Der Ernteschmaus in der Eierschaale.

[110] Ein alter Mann, Namens David Tomos Bowen erzählte folgende Geschichte. – Meine Mutter, sagte er, wohnte in der Nachbarschaft eines Farmhauses, welches, wie allgemein geglaubt wurde, von den Feen heimgesucht war. Es war eines jener altmodigen Häuser unter den Bergen, welches nach der Sitte der Zeiten gebaut war, wo die Farmer auf die Sicherheit und das Wolbefinden ihres Viehs noch ebensoviel bedacht waren, als auf das ihrer Kinder und ihres Gesindes. Küche und Kuhstall waren auf derselben Flur; wo beide aneinanderstießen, waren sie nur durch einen niedrigen Verschlag getrennt, über welchen hin der gute Farmer seine Thiere sehen konnte, ohne daß er einmal hätte aufzustehn brauchen.

Nun waren meine Mutter und des Farmers Frau gute Freundinnen, und die letztere beklagte sich öfters bei ihr, daß die Feen sie und ihre Familie so plagten, daß sie gar keinen Frieden mehr hätten, und daß diese kleinen Ruhestörer immer, wenn die Familie zu Mittag[110] oder zu Abend oder zu irgend einer andern Zeit äße, oder auch nur still beisammen säße, sich im nächsten Zimmer tummelten und sie und ihre Leute fortwährend ärgerten. Wenn sie zum Beispiel in der Küche säßen, so schlügen die Feen in der Milchkammer ihre Purzelbäume, daß sie immer vor den Milchsetten Angst hätten, und wenn sie die Kühe anspannten, so wären die Feen in der Küche, sängen, lachten und sprängen über Tisch und Bänke, Topf und Tiegel.

Eines Tages, als ihre Leute und die Schnitter vom Feld gekommen waren, um den Ernteschmaus, welchen die Hausfrau mit großer Sorgfalt und Schmackhaftigkeit bereitet hatte, verzehren zu helfen, und alle sich schon um den Tisch gesetzt hatten: da hörten sie auf einmal Musik über sich und Lachen und Tanzen und pardauz! fiel eine dicke Staubwolke hernieder und verschüttete alle Speisen, die auf dem Tische standen. Besonders war der Pudding ganz verdorben, und den Leuten, welche sich schon auf das leckre Essen gefreut hatten, war vor Schreck aller Hunger vergangen. In diesem Augenblick der Verwirrung und des Aergers trat eine alte Frau herein, welche die Unordnung sah und die ganze Geschichte erzählen hörte.

»Laßt's Euch nicht verdrießen,« flüsterte sie der Frau des Farmers in's Ohr, »ich will Euch sagen, wie Ihr die Feen los werden könnt. Ladet auf morgen Mittag sechs von den Schnittern dort zum Eßen – aber thut's recht laut, damit Euch die Feen auch hören! – Und dann macht nicht mehr Pudding, als in eine Eierschaale geht und laßt es hübsch kochen.[111] Für die sechs ausgehungerten Mähder wird es freilich ein knappes Gericht sein, aber es wird hinreichen, um die Feen zu vertreiben. Folgt meinem Winke, und Ihr werdet in der Zukunft nicht mehr belästigt werden!«

Die Farmersfrau that, was ihr die Alte gerathen hatte; und als die Feen nun hörten, daß ein Pudding für sechs Mähder in einer Eierschaale angerührt und gekocht werde, da entstand im anstoßenden Zimmer gar ein gewaltiger Lärm und eine Stimme rief ärgerlich aus:

»Wir haben lange in der Welt gelebt; wir wurden geboren, sogleich nachdem die Erde geschaffen und noch ehe die Eichel gepflanzt war: aber einen Ernteschmaus in einer Eierschaale kochen haben wir noch nicht gesehn. Nein – in diesem Hause muß nicht Alles richtig sein – kommt, wir wollen nicht länger unter diesem Dache bleiben!«

Von der Zeit an hatte es mit der Musik, dem Lärmen und Tanzen ein Ende, und die Feen wurden in diesem Hause nicht mehr gesehn noch gehört.

Quelle:
Rodenberg, Julius: Ein Herbst in Wales. Land und Leute, Märchen und Lieder. Hannover: Rümpler, 1857, S. 110-112.
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