Yanto's Jagd.

[135] Vor Jahren lebte unter den Hügeln ein Mann mit Namen Evan Shone Watkin; man nannte ihn aber meistens Yanto'r Coetcae, d.h. Yanto (Volksausdruck für Evan) vom Holzanger. Nun geschah es einmal, daß Yanto nebst andern Freunden und Nachbarn zu einem Manne, der an der Grenze von Glamorganshire wohnte, eingeladen ward, um eine Taufe zu feiern. Der Abend ward, wie das bei solchen Gelegenheiten zu geschehn pflegt, in großer Heiterkeit verbracht; sie tranken vom stärksten Ale, sie zechten vom besten Meth und sangen Pennillion (walisische Volksliedchen) zur Harfe. So war es beinahe Mitternacht geworden, ehe sich Evan erinnerte, daß er noch einen weiten Weg nach Haus habe. Da seine Anwesenheit zu Haus am andern Morgen schon in aller Früh dringend nothwendig war, so beschloß er denn nun auch endlich aufzubrechen. Allein zu einer solchen Wanderung muß man sich stärken, und er leerte darum sein Bierglas mit doppelter Behendigkeit; und da er an das Sprichwort dachte: »ein Sporn im Kopf ist beßer, als zwei an den Fersen,« so nahm er noch einen Abschiedstrunk[135] Meth und machte sich alsdann auf seinen Weg, der über die Berge von Carno führte. Er war schon eine Zeit lang gegangen und hatte bereits eine beträchtliche Strecke in den Bergen hinter sich, als er auf einmal in weiter Entfernung Musik zu hören glaubte und zwar beinah in derselben Richtung, die er gieng. Indem er weiter schritt, fand er, daß sich die Klänge näherten und daß die Musik von einer Harfe und mehreren Stimmen, die sie begleiteten, herrühre. Sogar den Ton konnte er unterscheiden; es war nemlich der »Ar hŷd y nôs1«. Aber da die Nacht sehr dunkel war und der Nebel dick um ihn lag, so konnte er die Personen, die sich so vergnügten, nicht ausfindig machen. Da er wußte, daß weit in der Runde kein Haus sei, so wurde er durch das, was er hörte, sehr neugierig gemacht; und da die Musik fortklang und nur ein paar Schritte von seinem Wege zu sein schien, so glaubte er, es sei keine Sünde, wenn er ein wenig seitwärts gienge, um zu sehn, was es wäre. Obendrein dachte er, es würde doch Unrecht sein, so dicht an einer lustigen Gesellschaft vorbeizugehn, ohne nur ein paar Minuten zu verweilen und an ihrer Lustbarkeit Theil zu nehmen. Demgemäß bog er in der Richtung der Musik vom Wege ab und da er reichlich so weit gegangen war, um den Platz erreicht zu haben, auf welchem er die Musik vermuthete, so wunderte er sich nicht wenig, daß sie doch[136] noch eine Strecke weiter war. Indessen, da Yanto ein guter Philosoph war, so sagte er sich, daß Töne in der Nacht, wo Alles still sei, auf weitere Entfernungen hinaus gehört würden, als bei Tag, und da er nun einmal so weit von seinem Wege abgewichen sei, so wolle er nun auch nicht eher ruhn, als bis er die Musik gefunden hätte. Aber – wie dem nun auch sein mochte – je weiter er gieng, je weniger schien es wahrscheinlich, daß er sie erreichen würde. Zuweilen wichen die Töne vor ihm aus – und dann beschleunigte er seine Schritte, um sie nicht ganz zu verlieren und bei der Dunkelheit der Nacht rannte er mehr als einmal kopfüber in ein Torfmoor. Wenn er sich herausgearbeitet hatte und wieder auf seinen Beinen stand, so nahm er sich jedesmal vor, diese Jagd aufzugeben. Aber immer in demselben Augenblick hörte er die Töne lieblicher als zuvor, gleichsam als wollten sie ihn aufmuntern. Ja, seine Bemühungen wurden nicht selten dadurch angefeuert, daß er sich bei seinem Namen »Evan! Evan!« rufen hörte.

