Der Sternprinz.

[27] Es waren drei Brüder, die dienten zugleich als Soldaten und wurden zugleich entlassen. Und gingen nach Hause und hatten einen weiten Weg und suchten sich, weil sie hungrig waren, Haidebeeren (jagody) im Walde. Da kamen sie zuletzt an einen Gasthof, blieben da über Nacht und jeder erhielt ein Bett in einer Kammer. Und am anderen Morgen früh waren alle drei traurig. Da fragte der Gastwirth: »Was ist vorgefallen, warum seid Ihr[27] so traurig?« Und sie erzählten, dass sie wunderbare Träume (džiwne cowanja) gehabt hätten. Der älteste Bruder erzählte: »Unter meinem Kopfkissen war eine goldene Kette, die langte dreimal um das Schloss in Königsberg89 herum. Nicht ein Glied fehlte an derselben und nicht eins war übrig«. Und der zweite erzählte: »Unter meinem Kopfkissen war ein Beutel. Wenn man den in die Tasche steckte, wurde er voll Geld. Schüttete man das aus und steckte den Beutel wieder in die Tasche, so wurde er wiederum voll und das konnte man immerfort thun«. Und der jüngste erzählte: »Mir hat geträumt, wenn ich bei der Prinzessin in einem Schlosse einmal schlafen könnte, sollte sie einen Sohn gebären, der würde einen goldenen Stern auf der Stirne (słoćanu gwězdu na cole) haben«. Da lachte der Wirth und sagte: »Ihr solltet mal nachsehen, vielleicht ist es wahr!« Da sahen sie nach. Und der erste fand eine Kette, der zweite einen Beutel unter dem Kopfkissen, aber der dritte konnte das seinige nicht finden.

Dann schafften sich alle drei prinzliche Kleider an und gingen nach dem Schlosse, dass der dritte die »Seine« finden könnte. Und es waren grosse Festlichkeiten auf dem Schlosse, sie gingen hinein und gaben sich als fremde Prinzen aus, denn niemand kannte sie. Und sie sprachen mit den fremden Gästen über verschiedenes und der erste Bruder erzählte, er hätte eine Kette, die dreimal um das Schloss »herum langte« und dann nichts übrig wäre und nichts fehlte. Das wollten die andern nicht glauben und es ward die Kette um das Schloss gelegt und sie passte genau, wie gesagt war. Und der zweite erzälte von seinem Beutel, in dem niemals das Geld »alle« würde, zog den Beutel heraus und schüttete das Geld auf den Tisch, steckte ihn wieder in die Tasche und immer war der Beutel voll. Und die anderen Gäste thaten mit ihren Geldbeuteln ebenso, aber kein Beutel war voll. Da war ihnen allen die Sache gar wunderbar. Und weil von den dreien einer wie der andere aussah, forderten sie auch den dritten auf, er sollte so etwas machen. Und er sagte: »Wenn ich bei der Prinzessin würde schlafen können, dann würde sie einen Sohn gebähren, der würde auf der Stirne einen goldnen Stern haben«. Da willigte der Vater der Prinzessin ein. Aber wie der dritte bei der Prinzessin geschlafen, wurden alle drei Brüder im Kerker eingesperrt.

Nach etlichen Monaten aber war zu sehen, dass die Prinzessin schwanger90 war. Nun war sie aber vorher schon mit einem verlobt, der wollte die Geschichte nicht wahr haben, stichelte die Hebeamme auf und bot ihr viel Geld, dass sie das Kind bei Seite schaffte, wenn es geboren wäre. Und wie das Kind nun zur Welt kam, war es ein Junge mit goldnem Sterne auf der Stirn. Und die Hebeamme legte junge Hunde ins Bett, that das Kindlein in ein Kästchen und setzte es auf fliessendes Wasser. Und etliche Meilen weiter fischte ein Fischer, der fischte das Kästchen auf und fand das Kindlein darin, und weil er selbst kein Kind hatte, nahm er es mit nach Hause, und sah, es hatte einen goldnen Stern auf der Stirn. Und wie das Kind getauft werden sollte, legte er ihm ein Pflaster auf die Stirn und gab an beim Pfarrer, es habe bei der Geburt einen Schlag gekriegt und daher die Stirnwunde.

Nun wuchs das Kind beim Fischer grösser, musste in die Schule gehen und immer das Pflaster auf der Stirne tragen. Wie es aber älter wurde, wollte es das Pflaster nicht mehr tragen, und nahm jedesmal, wenn es in die Schule ging, wider des Vaters Willen, das Pflaster von der Stirn. Nun wurde[28] den Kindern in der Schule gelehrt, sie sollten beim Grüssen die Mütze abnehmen. So begegnete einst den Schulkindern ein Herr und wie sie grüssten, fiel ihm der Junge mit dem Stern auf, denn er war der Verlobte der Prinzessin. Der ging alsbald zum Fischer und sagte: »Wenn Du mir den Jungen nicht fortschaffst, verlierst Du Dein Hab und Gut«. Und der Fischer wussste keinen Rath, gab dem Jungen in den Kahn Lebensmittel und ein Gewehr und brachte ihn über das Wasser auf eine Insel; da sollte er sich allein ernähren.

