30. Wie ist der erste Soldat ins Himmelreich gelangt?

[277] Einstmals ist irgend eine grosse Parade im Himmelreich gewesen. Vor des Herrn Jesus Christus Angesicht sind die dorthin gelangten Seelen in Reih und Glied vorbeidefiliert. Ich sag Euch, da gab es alle nur erdenklichen Menschensorten, nur keine Soldaten.

»Was ist der Grund?« fragte der Herr St. Peter.

Peter zuckte nur die Achseln. Er dachte: was soll man da erst reden, weil doch der Herr Jesus ohnedies die gottverlassenen Infanteristen und die noch grossmäuligeren Husaren kennt. – Doch nahm er sich vor, dass er bei der nächsten Parade schon einen Soldaten stellen würde.

Einstmals also stieg er zur Erde nieder, und hier fiel ihm ein blinder, verabschiedeter Soldat in die Augen. Als der hörte, dass jemand klopfte, grüsste er, wie sich's gehört: »Gelobt sei Jesus Christ!«

»In Ewigkeit, mein Sohn!« grüsste St. Peter wieder und beschenkte ihn auch noch mit einem harten Zwanziger.

»Vergelt's Euch Gott tausendmal!«

»Ei, wahrlich, du bist mein Mann,« dachte Peter. Dann fuhr er laut fort: »Mein wackerer Freund, ich sag' dir was, spitz die Ohren: Wünsch dir deiner Seelen Seligkeit!«

Der Soldat lachte laut auf: »Meiner Seelen Seligkeit?! Wenn mir jemand dafür einen ordentlich grossen Schinken gäbe ...!«

Noch hatte er es nicht ganz ausgesprochen, da hatte er[277] schon den Schinken in der Hand. Ehe er sich von der grossen Überraschung erholt hatte, sprach Peter wieder:

»Wünsch auch deiner Seelen Seligkeit!«

»Ja, ja, ich würde sie wünschen, wenn mir jemand dafür eine Feldflasche Wein gäbe.«

Noch hatte er es nicht ganz ausgesprochen, da baumelte ihm schon die Feldflasche am Hals. Der verabschiedete Soldat staunte noch mehr darüber. Und Peter sprach aufs neue zu ihm:

»Wünsch auch deiner Seelen Seligkeit!«

»Ja, ja, ich würde sie wünschen, wenn mir jemand dafür mein Augenlicht wiedergäbe.«

Da bestrich ihm Peter die Augenlider mit Speichel, und dann betete er etwas dazu. Als er Amen gesagt, fiel der Soldat vor Schreck auf den Rücken.

»Mensch, du bist des Teufels!« stotterte er, als er aufstand.

»Nun, Freund, jetzt hast du auch dein Augenlicht; also wünsch deiner Seelen Seligkeit.«

»Ach, meiner Seelen Seligkeit brauch ich nicht! Doch ich bin Schafhirt gewesen, bis ich vom Wein des Werbers trank; auch jetzt könnte mir nur die Herde was nützen. Also gib mir ein Schaf, Herr, und fette Weide!«

Peter erwiderte dem verabschiedeten Soldaten, dass er auch Schafe besitze, die sollte er hüten. Wenn er den Wald durchquere, solle er sie nur rufen, sie würden sich dort alle einstellen. Aber dann solle er es ihnen überlassen, wohin sie ziehen würden.

So geschah's. Der Verabschiedete tat jenseit des Waldes einen scharfen Pfiff, und – woher, woher nicht – die Schafe liefen alle herbei. Eins – zwei sprangen sie herum, und dann begannen sie zu weiden. Es war schon später Abend geworden, doch die Schafe zogen immer nur dahin, weideten nur fort. Der Verabschiedete hinter ihnen her. In der grossen Dunkelheit wusste er garnicht mehr, wohin er trat, wohin er wanderte, ging nur immer dem Geläute nach. Als der Morgen[278] eingeläutet wurde, blökten die Schafe vor einem entsetzlich grossen Tor. Schliesslich öffnete sich dieses Tor auch, und heraus trat St. Peter.

»Schnapsigen guten Morgen, Herr!«

»Wie steht's, mein Sohn? Übrigens komm, wir wollen meine Schafe einzählen.«

Als sie anfingen, sie hinein zu lassen, da schüttelte sich jedesmal das Schaf, das hineingesprungen war, jenseit des Tores und flog als schöner geflügelter Engel weiter. Beim letzten rief Peter:

»Eins ist noch draussen geblieben!«

Drauf schaute der Verabschiedete zurück, Peter aber packte ihn rücklings beim Kragen und zog ihn hinein in das strahlende Himmelreich. Ei, weiss die Katz', wovor er sich fürchtete! Einige Sterne waren eingerostet; die warfen sie alle dem Verabschiedeten in den Schoss, dass er sie auf Soldatenweise putze. Das besorgte er und pfiff dabei; aber darüber wurde er fast krank, dass im Himmelreich das Fluchen nicht erlaubt war.

Quelle:
Róna-Sklarek, Elisabet: Ungarische Volksmärchen. Neue Folge. Leipzig: Dieterich 1909, S. 277-279.
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