49. Der Kreuzträger

[48] Ein Bauer hatte eine gar böse Frau; die zankte vom Morgen bis zum Abend mit ihm, und wie sehr er sich Mühe gab, so konnte er ihr doch nichts recht machen. Eines Tages dachte der Arme bei sich: ›Du willst etwas versuchen!‹ und ging damit in die Stadt zu einem Maler und bat diesen, er solle ihm den Teufel malen. »Aber wozu?« fragte der Maler verwundert. »Ach, Herr Maler«, sprach der Bauer jammernd, »ich habe daheim eine böse Frau, die zankt ewig mit mir, so daß ich es nicht länger aushalten kann; sie möchte ich nun mit dem Teufel schrecken!«

»Das hilft Euch nichts!« sagte der Maler mitleidig, »denn leider treibt ein Teufel den andern nicht aus!«

»So malet mir den Scharfrichter«, bat der Bauer wiederum. »Das wäre für Euch selbst nicht gut«, sprach der Maler, »denn sie würde sagen: ›Siehe da, der wird dich kriegen, weil du deine Frau so schlecht hältst!‹«

»So malet mir den Tod!« bat der Bauer fort, »daß sie sich fürchtet, wenn sie ihn sieht!«

»Auch das hilft Euch nichts!« sagte der Maler, »denn der Tod würde sich am Ende mehr fürchten!«

»So will ich denn«, rief der Bauer unwillig, »mir einen Strick drehen und, wenn sie zankt, zuschlagen, bis der Zankteufel ausfährt!«

»Auch damit erreicht Ihr nichts«, sagte der Maler, »denn mit jedem Schlag zieht ein neuer Teufel in Eure Frau ein!«

»Nun, was soll ich denn tun? So ratet mir doch«, jammerte der Bauer, »ich kann ja länger nicht aushalten!«

»Euer Kreuz mit Geduld tragen!« sprach der Maler. Hatte dieser vielleicht auch schon die traurige Erfahrung gemacht oder machte sie noch fort? Der Bauer ging sehr unbefriedigt nach Hause; doch klangen ihm die Rezeptworte in den Ohren fort, und als seine Frau gleich bei seinem Eintritt ihn wieder hart anfuhr und schalt, nahm er sie geduldig, ohne etwas zu erwidern, auf und trug sie hin und her. »Wozu das?« sprach die Frau. »Ein weiser Mann hat mich gelehrt: ich solle mein Kreuz mit Geduld tragen!« Nun schämte sich die Frau und zankte von da an nicht mehr. 50. Die beiden Prahler und der Bescheidene Drei Studenten, die aus einem Dorfe waren, kamen nach Hause und hielten bei dem Pfarrer um die erledigte Lehrerstelle an. Der Pfarrer aber sagte: Er müsse erst wissen, was jeder von ihnen gelernt hätte, um die Stelle dann dem Würdigsten zu verleihen. Da sprach der erste ganz stolz: »Herr Pfarrer! Ich habe so viel gelernt, daß ich in zehn Jahren das nicht erzählen könnte, was ich weiß!« Der zweite sprach noch hochmütiger: »Das ist alles blutwenig; ich aber habe so viel gelernt, daß man's nicht niederschreiben könnte, wenn das Meer lauter Tinte und der ganze Himmel Papier wäre.« Der dritte sagte ganz bescheiden: »Herr Pfarrer! Ich habe zwar immer gelernt, aber das, was ich weiß, ist so wenig gegen das, was man wissen kann, daß es fast nichts ist!« Da antwortete der Pfarrer: »Ihr, die ihr alles gelernt habt, könnt überall in der Welt euer Fortkommen finden; es ist aber nur recht und billig, daß wir für den sorgen, der das nicht kann!« So wurde der Bescheidene Schulmeister; die Prahler aber zogen mit Schande ab und halten noch immer in der Welt ihre Gelehrsamkeit feil.

Quelle:
Haltrich, Josef: Deutsche Volksmärchen aus dem Sachsenlande in Siebenbürgen. Wien: Verlag von Carl Graeser 1882, S. 48-49.