6. Fee Ilona und der goldhaarige Jüngling.

[65] Es war einmal eine arme Frau, die hatte drei erwachsene schöne Töchter; die gingen eines Sommertags hinaus aufs Feld,[65] Hanf zu raufen, wie es auch noch heutigentags Brauch ist. Raufen die drei grossen Mädchen den Hanf an einer Landstrasse, kommt des Wegs zu Pferde ein Kaisersohn. Als er ein gut Stück weitab geritten war, spricht die älteste Schwester:

»Ach ihr, wenn jener Kaisersohn mich zur Gemahlin nähme, ich machte aus einem Hanffaden so viele Hemden, dass jeder Soldat eins hätte und auch uns noch bliebe.«

Das vernahm der Kaisersohn, doch er sagte nichts. Er dachte, ob wohl die zweite auch etwas sagen wird? Doch also sprach das mittelste Mädchen:

»Ach ihr, wenn jener Kaisersohn mich nähme, ich backte aus einem Weizenkorn so viel Kommissbrot, dass es für alle Soldaten langte und auch für uns noch übrig bliebe.«

Auch das vernahm der Kaisersohn. Er hemmte sein Ross, da sprach die jüngste:

»Ach ihr, wenn er mich nähme, ich brächte zwei so goldene Kinder zur Welt, wie es nimmer noch gegeben.«

Das redeten sie untereinander im Spass, die drei Geschwister, die Mädchen.

Der Kaisersohn vernahm die Rede der dritten, ritt schön nach Hause und sagte niemandem etwas. Anderntags in der Frühe lässt er vier Pferde vor die Kutsche spannen, fährt hinaus, zu sehen, ob er jene Mädchen dort fände. Na gewiss waren sie wieder an jenen Ort gegangen, zum Hanf raufen, meinte er. Er sagt nichts, führt nur das jüngste Mädchen von dannen, dass er sie zur Gemahlin nehme. Das Mädchen sträubte sich gar sehr: wie so denn sie, wie es nur möglich sein könnte, dass sie solchen Gatten heimführte! Er achtete nicht drauf, nahm sie mit sich in der Kutsche, vermählte sich auch richtig mit dem Mädchen, das Fest wurde gehalten, und sie lebten auch sehr glücklich.

Doch in seines Vaters Hause war eine Köchin, und die hatte eine sehr, sehr schöne Tochter. Sie hatte gedacht, dass sie gut sein würde als des Kaisersohns Gemahlin. Doch jetzt[66] sah sie, dass er sich diese geholt; da wurde sie sehr grimmig darüber, abends, morgens, immerfort. Doch das war umsonst, denn der Kaisersohn kümmerte sich garnicht darum.

Die Zeit verging, die Zeit verstrich, die junge Kaiserin wurde guter Hoffnung. Nun, als schon fast der Tag der Geburt gekommen war, da musste er in den Krieg ziehen. Nunmehr gebar die junge Kaiserin einen Knaben und ein Mädchen. So schön goldhaarig waren alle beide, wie es nichts auf der Welt gab. Heckte die Köchin jetzt aus, was sie ihnen böses antun könnte. Sie nahm die beiden Goldkinder fort, windelte zwei junge Hunde ein. Sie legte sie hin, der jungen Kaiserin an die Brust, und die beiden Kinder übergab sie ihrem Mann, er sollte sie in den Wald tragen, in die Wildnis, töten, und Augen und Leber von beiden als Wahrzeichen zurückbringen.

Lassen wir nun die Kinder, der Mann der Köchin wird sie schon wegbringen.

Sie schickten dem jungen Kaiser einen Brief, dass seine Gemahlin zwei junge Hunde zur Welt gebracht hätte. Er schrieb zurück:

»Ohnedies werde ich bald heimkehren; lasst sie so lange in Frieden.«

Doch am dritten Tage, als der Brief zu Hause angekommen war, langte er selbst auch zu Hause an. Er sah, dass seine Gemahlin zwei junge Hunde säugte. Er wurde sehr bekümmert, sagte aber nichts. Doch die Köchin hub an, ihn aufzureizen, er sollte sich nicht grämen, sondern seine Gemahlin töten. Er dachte bei sich, wie er sie töten könnte. Er machte es nicht anders, er liess die Mauer am Torwinkel von Handwerkern aufbrechen, und die Frau, seine Gemahlin, dort lebendig einmauern.

