Beutel, Stiefel und Trompete.

[34] Es waren drei Brüder, die gingen in die Welt und verirrten sich in einem Walde. Und es kam ihnen eine alte Frau entgegen, die gab ihnen einen Schlüssel und sagte: »Hier auf diesem alten Fusssteige sollt Ihr weiter gehen. Da werdet Ihr einen grossen Stein finden, ganz mit Moos bewachsen; von dem sollt Ihr so lange das Moos wegkratzen, bis Ihr ein Schlüsselloch findet. Dann schliesst mit dem Schlüssel auf, so wird eine Thüre aufgehen und wird da ein unterirdischer Gang sein, den sollt Ihr entlang gehen.« So thaten sie, fanden den Stein, schlossen auf und gingen mehrere Stunden den Weg entlang. Zuletzt aber wurde ihnen der Weg überdrüssig, weil er zu lang war. Da kam es ihnen vor, als sollte die Sonne aufgehen und sie gingen weiter und fanden ein grosses Schloss. Da war niemand drinnen, doch alle Stuben voll Betten, Geschirr, Speisen, Getränke, kurz alles, wessen nur der Mensch bedarf.

Und die drei setzten sich an einen Tisch und assen sich satt. Und gleich darauf war der Tisch wieder gedeckt, und das dauerte so lange als sie assen, doch kein Mensch war zu sehen. Und sie wurden müde, fanden ein schönes Bett und legten sich alle drei hinein. Und wie sie am andern Morgen aufstanden, waren Wasser und Handtuch da, und während sie sich wuschen, wurde der Tisch gedeckt und stand der Kaffee bereit. Und so ging es mehrere Tage und das geschah in einem verwünschten Schlosse bei Lissabon.

Zuletzt kam den drei Brüdern ein junges Fräulein im Schlosse entgegen und sagte zu ihnen: »Ihr könnt immer hier wohnen, essen und trinken was da ist, aber keiner mich anrühren und ohne mein Wissen weggehen«.

Zuerst wurde es dem ältesten Bruder im Schlosse überdrüssig, er wollte wieder in die Welt gehen und musste versprechen wiederzukommen. Da gab ihm das Fräulein einen Beutel, aus dem wurde das Geld nie leer; ausgeschüttet, wurde er gleich wieder voll. So ging der älteste weg, kam nachts in die Stadt Lissabon und liess sich vom Nachtwächter den besten Gasthof ausweisen; dafür schüttete er ihm den Beutel in den Hut. Er verlangte ein besonderes[34] Zimmer und schüttete die ganze Nacht den Beutel in einer Ecke aus. Nun hatte der Gastwirth eine schöne Tochter und der älteste dachte, sie würde ihm am Morgen den Kaffe bringen. Statt ihrer kam aber die Dienstmagd, so schüttete er der den Beutel in die Schürze. Und weil sie es nicht kannte, zeigte sie das Geld dem Wirthe, und der sagte: »Das werde ich Dir auswechseln, das ist kuperowy zeug (Kupferzeug)«. Am zweiten Morgen schickte der Gastwirth seine eigene Tochter, aber sie kriegte nichts. Und der älteste kaufte sich schöne Kleider, vergass sein Versprechen100 und spielte den grossen Herrn (dichtich muža grał). Ging er zum Abendmahl, warf er stets ein Goldstück auf den Altar. Und die Leute wunderten sich alle und fragten: »Wie kommt es? Wir schenken Thaler und Ihr schenkt Goldstücke«. Da kam ein listiges Mädchen und brachte ihn so weit, dass er ihr den Beutel zeigte. Und sie sagte ihm, ihr Vater liebte dergleichen zu sehen und bat, den Beutel auch dem Vater zeigen zu können. Doch sie kam nicht wieder und so war er seinen Beutel los, denn er kannte sie nicht.

Nun wurde es dem zweiten Bruder im Schlosse langweilig und er bat die Prinzessin, ihn doch freizulassen und versprach gewiss wiederzukommen. Und sie willigte ein und gab ihm ein Paar Stiefel; wenn er die anhätte, wäre er da, wo er sich nur hindächte. Und er verliess das verwünschte Schloss, kam nach Lissabon und fand seinen Bruder. Und beide gingen lustig die Strassen der Stadt auf und ab und die Leute wunderten sich, dass er so lange Schritte machte. Und es sah ein reiches Mädchen zum Fenster heraus, aus dem zweiten Stock, und fragte: »Guter Mann, wie geht das zu, dass Euch das »Marschiren« so »federt« (fodrujo)101?« Und er sagte: »Ich habe solche Stiefel, dass ich auf einmal da bin, wo ich mich hindenke«. Und sie rief ihn herauf und bat, ihr Vater hätte weit zu marschiren, er möchte ihr die Stiefel für ihn borgen. Und sie brachte ihn so weit, dass er ihr die Stiefel borgte. Und dann sah er sie nicht wieder und war seine Stiefel los.

