Die Verstossenen.

[23] Es war ein Vater, der verstiess seinen Sohn, weil er liederlich und faul war und der Sohn musste hinaus in die Fremde, sein Brot zu suchen, und kam durch ein Dorf. Und im Dorfe lag vor dem letzten Hause, an der Thüre, ein Hund, der fragte: »Wo geht Ihr hin?« Und der Verstossene sagte: »Ich muss mein Brot in der Welt suchen, denn ich bin von meinem Vater verstossen«. Da sagte der Hund: »Mir geht es ebenso. Wie ich noch jung war, hab' ich meinem Herrn treu und redlich gedient. Aber jetzt bin ich alt und kann nicht mehr so fort wie früher. Nun bekomme ich nicht mehr meinen Unterhalt, mir geht es recht schlecht. Ich möchte mitgehen und mir anderswo mein Brot suchen«. Und sie wurden einig und gingen zusammen, kamen in ein anderes Dorf und sahen eine Katze. Die sass sehr traurig bei einem Zaune und sie boten ihr guten Tag und die Katze klagte ihre Noth. Denn wie sie noch jung war und ihre Dienste thun konnte, ging es ihr gut. Jetzt aber war sie alt und nun ging es ihr schlecht. Auch sie war willig mitzugehen, um sich bess'res Brot zu suchen. Nun gingen alle drei weiter und begegneten einem Esel im vierten Dorfe. Dem ging es ebenso schlecht und auch er kam mit. Weiter begegneten sie einem Hahne, dem erging es ebenso und auch er kam mit.

Wie sie so weiter gingen, kamen sie spät Abends in einen grossen Wald. Es war kalt, kein Unterkommen zu finden und der verstossene Sohn sagte: »Wer von uns kann am höchsten auf einen Baum klettern, dass er das nächste Dorf oder Licht möchte sehen?« Und die Katze sagte: »Ich kann noch gut klettern«, ward abgeschickt und rief oben vom Baume: »Ich sehe Licht«. Wie nun die Katze wieder unten war, gingen sie weiter in der Richtung[23] nach dem Lichte und kamen an eine Räuherbude; in der war niemand zu Hause, bloss Licht. Sie gingen hinein, fanden alle Tische voll Speisen und assen sich recht satt. Dann wollten sie schlafen gehen, aber wo? Der »verlorene« Sohn war der »Höchste« unter ihnen und sagte: »Wo jeder in der Heimath früher geschlafen hat, da soll er auch jetzt wieder schlafen; ich habe zu Hause immer im Bette geschlafen«. Und der Hund sagte: »Ich habe immer unter dem Tische geschlafen«. Und die Katze: »Ich habe immer auf der Ofenbank geschlafen«. Und der Esel: »Ich habe immer hinter der Thüre geschlafen«. Und der Hahn sagte: »Ich musste immer oben auf dem Schornstein wachen«. Und so schliefen sie auch alle ein.

Da kamen in der Nacht die Räuber nach Hause und merkten, dass andere in ihrer Behausung wären, aber keiner wollte hineingehen, denn alle hatten Furcht. Doch zuletzt ging der Räuberhauptmann hinein, weil er sein Geld auf dem Tische gelassen hatte. Allein wie er an den Tisch herantrat, wurde der Hund unter dem Tische munter und griff ihn an. Da dachte der Räuber: wirst Licht anmachen und ging an die Ofenbank, wo die Streichhölzchen lagen. Aber da wurde die Katze gestört und kratzte ihm in das Gesicht. Nun hatte der Räuber Furcht und wollte wieder zur Thüre hinaus. Da wurde der Esel, der hinter der Thüre schlief, gestört und sehr erbost, griff den Räuber an und warf ihn von einer Wand an die andere; dabei schrie er ineinemfort: »Hie ha, hie ha«. Wie das der Hahn auf dem Schornstein hörte, wurde er munter, denn es war schon die vierte Stunde und fing an zu krähen: »Kokeriku«. Da verstand der Räuber: »Bringt ihn hie har [bringt ihn hier her]« und machte, dass er wegkam. S.

Quelle:
Schulenburg, Willibald von: Wendisches Volksthum in Sage, Brauch und Sitte. Berlin: Nicolai, 1882, S. 23-24.
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