Der Todte und die Seele.

[110] Wenn man im Traume Kähne mit weissen Leuten fahren sieht, oder auf der Spree schwarze Holzklötze, stirbt einer308. Neustadt.

Wenn einer sterben soll, reisst es beim Sargmacher in der Säge. B.

Wenn einer stirbt, sollen die Fenster aufgemacht werden, nichts liegen bleiben, alles Vieh aufgetrieben, die Uhr angehalten, das Bettstroh verbrannt, und Seife und Leichenwasser eingegraben werden. B.

Dem Todten werden Gesangbücher mitgegeben in den Sarg, kašć; Kindern: Eier (??) und Aepfel (?) in der Hand.

Was der Todte mithaben will, soll er mitkriegen,309 bloss nicht seinen Namen in der Wäsche und keine Nadeln, sonst ziehen sich die Nadeln alle nach seinem Munde. Dem Todten, der viel getrunken hat, soll man Pfeife, Branntweinflasche u.s.w. mitgeben, sonst hat er keine Ruhe im Grabe.

Wenn sich dem Todten die Augenlieder nicht schliessen, legt man ihm kleine Steine,310 »Pinksteine« (Feuersteine zum Feueranschlagen) auf die Augen.

Wenn die Leiche weich (śěło měke jo) ist, holt sie einen anderen nach.

Dem Todten soll nichts über Mund oder Gesicht hängen, sondern alles frei sein. G.-S.

Dem Topfe, worin das Leichenwasser war, soll man den Boden ausschlagen und Hirse přoso durchschütten, und die säen, dann fressen sie die Vögel nicht.

Ebenso aus der Mütze vom Verstorbenen, (wothumŕeta mica) Samen, den Vögel wegfressen, wie Hirse, Weizen, säen oder einen »abgestorbenen« Schlüssel in der Saat haben, wenn man sie sät.

Um Wanzen (sćonwa, sćonawa) los zu werden, soll man drei oder mehr in einen Federkiel thun und beim Todten heimlich in den Sarg (kašć) stecken. B.

Vor dem Tode wird ein jeder auf die Erde, auf Stroh gelegt, und verlangt auch meist danach. Dazu wird frisches Stroh auf die Dielen gelegt, weil sonst niemand im (Todten-) Bette des Todten würde liegen wollen. Wenn die Leiche in den Sarg kommt, dann wird das Stroh irgendwo auf das Feld getragen und verbrannt, denn es muss verbrannt werden, und das Leichenwasser, womit der Todte abgewaschen wurde, über die Brandstelle »weggegossen«. Wer darüber geht, verdorrt. Wenn aber Vögel etliche Male darüber hinweggeflogen sind, schadet es nichts mehr. S.[110]

Wenn eine Leiche aus dem (Todten-) Hause herausgetragen wird, wird sie auf jeder Schwelle im Hause niedergesetzt. S.

Wenn einer zum Begräbnisse311 geht, so soll er vor dem [Trauer-] Hause, vor der Thüre, etwas »lassen«, z.B. das Gesangbuch, die Mütze u.d.m., Frauen ein Tuch u.a.S.

In ein »abgestorbenes« Buch (wothumŕete knigły) soll man einen abgestorbenen Schlüssel legen. Zwei (oder mehrere) müssen es halten. Dann fragt man, wer von den Betheiligten länger leben wird. Das sieht man, wenn das Buch »aufsteht« und sich »dreht«, und wer zuerst stirbt. B.

Wenn etwas gestohlen worden ist, nimmt einer von zweien ein abgestorbenes Sieb (křida), hält es an einer Strippe und fragt, indem er an den denkt, auf den er Verdacht hat: »Du hast es mir genommen, ty sy mě to zeł«. Und der andere sagt: »Ja njejsom zeł, ich habe es nicht genommen«. Ist dreimal so gefragt worden und der Verdächtige schuldig, so dreht sich das Sieb dreimal um. Ist er unschuldig, so dreht es sich nicht um. B.

Das Mundtuch vom Todten soll man, wenn man es der Leiche nicht mitgiebt, beim »Prozesse« mit auf das Gericht nehmen, dann geht einem alles nach Wunsch und Willen. B.

Die Seele, duša, – sieht aus wie eine weisse Frau, běła žeńska, – war eine weisse Frau (v). Jämlitz oder Gablenz.

Wenn einer sich das Leben genommen hat, »thut er spucken«, geht als Hund oder Mensch herum, nur des Nachts, nicht bei Tage, aber er scheint es nur und ist es nicht. Kein Gespenst thut einem Menschen etwas, wenn ihm der Mensch nichts thut. B.