Nun war dort aber eine kleine Magd, die fütterte die Truthühner. Die hatte die Frau sehr lieb; sie ging hinein in die Stube und holte den Handwerkern einen Teller Gold heraus, nur ihre Frau sollten sie nicht umbringen. Da machten[67] die Handwerker auch in die Steinwand eine Lücke, damit es sie nicht drücke, und eine Falltür, dass sie dort der Frau Essen hinein geben konnte. Nun, das wusste aber niemand, nur jene und das Mägdlein, die Truthühuerhirtin. Dann meldeten die Handwerker dem jungen Kaiser, dass sie mit ihrer Arbeit fertig wären. Er besah es auch und fand es gut. Na, und jetzt nahm er jene zur Gemahlin, die Tochter der Köchin. –

Jetzt wollen wir sie lassen, mögen sie glücklich mit einander leben; wir wollen uns zum Mann der Köchin wenden, was mit den beiden Goldkindern geworden ist.

Es dauerte ihn, wie er sie in den Wald getragen hatte, dass er sie töten sollte; er machte eine schöne kleine Barke und legte sie hinein und setzte sie auf das Wasser. Im Wald griff er zwei junge Eulen, nahm ihnen die Augen heraus, tötete sie und brachte ihre Lebern seiner Frau heim, dass er die beiden Kinder getötet habe. Nun jetzt freute sich die Köchin, dass sie tot wären, und fürchtete nichts.

Das Wasser trug nun die kleine Barke abwärts; sie wiegte sich auf der Wasserfläche. Ein sehr, sehr alter Fischer wohnte da, 125 Jahre war er alt. Er sah, dass etwas auf der Wasserfläche abwärts schwamm. Er ging ins Wasser hinein, und mit einem langen Haken zog er die Barke zu sich heran, führte sie aufs Trockne. Draussen auf dem Trocknen, da öffnete er sie, fand darin zwei goldhaarige Kinder, das eine ein Knabe, das andre ein Mädchen. Er dankte Gott, dass er ihm noch zwei solche goldhaarigen Kinder geschenkt, denn ihm war in seinem 125 Jahre alten Leben niemals eins geboren worden. Voller Freude nahm er sie, und trug sie heim zu seiner Frau.

Als seine Frau sie erblickte, freuten sie sich alle beide so, wie wenn es ihre eigenen gewesen wären. Sie meldeten auch sogleich, was er auf dem Wasser aufgegriffen, doch es fand sich niemand, der sie kannte.

Die beiden goldhaarigen Kinder wuchsen heran. Schon[68] als sie ein Jahr waren, waren sie so wie andere Kinder nicht mit zwei Jahren sind. Sie zogen sie fünf, sechs Jahre auf, dann gaben sie sie alle beide in die Schule. Nun waren sie schon einen Winter zur Schule gegangen; doch im zweiten Jahre starb der Fischer, starb auch seine Frau. Nun blieben die beiden Kinder in des Fischers Haus zurück, lebten dort friedlich beisammen.

Dort sprach einstmals der Knabe:

»Hör«, sprach er zu seinem Geschwister, »wie viele schöne Vögel aller Art kommen hierher! Wenn ich ein Jäger sein könnte, würde ich sie schiessen.«

Und er sann nach und machte sich selbst einen Pfeil. Und er sah zu, dass er mit dem Pfeil einen Vogel schoss oder zwei, und morgen noch grössere, Amseln.

»Nun, jetzt gräm dich nicht, Schwester, jetzt werden wir auch Fleisch haben!«

So ging er hierhin und dorthin, immer weiter; und siehe, nicht weit davon wohnte sein leiblicher Vater, doch er wusste das nicht. Sein Vater hatte dort einen schönen Garten, und drinnen im Garten waren allerlei Tiere schön angebunden. Er sah dort einen schönen Hasen, an eine schöne gelbe Kette gebunden. Er dachte, wenn er ihn angebunden schiessen könnte, würde er nicht von dannen laufen. Während er auf ihn zielte, um ihn zu schiessen, da schaute sein kaiserlicher Vater aus der kleinen Tür zu, was er mit dem Hasen wollte. Plötzlich rief er ihm zu, er sollte stehen bleiben; doch der Knabe erschrak, rannte flugs von dannen mit einem Satz. Der Kaiser aber hätte ihm nichts zu leide getan, hätte ihn nur gefragt, von wo er wäre.