Und es wurde auch dem dritten Bruder überdrüssig im Schlosse und er wünschte einige Tage zu reisen. Und das Fräulein legte ihm auf, bestimmt zurückzukommen und gab ihm eine Schiesstasche und eine Trompete (Pfeife), trubawku102. Wenn er in die Strassen Lissabons käme, sollte er »trubauen«[35] (blasen, tuten), dann würden sehr viele Soldaten aus der Tasche kommen, ganze Felder voll. Und die Prinzessin sagte ihm noch weiter, was er alles machen sollte.

So kam der dritte in die Stadt und schickte alsbald einen Gesandten zum Bürgermeister, er sollte in zwei Stunden die beiden Frauenzimmer, die Beutel und Stiefel genommen, auf einem Mistwagen zur Stadt herausschaffen, sonst würde in drei Stunden die ganze Stadt zu Asche. Da kamen sie vor Angst gar bald mit Beutel und Stiefel angefahren. Und zum zweiten schickte er zum Bürgermeister, ob er durch die Stadt mit seinem Heere durchmarschiren könnte. Und der erlaubte den Durchmarsch und der Durchmarsch dauerte drei Tage und drei Nächte immerfort. Und das Volk, das sich Lebensmittel über die Strasse holen wollte, musste vor Hunger bald sterben. Wie nun das ganze Heer durch die Stadt war, nahm er wiederum seine Trompete und blies ins andere Ende hinein und alle Soldaten marschirten wieder in die Tasche hinein.

Da ging er wieder zurück zu seiner Prinzessin. Und wie er an den Stein kam, so zitterte der Stein vor Freude und Schloss und Thüre machten sich allein auf vor Freuden. Da kam ihm die Prinzessin entgegen und sagte: »Rühr mich nicht an, denn noch wirst Du Versuchungen auferlegt kriegen. Eilf Jungfrauen werden dastehen, eine wie die andere; an denen sollst Du auf und niedergehen und die richtige aussuchen. Und es wird eine alte sehr grosse Frau da sein, eine Hexe mit einer »Fresse« (frasa)103, zwei Ellen breit. Wirst Du die richtige nicht treffen, so würde sie Dich auffressen«. Und die Prinzessin gab ihm ein Zeichen und sagte: »Ich werde die sein, die an der linken Hand den kleinen Finger rührt«. Wie er nun die eilf Jungfrauen »auf- und abging«, stiess ihn die Alte immer gegen eine von ihnen an, doch er hörte nicht darauf, sondern fasste die an, welche den kleinen Finger rührte, griff zu und traf die richtige. Und wie er sie in den Armen hatte, verschwanden die übrigen auf einmal. Und er behielt sie in den Armen und sie setzten sich nieder auf den Sopha, innig verschlungen und schliefen ein in Liebe, und sind sie nicht gestorben, so leben sie heute noch, a ne su humrèli, labuju hyšći źinsa. S.

100

Wiederzukommen.

101

So schnell von statten geht.

102

Wenn eine gromada, Gemeindeversammlung, schnell sein soll, so bläst oder tutet der Schulze die Gemeinde mit der trubawa zusammen. Diese, ein hölzernes Rohr, welches vorher innen nassgemacht wird, hält man mit beiden Händen vor den Mund und bläst hinein. Wenn dann manche Leute fragen: »Was ist los?« antworten Spassvögel: »Ten gmejnsky byk jo se woternuł, der Gemeinde-Bulle hat sich losgerissen«.

Auch der Nachtwächter, nocny wajchtaŕ, hat eine trubawa. So heisst es scherzweise:

»Wajchtaŕ trubi, howzy zgubi

Chto je namakał?

... [Name] Majka

Dźo je zanka?

Do tog' šranka.

Wächter bläst, die Hosen verliert er.

Wer hat sie gefunden?

... Majka

Wo thut sie sie verschliessen?

In den Schrank.«

103

Maul, grosser weiter Mund.

Quelle:
Schulenburg, Willibald von: Wendisches Volksthum in Sage, Brauch und Sitte. Berlin: Nicolai, 1882, S. 34-36.
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