Wege zu essen haben!« Damit ging er hinaus und brachte einen großen Kohlensack und sprach zum Teufel: »Sei so gut und krieche auf den Baum und fülle diesen Sack, bis ich meine Reisekleider anlege.« Das gefiel dem Teufel, denn er hatte die schönen Birnen schon lange angesehen und sie zu kosten gewünscht. Der Zigeuner aber ging in die Schmiede, nahm eine lange Eisenstange, schärfte sie an dem einen Ende und machte die Spitze ganz glühend. Dann kam er und stach damit auf den Teufel, daß dieser laut aufheulte; er kroch immer höher am Baum, damit der Zigeuner ihn nicht mehr erreichen könne. Der aber nahm zuletzt eine Leiter und stocherte immerfort den Teufel in die Seite; der war zuletzt bis in die höchste Baumspitze hinauf, da brach diese ab, und er plumpste wie ein Sack herunter und brach noch ein Bein. Dennoch raffte er sich schnell auf und lief unter großem Geheul in einem fort bis in die Hölle. Da kam sein Bruder schadenfroh und rief: »Aha! da hast's! sagt' ich dir's! da hast's!« Der Zerschlagene aber hielt immerfort die Hände in seine zerstochenen Seiten und zeigte seinen zerbrochenen Fuß und jammerte entsetzlich. Der alte Teufel stand da und wußte nicht, was er sagen solle. Endlich seufzte er: »Das muß ein gedonnerter Kerl sein! Den möchte ich auch kennenlernen!« Er hatte aber dennoch keine Lust hinzugehen. Der Zigeuner lebte von da wieder lustig und ungestört noch eine gute Zeit. Als er endlich fühlte, daß er sterben müsse, befahl er, daß man ihm seine lederne Schürze, Vorschürze und Nägel, Hammer und Zange neben ihn lege. Als er gestorben war, kam er vor die Himmelstüre und klopfte an. Da erschien Petrus gleich mit den vielen Schlüsseln und öffnete. Wie er aber den Zigeuner sah, rief er: »Du gehörst nicht hieher, du hast lüderlich gelebt!« und schlug damit die Türe gewaltig zu. Da bat der Zigeuner gar untertänig, er möge ihn doch einlassen, er wolle alle Schmiedearbeit im Himmel umsonst tun und schlug auch gleich einige Nägel in die Himmelstüre, die herausgefallen waren; aber Petrus war nicht zu erweichen. Da blieb dem Zigeuner nichts anders übrig, als in die Hölle zu gehen und da sein Glück zu versuchen. »Da hast du wenigstens das Feuer umsonst!« tröstete er sich, »und kannst immer deines Handwerks pflegen.« Als er an das Höllentor angelangt war, nahm er seinen Hammer und klopfte. Da kam der junge Teufel mit der langgedehnten Nase und sah durch die Torritze; gleich erkannte er den furchtbaren Mann und lief voll Entsetzen davon und schrie: »Er ist hier, er ist hier!« Als der andere das hörte, der auf dem Baum gesessen, lief er mit, und den alten Teufel packte die Furcht anfangs auch, und er lief gleichfalls, und sie kamen in den innersten Höllenwinkel und verkrochen sich. Der Zigeuner aber klopfte fort und immer stärker. Da sprach der alte Teufel: »Ich möchte ihn doch auch nur sehen«, und wie sehr ihn die beiden Söhne zurückzuhalten suchten, so ging er doch, denn seine Neugierde war zu groß. Er öffnete das Tor nur ein wenig und steckte seine Nase hinaus. Tschack! schnappte der Zigeuner die Spitze davon mit seiner Zange ab. Der Alte drückte die Türe schnell zu, klemmte aber dabei seinen Bart ein und konnte jetzt nicht frei werden, wie sehr er herumzerrte; seine Söhne fürchteten sich aber, ihm zu Hilfe zu kommen, und so mußte der Alte seinen Geist elendiglich aufgeben, und seitdem spricht man nicht mehr vom alten Teufel, sondern nur von seinen Söhnen, dem langnasigen und dem hinkenden Teufel. Die Zeit aber wurde dem Zigeuner vor dem Höllentor endlich zu lang; er versuchte noch einmal an der Himmelstüre; doch Petrus blieb unerweichlich. Zuletzt wurde er auch zornig und sprach: »Weil man mich denn weder in den Himmel noch in die Hölle einläßt, so ist es mir recht; ich gehe wieder auf die Erde, da gefällt es mir ohnehin besser!« Und so findet man den Zigeuner bis auf den heutigen Tag hier. Wenn er Geld hat, ist er im Wirtshaus; hat er keins, ergeigt er sich einen Trunk oder er nimmt den Hammer und macht Schuh- und Lattnägel.

Quelle:
Haltrich, Josef: Deutsche Volksmärchen aus dem Sachsenlande in Siebenbürgen. Wien: Verlag von Carl Graeser 1882, S. 17-18.

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