Nun war der Knabe schon fortgelaufen; der Vater Kaiser aber ging in sein Gemach und wurde traurig, weil er einen so schönen goldlockigen Knaben in seinem Garten gesehen hatte. Seiner ersten Gemahlin Worte im Hanf kamen ihm[69] in den Sinn. Fragte die Schwiegermutter, die war jetzt nun Schwiegermutter, die Köchin:

»Warum grämt Ihr Euch, erlauchter Kaiser?«

»Wie sollte ich mich nicht grämen! Ich habe einen goldlockigen Knaben gesehen; doch wehe mir, ich konnte nicht mit ihm sprechen.«

Kam's der Köchin in den Sinn, ob wohl ihr Mann jene Kinder getötet hatte, oder nicht. Sie tat Brot in ihre Schürze, dies und jenes, lief hinunter zum Fischerhaus, wo die beiden Kinder wohnten. Sie traf nur das Mädchen zu Hause. Sie fragte sie:

»Wo ist dein Bruder?«

»Jagen,« erwiderte das Mägdlein.

»Ach du,« sagte sie, »schau, was ich dir gebracht habe,« sagte sie. »Sag deinem Bruder nicht, dass ich dich's lehrte, sag ihm nur, wenn er heimkommt, er solle ausziehen; dir habe geträumt, er sei ausgezogen, und Fee Ilona habe ein Tatoschpferd, das habe er entwendet. Er müsse zu Pferde sein, als Jägerbursche.«

Denn sie glaubte, er würde umkommen, wenn er dahinginge.

»Doch sag nicht, dass ich's dich lehrte; denn ich gebe dir noch mancherlei.«

Nun kam der Bruder heim, und die Schwester sagte:

»Was mir geträumt hat, Bruder!«

»Was denn?« sagte er.

»Mir hat geträumt, du suchtest Fee Ilona auf, und sie habe ein Tatoschpferd, du sollst es stehlen und drauf zur Jagd reiten.«

»Wohlan,« sagte der Knabe. »Lass es bis morgen; denn es ist schon spät am Abend. Morgen früh werde ich sie aufsuchen, wenn Gott mir hilft.«

Frühmorgens stand er auf, wusch sich, betete, dann machte er sich auf den Weg. Er wandert und wandert; wie[70] er auf ein Gehöft herauskommt, trifft er einen Schäfer. Er spricht zum Schäfer:

»Guten Morgen, Freund Schäfer!«

»Grüss Gott, Freund Karl! Und wohin so früh des Wegs?«

»Meiner Schwester träumte, Fee Ilona habe ein Tatoschpferd, ich soll sie aufsuchen und es stehlen und drauf zur Jagd reiten, weil ich ein Jägerbursch bin.«

»Wohlan, Freund Jäger, nur auf ein Wort! Du gehst jetzt diese Strasse. Wenn es schön dämmert, morgen früh, langst du bei einem grossen Steingehege an. Vor dem Steingehege werden Wachen sein, doch sie werden schlafen, wenn du anlangst, und das Tor wird sich öffnen. Geh hinein hinten bis ans Ende des Hofes. Im Stall sind zwei Reihen Pferde, doch eins liegt im Mist. Das ergreife und führe es hinaus, kümmere dich nicht darum, dass es dreckig ist. Wenn du herauskommst, setz dich darauf, und du kannst mutig davonreiten, es wird dir nichts zu leide geschehen.«

Nun, er fand es auch, so wie der Schäfer ihn unterwiesen hatte. Er kam auch wohlbehalten damit nach Hause, zu seiner Schwester.

Er dachte nicht weiter an das Pferd, band es dort im Hofe an, nahm den Pfeil und ging in des Kaisers Garten, jenen Hasen zu schiessen. Als er auf ihn zielte, siehe, da rief sein kaiserlicher Vater ihm wieder zu, er sollte stehen bleiben. Er erschrak wieder und lief von dannen, liess den Hasen dort, schoss ihn nicht.

Der Kaiser grämte sich wieder noch mehr, dass er mit dem Knaben nicht hatte sprechen können.

Fragt ihn wieder seine Schwiegermutterköchin:

»Warum grämt Ihr Euch so sehr, erlauchter Kaiser?«

»Wie sollte ich mich nicht grämen, wenn ich einen so schönen, goldenen Knaben sehe, und ich kann nicht mit ihm reden.«[71]

»O grämt Euch nicht,« sagte sie. »Wenn er wieder her kommt, werdet Ihr mit ihm reden.«

Doch die Köchin war indessen nicht faul; sie nahm wieder allerlei in ihre Schürze, auch noch Geld dazu, trug es hin zum Fischerhaus, zum goldhaarigen Mägdlein und schenkte es ihr. Sie sagte ihr diesmal, wenn ihr Bruder heimkommt, soll sie jetzt das geträumt haben, dass Fee Ilona eine Bande habe, wie sieben Könige in sieben Reichen sie nicht hätten. Die solle er stehlen, dass sie auch eine Bande habe, das hätte ihr geträumt.