Wenn die Todten keine Ruhe in der Erde haben, kommen sie manchmal wieder, sich Ruhe zu suchen. B.

Wenn jemand Unrecht gethan, die Grenzen verrückt hat, gaž jaden jo mróki dalej stajił, so geht er nach dem Tode um und hat keine Ruhe312 im Grabe. Solche schreien dann abends an den Grenzen. B. I, 240.

Ein Conducteur [Feldmesser], der falsch gemessen hatte, musste nach seinem Tode mit einem Schimmel herumfahren. Schleife oder Burg.

Wenn jemand irgendwo erschlagen [jeden zabite] war, haben die Vorübergehenden Zweige auf die Stelle geworfen313. S.[111]

Im Dorfe Teicha Hatk bei Daubitz Dubc war vor ungefähr hundert Jahren ein Mann, mit Namen Meissner. Der musste allemal, wenn jemand sterben sollte, mit dem Tode als Begleiter gehen. Er sah den Tod, aber kein anderer hat ihn können sehen. Einst starb er und war schon im Sarge, stand wieder nach dreien Tagen auf und lebte dann noch zehn Jahre. Wusste314 alles, wie es im Himmel ist, durfte aber nicht viel davon sprechen. S.

308

»Wenn einer sterben soll, sieht mancher [im wachen Zustande] Leichenwagen, schwarzen Rauch u.d.« Heiligensee.

309

»Der Jude kriegt Geld mit in das Grab und einen Beutel Steine, damit er den Heiland werfen kann.« Lausitz.

310

Bei den Niederwenden ebenfalls kleine Steinchen, in Ermangelung solcher Kastanien, Kindern Pferdebohnen (bob).

311

Der Abend vor dem Begräbnisse heisst: pusty wjecor (pusty = wüst, öde, vereinsamt).

312

Als der Sohn des Vieh- duchtař Schmidt, eines alten Spreewaldwenden, in schwerer Krankheit niederlag, bat er vielmals um »Schlippermilch« (samosydk). Aber der Vater gab ihm keine, denn er dachte, es würde ihm schaden. Dann starb das Kind. Vater und Mutter waren untröstlich. Dann (nach seinem Tode) kam der Sohn wieder, fasste die Mutter, die sehr um ihn weinte, bei der Hand und sprach: »Mama a nan, žo b'źomy na tu rolu źins hinwandrowaś? Mutter und Vater, wo werden wir heut auf den Acker hinwandern?« – Als er einmal mit mir hiervon sprach, fing der alte Mann an bitterlich zu weinen und war so ergriffen vor Rührung, dass er nicht weiter sprechen konnte, weil er Reue fühlte, dass er damals seinem Kinde nichts gegeben und ihm nicht den Wunsch erfüllt hätte.

313

Eine solche Stelle heisst »todter Mann«. Einen t.M. sah ich (1880) in freundlicher Begleitung des Försters H. Haiduschka in der herrschaftlich Weisskulmer Forst. Er liegt am Kreuzwege von Burghammer nach Weisskulm und von Riegel nach Geisslitz. Reisig und Zweige waren von den Vorübergehenden hingeworfen und bildeten den Grabhügel. Ein Fuhrmann hatte einen grossen Würfel Schlacke (aus dem Eisenwerke zu Burghammer, wie sie in der Umgegend zum Bauen verwendet werden) hinzugefügt. Es heisst: »vor hundert Jahren war ein reicher Schwarzviehhändler in Weisskulm, der wollte noch spät abends nach Burghammer. Das erfuhren Mörder und lauerten ihm am Kreuzwege auf. Um Mitternacht kam jemand. Den erschlugen sie und fanden nur drei Pfennige bei ihm, denn es war ein armer Handwerksbursche. Der reiche Schweinehändler aber hatte den Weg geändert und war nach Spremberg gegangen. Darum wirft noch jetzt ein jeder ein Reis auf die Stelle«. Scheibe. Vergl. Haupt, Sagenbuch d. Laus., II, S. 65, Anm. 2. – »Im Revier Mulkwitz, an der Spremberger Grenze ist ebenfalls ein todter Mann. Früher warf jeder frische, abgebrochene Zweige darauf.«

314

Ein mir bekannter Spreewaldwende »sah die ewige Seligkeit. Er und sein Bruder gingen getrennt einen schmalen und breiten Pfad, durch grüne Wiesen und Gebüsch«. Der Prophet Qu. (ten profejśi Q.) wahrsagt alle zukünftigen Dinge aus der Bibel.

Quelle:
Schulenburg, Willibald von: Wendisches Volksthum in Sage, Brauch und Sitte. Berlin: Nicolai, 1882, S. 110-112.
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