Da dieß nun in der That die anständigste Weise, ihn anzureden war (denn Yanto sagten doch nur die Bauern!) so vermuthete er, daß diejenigen, die er suchte – wer und wo sie immer auch sein mochten – mindestens doch sehr wolerzogene Leute sein müßten, und deswegen wuchs sein Verlangen, mit ihnen zusammenzusein. Sobald er folgte, hörte er sich denn freilich bei seinem ihm weniger angenehmen Namen: »Yanto! Yanto!« rufen. Wenn ihm dieser nun allerdings auch nicht so sehr schmeichelte, als der andre,[137] so mußte er doch in jedem Falle von guten Freunden kommen, war deshalb zu entschuldigen und bestimmte ihn, weiter zu gehn. Gleich der Musik aber waren auch diese Grüße oft so verworren, daß er zuweilen nicht genau unterscheiden konnte, ob es denn wirklich Musik und Stimmen oder die Birkhühner und Kibitze wären, die er bei jedem Schritt aus der Haide aufjagte.

Endlich, voll Aerger, daß alle seine Versuche fehl schlugen und obendrein außerordentlich ermüdet, beschloß er sich auf die Erde niederzulegen bis zum andren Morgen. Aber kaum lag er, da klang die Harfe wieder lockender als je zuvor und dabei so nah, daß er die Worte verstehn konnte, die dazu gesungen wurden. Darauf erhob er sich denn wieder und fieng die Jagd von Neuem an, tappte wieder in's Moor, watete knietief durch den Sumpf und zerriß sich die Beine, indem er sich durch den Ginster arbeitete, bis endlich seine Geduld und seine letzte Kraft ihn verließ. Aber wie groß war seine Freude, als er – in dem Augenblick, wo er eben zusammenbrechen wollte – eine kleine Strecke von sich entfernt, Lichter wahrnahm, die aus einem Hause herschimmerten, in welchem allem Anscheine nach eine fröhliche Gesellschaft beisammen war und sich, gleich derjenigen, die er am Abend verlaßen hatte, mit Musik, Trinken, und andren guten Dingen unterhielt. Bei solch' einem Anblick nahm er zum letztenmal seine Lebensgeister zusammen, gieng in das Haus, setzte sich beim Feuer nieder und forderte ein Glas Ale. Aber ehe noch das Glas gebracht war[138] oder er auch nur Zeit gehabt hätte, mehr von den Personen, die ihn umgaben, zu beobachten, als daß die Leute vom Haus –, sehr beschäftigt waren, ihren Gästen aufzuwarten und Alles den Anschein großer Fröhlichkeit an sich trug, da sank er, von der übergroßen Müdigkeit und dem zuvor getrunkenen Ale und Meth bewältigt, in einen tiefen Schlaf.

Ohne Zweifel, – er schlief lang und fest. Denn er erwachte erst am andren Morgen, als ihm die Sonnenstrahlen im Gesicht spielten. Aber als er die Augen öffnete und rund um sich sah, wie groß war sein Erstaunen, sich ganz allein zu finden, und von alle Dem, was er gestern Abend doch so genau gesehn hatte, ehe er einschlief, keine Spur mehr entdecken zu können. Von Haus und Gesellschaft war Nichts zu sehn und anstatt behaglich am Feuer zu sitzen, lag der arme Yanto fast erfroren auf einem kahlen Felsen, auf einer der luftigsten Spitzen des Darren y Killai, wol tausend Fuß hoch, und zwar so dicht am Rande, daß er senkrecht da hinunter gestürzt sein würde, wäre er in der Richtung nur noch ein oder zwei Fuß weiter gegangen.

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Wir theilen diese Melodie, eine der populärsten in Wales, im musikalischen Anhang unter Nr. 3 mit.

Quelle:
Rodenberg, Julius: Ein Herbst in Wales. Land und Leute, Märchen und Lieder. Hannover: Rümpler, 1857, S. 135-139.
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