»Sag nicht, dass ich's dich lehrte; denn ich werde dir noch mehr geben, wenn du folgst.«

Denn sie glaubte, wenn sie ihn dahinschickte, würde er umkommen und fürder nicht in des Kaisers Garten kommen, dass der Kaiser ihn sehe.

Kommt der Knabe heim, spricht seine Schwester:

»Was mir geträumt hat, Bruder!«

»Was denn?«

Sie sprach:

»Ein Pferd hast du, mit dem du auf die Jagd gehen kannst, jetzt geh und stiehl Fee Ilonas Bande, denn sie ist solcher Art, dass sieben Könige in sieben Reichen sie nicht haben.«

»O du Schwester,« sagt er, »hat dich nicht jemand das gelehrt?«

»Nein,« sagt sie, »im Traum hab ich's gesehen.«

»Nun, lass es bis morgen früh. Morgen früh werde ich fortgehen, wenn ich lebe; jetzt ist's schon spät.«

Also in der Frühe stand er wieder auf, kleidete sich an, wusch sich, betete, dann machte er sich auf den Weg. Wieder begegnete er dem Schäfer auf demselben Platz.

»Guten Morgen, Freund Schäfer!«

»Grüss Gott, Freund Jäger! Wonach bist du wieder ausgezogen?«[72]

»Ich gehe«, sagte er, »denn meiner Schwester träumte, ich sollte Fee Ilonas Bande stehlen, deren gleichen sieben Könige in sieben Reichen nicht haben.«

»Wohlan, Freund Jäger, warte, nur auf ein paar Worte! Du kennst jetzt den Weg. Wenn du durch jenes Gitter eingetreten bist, ist dort, wo der Stall ist, hinten vor dem Stall ein grosser goldener Baum. Brich davon einen Zweig, wenn auch nur wie eine Nadel. Bring ihn und sorge um weiter nichts, denn die Bande kommt allein hinterher.«

Nun, er dankte dem Schäfer für den guten Rat, fand auch glücklich den goldenen Baum, denn er kannte den Weg. Doch er brach einen Zweig wie sein Arm. Als er mit jenem Zweig, den er dort abgebrochen, heimgekommen war, horch, da erklang die Bande so auf dem Hof, dass alle erschraken. Die Bande war dorthin gekommen.

Doch er liess die Bande, nahm den Pfeil und ging in des Kaisers Garten. Als er wieder auf den Hasen zielte, lauerte schon sein Vater Kaiser beim kleinen Tor. Wieder rief er, er sollte stehen bleiben; denn er wollte mit dem Knaben reden. Er erschrak und entfloh wieder.

Jetzt wurde der Kaiser immer trauriger, weil er nicht mit jenem Knaben reden konnte. Fragt die Köchin wieder, warum er sich wieder so grossem Kummer hingäbe. Er habe einen goldenen Knaben gesehen, sagt er; wenn er nicht mit ihm sprechen könnte, brächte er sich um, denn das Kind würde jeden Tag schöner.

Nun, jetzt war die Köchin nicht faul, sie tat wieder allerlei in ihre Schürze, geht wieder zum Mägdlein, zum goldhaarigen Mädchen.

»Ach du«, sagt sie, »ich habe dir dies gebracht und schenke dir noch jenes. Sag, dass Fee Ilona einen Spiegel hat, der von selbst spricht, und alles auf der Welt kund tut. Dir habe geträumt, er soll auch den entwenden.« –

Sie dachte, der ist im Haus, den kann er nicht stehlen![73]

»Sag nicht, dass ich's dich lehrte; denn wenn du also tust, schenke ich dir das und das.«

Nun kommt der Bruder heim. Spricht seine Schwester:

»Was mir jetzt geträumt hat, Bruder!«

»Was denn?« sagt er.

»Mir hat geträumt, Fee Ilona habe einen Spiegel, der alles auf der Welt kund tut. Raube auch den!«

»Hat dich nicht jemand das gelehrt, du?«

»Nein, niemand. Ich hab's im Traum gesehen.«

»Na, warte bis morgen früh; jetzt ist's schon spät am Abend.«

Morgens steht er wieder auf, kleidet sich an, betet und macht sich mit Gottes Beistand auf den Weg. Er begegnete dem Schäfer auf demselben Fleck.