Wie der nun die Lebensmittel verzehrt, nahm er seine Flinte und ging auf die Jagd, traf eine weisse Hirschkuh91 (běłu jelenicu) und wollte sie schiessen. Da redete sie: »Schiess nicht, denn ich bin eine verwünschte Prinzessin und Du der einzige, der mich erlösen kann, weil Du den goldnen Stern auf der Stirn hast, komm mit mir auf mein Schloss«. Und er ging mit ihr mit, und sobald er mit ihr ging, »war« sie schon ein Fräulein. Und sie sagte ihm: »Das Schloss heisst Rosenthal (Rosental) und ich bin die Königin von Rosenthal, doch niemandem sollst Du diesen Namen sagen. Dein Vater und Vaters Brüder leben noch und sitzen im Kerker; der König hat vergessen, sie aus dem Kerker zu lassen,« und erzählte ihm, wie alles gekommen war. Und weiter sprach sie: »Morgen hat deine Mutter Hochzeit, da werden wir hingehen«. Und im Schlosse waren »solche« Geister, die brachten die Prinzessin und den Prinzen mit dem Stern auf der Mutter Hochzeit nach Königsberg.

Und bei der Hochzeit ging es lustig zu und der Sternprinz fragte den König, ob er nicht die Gefangenen im Schlosse sehen könnte. Da wurden die verschiedenen Gefangenen vorgebracht, aber die drei waren nicht unter ihnen. Da fragte der Sternprinz den König, ob nicht mehr Gefangene wären und der König entsann sich noch dreier, die seit langer Zeit vergessen im Kerker sässen. Und sie wurden vorgeholt und waren ganz verwachsen mit Bart und Haaren und der Sternprinz sagte: »Das ist mein Vater und das sind meines Vaters Brüder und meine Mutter ist die heutige Braut«, und dabei zeigte er seinen goldnen Stern. Da wurden die drei Gefangenen freigelassen und der falsche Verlobte, der die Hebeamme aufgeredet, kriegte grosse Strafe. Dann tanzten alle lustig und beim Tanze sagte der Sternprinz: »Keine ist doch so schön als meine Königin von Rosenthal«. Da führte sie ihn hinaus und gab ihm einen Schlaftrunk zu trinken und liess ihn auskleiden, schnitt sich in den Finger und schrieb auf sein weisses Schnupftuch: »Du solltest nicht meinen Namen nennen, hast Dich versprochen; jetzt kannst Du mich nicht mehr kriegen«.

Wie er dann aufwachte, sah er, dass er nackend war, schaffte sich Kleider an und ging wieder nach Hause zu seinem alten Fischer. Er klopfte ans Fenster bei seinem Pflegevater und der nahm ihn freundlich an, weil er ihn so lange nicht gesehen hatte. Da fuhr er wieder allein mit dem Kahne zur Insel und dachte, die Hirschkuh würde wieder kommen, sie aber kam nicht mehr.

Nun machte er sich auf, reiste weithin zu Fuss und fragte die Leute, wo die Königin von Rosenthal möchte wohnen; doch niemand konnte ihm Kunde davon sagen. So kam er auch zu einem alten Manne, der sagte: »Weit, weit, wohnt ein Mann, der hat solche Geister, die werden es Dir vielleicht sagen können«. Da ging er hin zu dem Manne; der rief seine Geister, doch sie wussten nichts. Das waren solche Erdgeister (zemske duchi), die das Geld bewachen. Und der Mann hatte noch einen Bruder, der war dreihundert Meilen[29] weit von da. Da gab er dem Sternprinzen einen Mantel (mantel), womit er sich unsichtbar machen konnte und Stiefel, mit denen er in Schnelligkeit meilenweit gehen konnte, und einen Gruss an seinen Bruder. Und der Sternprinz zog die Stiefel an und kam zu jenem fernen Mann. Und der rief seine Geister zusammen, aber keiner wusste etwas. Doch zuletzt kam noch ein Geist durchs Fenster geflogen, sah aus wie eine Fledermaus (njedopyr). Ihn fragte der Mann: »Wo warst Du so lange?« und der Fledermausgeist sagte: »Ich war als Diener bei der Königin von Rosenthal«. Da nahm der Geist den Sternprinzen und flog mit ihm, im unsichtbaren Mantel und in den Stiefeln, nach Schloss Rosenthal.

Dort kamen sie gerade zum Kaffe an, und am Tische sass die Prinzessin mit einem Künstler92. Und wie sie ihren Kaffe trinken wollte, trank ihn der unsichtbare Sternprinz aus, und that das mehrmals so. Und die Prinzessin wurde ärgerlich, dass sie allemal aus leerer Tasse trinken sollte, und schalt den Künstler, dass er sie zum Narren (k nare) hätte; da lief der weg. Und wie er weg war, warf der Sternprinz seinen Mantel ab und wurde sichtbar. Und sie erkannte ihn, fiel ihm um den Hals und nahm ihn zum zweiten mal als ihren Erlöser an. Der Künstler aber wurde weggebracht durch einen grossen wichoŕ (Wirbelwind); das hat doch der njedopyŕ-Geist so angestellt.

Und der Sternprinz und die Prinzessin blieben lange Jahre zusammen und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. S.

89

Auch wendisch: Königsberg.

90

Wendisch: mit einem Kinde ging. Běšo z dźěćimi.

91

Thier, Altthier.

92

Schwarzkünstler, Zauberer, kunšlaŕ, hobslepaŕ (Blindmacher).

Quelle:
Schulenburg, Willibald von: Wendisches Volksthum in Sage, Brauch und Sitte. Berlin: Nicolai, 1882, S. 27-30.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Leo Armenius

Leo Armenius

Am Heiligen Abend des Jahres 820 führt eine Verschwörung am Hofe zu Konstantinopel zur Ermordung Kaiser Leos des Armeniers. Gryphius schildert in seinem dramatischen Erstling wie Michael Balbus, einst Vertrauter Leos, sich auf den Kaiserthron erhebt.

98 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon