Der Fuchs und der Wolf.

[32] Ein Fuchs ging früh auf die Jagd und traf einen Wolf; der faullenzte an der Sonne. Und der Fuchs sagte: »Du wirst heute Glück haben«. Da war der Wolf sehr fröhlich und ging auch auf die Jagd. Bald begegnete er einem Manne mit einer Bürde voll Speck und dachte: Das Glück wäre gross! Aber man kriegt grossen Durst, frisst man sich an Speck satt, und muss den ganzen Tag trinken; lass es lieber. Weiter ging er und begegnete einer Stute mit einem Fohlen und weil er sehr hungrig war, wollte er es auffressen. Da[32] bat die Stute, die vor ihm ging: »Ich habe gehört, Ihr seid ein gelehrter Doctor, ich habe mir etwas in den Fuss getreten, bitte, zieht mir das heraus«. Und er »kuckte« unten nach dem Fusse, da gab sie ihm einen Schlag, dass er auf den Rücken »flog«. Und der Wolf dachte: jetzt gehst du weiter.

So kam er weiter zu einer Mühle. Da fand er eine Sau mit Ferkeln und weil er so hungrig war, wollte er sie nacheinander verschlingen. Da bat ihn die Sau so herzerbarmend, er möcht' ihr doch nur eine kurze Zeit noch lassen, währenddem wühlte sie sich durch und lief mit den Ferkeln weiter. Dachte der Wolf: hast wieder nichts, und ging weiter, und sah zwei Ziegen, die stritten sich um ein Stück Feld. Und sie boten ihm grosse Ehre an and sprachen: »Ihr seid ein grosser Rechtsanwalt, möchtet Ihr nicht unsere Sache aburtheilen?« Da stellte der Wolf beide Ziegen, jede an einem anderen Ende des Feldes, auf und sagte: »Welche zuerst bei mir ist, der gehört das Feld«. Beim Auseinandergehen aber verabredeten beide Ziegen: »Wir machen es so, dass wir beide zugleich zusammenstossen«. Da blieb der Wolf ohne Athem liegen und die Ziegen liefen weg und waren wieder fröhlich. Mit hungrigem Magen dachte er: jetzt gehst du weiter, in's Dorf.

Da waren Schafe im Garten; die waren grade von der Hutung gekommen und »blöckten« lustig, und er wollte schon eins mit seinen grossen Augen auffressen. Da bat das Schaf: »Besinnt Euch doch erst, welches von uns Ihr fressen wollt. Und dann, bitte, singt doch erst das Todesurtheil. Der alte Singekantor ist gestorben und Ihr seid vielleicht auch ein guter Kantor. Seid so gut und stimmt an«. Und der Wolf fing an zu blöcken und die Schafe blöckten ihm nach. Das hörten die Drescher in der Scheune, liefen mit den Dreschflegeln (z cypami) herbei und schlugen auf den hungrigen Wolf. Auch die Dienstmagd mit der Mistgabel kam hinterher und »bunt« und zerkratzt rannte der Wolf nach dem Walde. Da legte er sich an einen Baum, etwas auszuruhen, und schlief ein.

Aber bald weckte ihn der Fuchs und frug: »Was ist Dir?« und der Wolf erzählte alles. Und der Fuchs sagte weiter: »Ich wüsste einen Brunnen, darinnen ist Schlippermilch97. Da könntest Du Deinen Hunger stillen«. Unten im Brunnen war nämlich weisser Sand zu sehen und der sah aus wie Schlippermilch. Da trank der Wolf in einem fort aus dem Brunnen und immer noch war die Schlippermilch unten, und weil er so viel Wasser getrunken, wurde ihm sehr kalt. Dann sagte der Fuchs: »Nun gehen wir nach der Spinnstube in's Dorf, zu den jungen Mädels. Der Bauer hat heute Schweine geschlachtet, sei so klug und spritz gleich Dein Wasser auf die Mädels aus; ich gehe inzwischen in die Wurstkammer«. Unterdessen kriegte der Wolf furchtbare Hiebe mit den Kriebatschen. Und der Fuchs frass sich satt an der Wurst und stöhnte sehr98 und kriegte auch Hiebe. Weil aber die Kriebatschen inzwei waren, schlugen sie ihn nur mit den Spillen.

Nun gingen beide weiter, der Fuchs vor dem Wolfe. Des Weges vor ihnen fuhr ein Fuhrmann, der hatte eine Tonne Heringe auf dem Wagen, und ging vorn beim Pferde. Da hob der Fuchs den Deckel von der Tonne auf und warf sich etliche Heringe heraus. Dann fing er an sie zu essen und verzehrte sie bis auf den letzten. Mittlerweile holte ihn der Wolf ein und frug: »Was frisst du?« Sagte der Fuchs: »Heringe, vorn im Bache habe ich mir etliche gefangen; da giebt es Heringe genug.« – »Vorwärts, da gehen wir hin« sagte der Wolf, der Fuchs aber sagte: »Ich bin sehr müde, Du kannst[33] mich über die Brücke tragen«. Und wie ihn der Wolf trug, sagte der Fuchs immer bei sich: »Der Geschlagene trägt den Ungeschlagenen; der Geschlagene trägt den Ungeschlagenen.« – »Was »quaselst«99 Du?« fragte der Wołf, und der Fuchs sagte: »Ich weiss nicht, was ich vor Schmerz rede«. Da wurde der Wolf ärgerlich und warf den Fuchs vom Puckel in's Wasser. Wart, dachte der Fuchs, jetzt werde ich Dir erst heimzahlen.

In der folgenden Nacht nun fror es über 30 Grad. Da kam der Wolf am Morgen wieder zum Fuchse und fragte: »Wo hattest Du gestern die Heringe eigentlich her?« Meinte der Fuchs: »Da, wo wir gestern über den Bach gegangen sind, gleich am Ufer, da thu ich immer den Schwanz in's Wasser hineintunken, dann hängen allemal viele Fische daran«. Dann frug der Wolf: »Wie lange soll ich denn den Schwanz ins Wasser halten?« – »Ich werde Dir schon sagen« sagte der Fuchs. Wie nun der Wolf den Schwanz eine Weile in's Wasser gehalten hatte, fragte er: »Wie lange soll ich ihn noch im Wasser halten? Mich beissen die Fische schon fürchterlich«. Da sagte der Fuchs: »So lange, bis er recht schwer wird«. Aber tüchtig hat es gefroren und so war der Schwanz bald mit eingefroren. Und wenn er nicht losgekommen ist, muss der Wolf noch heute ohne Schwanz umherlaufen, steckt er aber noch im Eise, so hängt er auch noch heute daran. S.

97

D.h. saure, dicke Milch, samosydk.

98

Weil er sich so überladen hatte. Kriebatschen: Absch. XVIII. Fastnacht.

99

Quaseln: Dummheiten, unverständliches »Zeug« reden.

Quelle:
Schulenburg, Willibald von: Wendisches Volksthum in Sage, Brauch und Sitte. Berlin: Nicolai, 1882, S. 32-34.
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