»Guten Morgen, Freund Schäfer!«

»Grüss Gott, Freund Jäger! Wohin wieder des Wegs?«

»Ich gehe, denn hör, was meiner Schwester jetzt geträumt hat. Ich soll Fee Ilonas Spiegel entwenden, der alles auf der Welt kund tut.«

»Wohlan, Freund Jäger, du weisst jetzt den Weg. Doch wenn du durch jenes Gitter eingetreten bist, öffnet sich zur Linken eine Stubentür. Bleib dort nicht stehen, sondern geh ins siebente Zimmer; dort ist er ganz allein aufgehängt; weiter nichts ist im Zimmer, nur jener Spiegel. Den heissen sie den Alleswissenden Spiegel.«

Nun, er dankte dem Schäfer; dann machte er sich auf. Da er alle Wege und Stege kannte, fand er ihn auch, holte ihn auch richtig. Als er ihn heimgebracht hatte, schallte die Baude auf dem Hof.

Er legte den Spiegel hin, dachte nicht weiter dran, nahm den Pfeil und ging, den Hasen in des Kaisers Garten zu schiessen. Als er auf ihn zielte, erwartete ihn wieder sein Vater Kaiser in der kleinen Tür, lauerte immerfort. Er rief,[74] er sollte stehen bleiben; doch er erschrak und entfloh auch diesmal.

Was dachte sich jetzt nun der Kaiser? Er grämte sich wieder sehr, dass dieser Goldknabe ihn schon so oft getäuscht hatte. Er dachte, morgen früh wird er sich aufs Pferd setzen und ihn dort zu Pferde belauern. Wieder fragt die Köchin:

»Warum grämt Ihr Euch, erlauchter Kaiser?«

»Geht nur, fragt nicht,« sagt der Kaiser. »Noch einmal will ich ihn erwarten, und wenn ich nicht mit ihm reden kann, bringe ich mich um.«

Doch die Köchin war nicht faul. Mit einer guten Handvoll Geld läuft sie zum Mädchen.

»Du«, sagt sie, »sag deinem Bruder, das Pferd sei sein, die Bande auch, der Spiegel auch; dir habe geträumt, er soll Fee Ilona sich zur Gemahlin rauben.«

Sie zählte darauf, dass er das auf keine Weise vollbringen könnte, er würde umkommen.

Wohlan, der Knabe kommt heim. Spricht seine Schwester:

»Was mir jetzt geträumt hat, Bruder!«

»Was denn?« sagt er.

»Du hast das Pferd, die Bande auch, den Spiegel auch, geh jetzt, raube Fee Ilona zur Gemahlin, dass sie deine Gemahlin werde!«

»Wohlan, hat dich das nicht jemand gelehrt?«

»Nein«, sagt sie, »ich hab's im Traum gesehen.«

»Na, lass es bis morgen früh, ich mache mich morgen früh auf, denn es ist schon recht spät.«

Früh morgens steht er wieder auf, betet, kleidet sich an, bindet jetzt sein Pferd los, und wahrlich, er wird jetzt nicht zu Fuss auf die Freite gehen. Er schwingt sich aufs Pferd, als er hinauszieht zum Schäfer:

»Guten Morgen, Freund Schäfer!«

»Grüss Gott, Freund Jäger! Wohin geht's wieder zu so früher Stunde?«[75]

»Ich gehe«, sagt er, »denn hör jetzt, hör, was meiner Schwester träumte. Ich soll Fee Ilona mir zur Gemahlin rauben.«

»Ich weiss nicht, Freund Jäger, ich rede dir nicht zu, das wirst du nicht vollbringen können. So lange es nur irgend ging, habe ich dich unterwiesen, wie ich konnte; damit habe ich dir geholfen; jetzt weis ich nichts, obgleich ich Christus bin. Es wird besser sein, wenn du in deine bescheidene Hütte zurückkehrst, denn sonst trifft dich ein Unglück.«

»Was bist du?« sagt er. »Du bist Christus? Du bist nicht Christus! Das glaube ich nicht.«

»Wenn du's nicht glaubst, folge mir nicht; mir ist's gleich; ziehe in Frieden!«

Sie schieden von einander, und er machte sich zu Pferde auf, denn er wusste den Weg. Wohlan, doch jetzt, wie er eine Strecke geritten ist, da war zwar kein Wasser bisher gewesen, aber jetzt kommt er an so ein Wasser, dass er, soweit das Auge sieht, nichts anderes sieht als nur klares Wasser. Er spornte sein Ross und sprengte ins Wasser. Doch da hub das Pferd unter ihm zu reden an:

