Der Tod als Gevatter.

[36] Es war ein Mann und eine Frau, die hatten so viele Kinder, dass niemand mehr wollte bei ihnen Gevatter stehen. Und sie hatten wiederum einen Knaben und der Mann ging nach dem nächsten Dorfe, einen Pathen zu suchen. Weil aber grosser Regen war, blieb er bei einer Kiefer stehen. Und da war er sehr traurig, dass er solchen Unstern hatte, wollte lieber sterben als leben und wünschte sich den Tod. Auf einmal war der Tod (smerć) da und fragte: »Warum hast denn gerufen?« Und der Mann erzählte, was er vorhätte und der Tod sagte: »So will ich bei dem Kinde Gevatter stehen«. Und der Mann sagte: »Euch will ich haben, Ihr nehmt alles mit, reich und arm, verschont keinen«. Und bei der Kindtaufe wollte der Tod auch sein Geschenk geben und gab ein weisses Steinchen (kamušk), das sollte der Mann in gutem Zustande erhalten, so lange der Knabe wachsen würde. Geschähe das nicht, so würde auch der Knabe nicht so wachsen, als er sollte.

Wie nun der Knabe grossjährig geworden war, war er sehr klug in allen Sachen, und wollte sich verheirathen, und lud alle Pathen zur Hochzeit ein, und es kam auch der Tod. Und wie nun der Vater erzählte, dass der Tod ihm damals das Steinchen gegeben, da sagte der Tod zu dem Sohne:[36] »Mit diesem Steine kannst Du sehr reich und der allergrösste Arzt werden. Denn wenn Du zu einem Kranken kommst, so sollst Du das Steinchen nehmen und es reiben, so ist sogleich der Tod beim Kranken. Steht er aber vorn am Bette, so stirbt der Kranke, wenn bei den Füssen, so ist Rettung«. Und der folgte ihm und wurde der grösste Arzt im ganzen Lande. Denn er sagte gleich: »Der Kranke wird besser oder stirbt,« weil er den Tod zu Füssen oder am Kopfe sah.

Nun geschah, dass des Königs einzige Tochter krank wurde. Und es versprach der König dem sein halbes Vermögen, der ihr wieder die Gesundheit gäbe. Da wurde auch der Arzt gerufen, der war schon sehr reich zu der Zeit. Und als er kam, sah er den Tod am Kopfende und wollte doch gern der Prinzessin die Gesundheit geben. Darum drehte er das Bett um, so dass der Kopf war, wo erst die Füsse waren. Da ward der Tod erbost, griff den Lebendigen an und führte den Arzt lebend in die Hölle. Und zeigte ihm sein Licht, wie lange er noch leben würde. Des Arztes Licht aber war zur Hälfte, das der Prinzessin fast niedergebrannt. Und es sagte der Tod: »Wünsche Dir etwas, ehe Du stirbst«. Und er wünschte, der Tod sollte ihm ein ganzes Licht anzünden, dass er länger lebte. Das wollte der Tod. Aber wie er das Licht anzünden wollte, warf er es um und der Arzt war todt. Und ist noch heute todt, wenn er nicht lebendig ist. S.

Quelle:
Schulenburg, Willibald von: Wendisches Volksthum in Sage, Brauch und Sitte. Berlin: Nicolai, 1882, S. 36-37.
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