»Siehe, mein Herr Jäger, du hast seiner gespottet, und doch war jener Schäfer Christus. Du hast ihm nicht gehorcht, doch gehorche jetzt wenigstens meinen Worten. Ich werde dich über dies Wasser tragen, denn ich bin oft schon die Kreuz und Quer hinüber gegangen. Morgen früh, wenn der Morgen graut, werden wir dort beim Gitter sein, wo du hineingegangen bist. Vor Fee Ilonas Gittertor werde ich ein schmucker schöner Laden und eine Eisentür, du wirst zu einem schönen Ladenburschen und bietest bei Tagesanbruch ein schönes Gewand feil. Jenes Gewand wird aber derart sein, dass es auf der Welt kein schöneres gibt. Noch drei Gewänder werden in einer Lade verpackt sein, doch du biete nur dies eine feil, hole die andern nicht vor. Wenn Fee Ilonas Magd, die erste, in der Frühe aufsteht, wird sie sehen, dass vor dem Gitter, draussen beim Tor ein schöner Laden ist und ein[76] schöner Ladenbursche ein so schönes Gewand feilbietet, wie sie noch niemals gesehen. Sie weckt die Frau, sie solle aufstehen, denn seht nur, was für ein Laden vor dem Tor ist und was für ein Ladenbursche was für ein Gewand feilbietet. Darauf schilt Fee Ilona die Magd:

»Du hast's im Traum gesehen! Wer sollte wohl einen Laden vor das Tor gestellt haben, wenn doch gestern noch keine Spur davon da war?«

Doch sie weckt sie immerzu.

»Beliebt aufzustehen und aus dem Fenster zu sehen!«

Flugs erhebt sich Fee Ilona, schaut zum Fenster hinaus, sieht vor dem Tor in einem schönen Laden einen schönen Burschen ein schönes Gewand feilbieten. Gleich sagt sie zur Magd:

»Geh, lass dir das Gewand vom Ladenburschen geben, und wenn es mir passt, gebe ich ihm dafür, was er will.«

Du aber sprich zu Fee Ilonas Magd: sie selbst möge zu kommen belieben, denn das ist kostbare Ware, und wenn es ihr nicht passt, könnte es schmutzig werden.

Nun, so geschah es auch. Er wollte es dem Mädchen durchaus nicht übergeben. Da erhebt sich Fee Ilona vom Lager, wie das Mädchen zurückkommt, schlüpft in ihre Schuhe, nimmt ein grosses Tuch um den Kopf, tritt auf die Treppe und ruft dem Kutscher zu, er sollte auf der Stelle vier Pferde anspannen und vorfahren. Er spannt vier Pferde an, fährt hin, und dann steigt sie in die Kutsche, fährt beim Laden vor, dort lässt sie halten, steigt ab, tritt in den Laden. Sie grüsst gleich den Ladenburschen und fragt nach dem Gewand. Nun, jetzt legt sie das Gewand an, und es passt ihr auch. Doch wenn sie es genommen hat und fragen will, was es kostet, dann zieh du die andere Schachtel vor, und nimm jenes andere Gewand heraus, und wenn Fee Ilona das sieht, wirft sie das erste hin, denn das ist noch viel schöner, das andere. Wenn sie jenes angelegt hat, das zweite, dann hole das dritte vor,[77] dann wird sie das auch ablegen und jenes aufheben, denn das ist noch schöner.«

Nun, also hatte der Tatosch seinen Herrn unterwiesen, als sie drinnen im Wasser waren. Jetzt nun, als der Morgen graute, da gewahrte er, dass er in dem Laden war und ein schöner Ladenbursche war. Es geschah auch, wie sein Pferd ihn unterwiesen. Fee Ilonas Mädchen erblickt den schönen Laden, den Burschen und das Gewand, sagt es ihrer Frau, ihre Frau ruft den Kutscher, geht in den Laden, probiert die Gewänder an. Die Kutsche aber stand immer vor dem Laden. Während sie die drei Gewänder anlegte, unterdessen hatte sich der Laden mit dem Kutscher, Fee Ilona und allem samt und sonders fortbewegt. Nun, als sie den Preis des dritten Gewandes erfragen wollte, da waren sie schon am jenseitigen Rande des Wassers. Nun, jetzt fragte sie nicht mehr danach, denn sie gewahrte, dass sie schon jenseit des Wassers waren. Nun fragt sie:

»Also mein Pferd ist geraubt worden, meine Bande ist geraubt worden, mein Spiegel ist geraubt worden, bin ich auch geraubt?«

Da umarmte sie der Ladenbursche:

»Jener Dieb soll dein werden!« sagte er. »Ich bin dein, du bist mein; das Grabscheit und die grosse Glocke mögen uns scheiden.«

Da knallte die Ladentür einmal, und aus der Ladentür wurde das Tatoschpferd, das es vorher gewesen war, und aus dem Laden wurde nichts, und sie sassen beide drinnen in der Kutsche, in der Fee Ilona gekommen war. Da sprach Fee Ilona:

»Mein schönes Herzlieb, wie konntest du mich so rauben?«

»Schau dort den, der's mich lehrte.«

Das Tatoschpferd war dort hinter der Kutsche angebunden. Nun gut, sie fuhren also jetzt dem Fischerhause zu. Aber schon sieben Kilometer weit vor ihnen hörte sie die Bande. Sie sprach:[78]

»Horch, wo spielt meine Bande?« sprach Fee Ilona.

»Lass nur, wir werden gleich beim Tor sein.«

Sie laugten auch an und fuhren auch gerade in jenen Hof ein. Als sie eintraten, fanden sie die Bande und den Spiegel und seine Schwester, das goldhaarige Mägdlein. Da war grosse Freude.

Doch der goldhaarige Knabe stieg aus der Kutsche, liess alles in Stich, nahm den Pfeil, ging nach dem Hasen in den Garten. Nun, da sprach Fee Ilona:

»Halt, mein schönes Herzlieb, ich möchte dir auch einen Rat geben! Geh jagen in deines Vater Kaisers Garten, besteig das Pferd, das du mir entwendet hast. Wenn du auf den Hasen zielst, gib acht; dein Vater Kaiser wird winken, dass du stehen bleiben sollst. Du aber bleib ruhig stehen; er tut dir nichts, ladet dich nur morgen zum Mittagsmahl. Du aber sprich drauf: »Ich werde zu deinem Mittagsmahl kommen, erlauchter Vater, fürchte nichts anderes, wenn du mich selbdritt zu deinem Mittagsmahl aufnimmst. Und deine erste Frau, die du vor sieben Jahren in die Steinwand hast einmauern lassen, lass sie auch heraus, damit auch sie dort beim Mahle sei.«

So unterwies Fee Ilona ihren Liebsten.

Nun, der Knabe bestieg das Pferd, das er Fee Ilona entwendet. Er ritt in den Garten. Sein Vater erwartete ihn auch zu Pferde; sein Vater hatte ein noch siebenmal besseres Pferd als er. Er dachte, wenn er entflieht, wird er ihn so auch greifen, denn sein Pferd würde ihn einholen. Plötzlich rief er ihm zu, er sollte stehen bleiben. Da blieb der goldhaarige Knabe stehen, als er auf den Hasen gezielt hatte. Der Kaiser geht hin, gibt ihm die Hand und ladet ihn zu morgen zum Mittagsmahl. Da entgegnete der Knabe:

»Ich werde kommen, erlauchter Vater, wenn du mich selbdritt zu deinem Mittagsmahl aufnimmst, und deine erste[79] Frau, die du vor sieben Jahren hast einmauern lassen, herauslässt, dass auch sie dort beim Mahle sei.«

Als der Kaiser das vernahm, erblich er vom Scheitel bis zur Sohle. Drauf nahmen sie Abschied. Der Kaiser ging hinein, der Knabe ging heim.

Jetzt nun befahl der Kaiser, sie sollten sich an die Bereitung des morgigen Mahles machen. Er lud allerlei Könige, Herzöge, brave Leute, allerlei ein.

Wie morgen die Mittagszeit herankommt, da versammeln sich alle Gäste, die er eingeladen hatte. Er liess seine erste Gemahlin aus der Steinmauer holen, und siehe, sie lebte, denn die Truthühnerhirtin hatte sie die sieben Jahre lang heimlich von ihrem eigenen Essen gespeist. Als er sie am Leben sah, wurde der Kaiser sehr traurig. Nun, jetzt wartete der Kaiser den ganzen Tag darauf, wer das wäre, der gesagt, er sollte ihn selbdritt aufnehmen.

Nun, und jetzt waren sie auch fertig, Fee Ilona, der goldhaarige Knabe und das goldhaarige Mädchen. Doch Fee Ilona sagte noch, als sie hinfuhren, er sollte mit niemandem etwas reden, wie wenn er stumm geboren wäre; denn sie würde an seiner Statt antworten.

Nun gut, sie langten zu dritt an mit den vier Pferden und mit der Kutsche. Schön waren sie auch, der goldhaarige Knabe und das goldhaarige Mädchen, und Fee Ilona war noch schöner. Alle Welt schaute auf sie, als sie aus der Kutsche stiegen. Man wies ihnen freundlich Plätze an. Als die Unterhaltung überall im besten Gange war, redete Fee Ilona und auch das goldhaarige Mädchen, doch der goldhaarige Knabe redete mit niemandem etwas. Alle sagten, er sei stumm. Sprach der Kaiser:

»Wie könnte das sein? Gestern, als ich ihn zu Mittag lud, gab er mir die Hand; ich sprach mit ihm wie jetzt mit Euch.«[80]

Sie fragten ihn alle aus, aber er sagte nichts. Plötzlich erhob sich Fee Ilona, seine Gemahlin.

»Erlauchter Kaiser, Könige, alle Gäste hier, er ist nicht stumm, nur jung. Er war niemals an solch einem Ort und schämt sich. Beliebt also zuzuhören, ich werde an seiner Statt reden.«

Dann hub sie an:

»Grossmächtige Könige, Herzöge, es war einmal eine arme Frau, die hatte drei grosse Töchter. Die gingen des Sommers hinaus aufs Feld, Hanf raufen. Beim Hanfraufen scherzten die Mädchen. Sprach die erste: ›Ach ihr, wenn mich jener Kaisersohn nähme, der hier vorüberritt, ich machte aus einem Hanffaden so viele Hemden, dass sie für alle Soldaten ausreichten.‹«

Als sie das gesagt, sprach der Kaiser:

»Halt, denn das ist mir geschehen.«

Doch die Könige und Herzöge litten es nicht, sie sollte nur weiter reden.

Die zweite sprach: »Wenn er mich zur Gemahlin nähme, backte ich aus einem Weizenkorn so viele Brote, dass es für alle Soldaten langte, und auch uns noch bliebe.«

Da sprach der Kaiser wiederum:

»Halt, sprich nicht weiter, denn mir ist das geschehen.«

Die dritte sprach: »Wenn er mich nähme, ich würde ihm zwei goldhaarige Kinder zur Welt bringen.«

Jetzt fasste sie den goldhaarigen Knaben und das goldhaarige Mädchen, stellte sie vor sich hin und sprach:

»Beliebt sie anzuschauen, diesen goldhaarigen Knaben und dieses Mädchen anzuschauen, und jene ist ihre Mutter, die es gesagt hat.«

Da litt es der Kaiser nicht, dass sie noch ein Wort weiter redete. Er umfasste plötzlich seine erste Gemahlin, küsste sie, umarmte sie und führte sie zu den beiden Kindern. Er umarmte den goldhaarigen Knaben und das Mädchen und[81] küsste es auch. Nun musste die Köchin eingestehen, was geschehen war. Ihr Mann wurde herbeigerufen, dass er sie in die Barke gelegt und aufs Wasser gesetzt.

Dann ergriff der König seine Schwiegermutter und liess sie in Binsen einbinden und mit Petroleum begiessen und liess sie angesichts aller Gäste auf den Hof führen und für ihre bösen Taten verbrennen. Und ihre Tochter, die seine Gemahlin geworden war, hiess er in ein Fass stecken, ganz in Stücke schneiden und den Geiern und Raben zum Frass überlassen.

Er hielt dort das Fest, den Schmaus sieben Tage und sieben Nächte. Alle feierten das Fest bis nach Wien hin. Schüsseln, Teller, Löffel gab's genug; der musste schon tüchtig sein, der einen Tropfen Suppe bekam. Die krummbeinig sind, die haben alle dort ihr Gebrechen abbekommen, als die Knochen herumgeworfen wurden. Wer jetzt kahlköpfig ist, auf den ist die Suppe gespritzt; davon ist er kahl geworden. Ich bin auch kahl geworden; vielleicht wart Ihr's, der die heisse Suppe auf mich gegossen.

Quelle:
Róna-Sklarek, Elisabet: Ungarische Volksmärchen. Neue Folge. Leipzig: Dieterich 1909, S. 65-82.
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