Maen du yr Arddu, der schwarze Stein von Arddu.

[149] In Bettw Garmon, am nordwestlichen Abhange des Snowdon wohnte ein wolhabender Farmer, der eine einzige Tochter, Namens Meredith, hatte. Das Mädchen war sehr schön, aber dabei recht eigensinnig. Ein böses Herz hatte sie wol nicht, aber sie war verzogen und voller Launen. Da sie, wie gesagt, reich, schön und jung war, so konnte es ihr an Freiersleuten nicht fehlen; aber sie schlug Jeden aus. An Jedem hatte sie Etwas auszusetzen; der Eine war ihr zu groß, der Andre zu klein, – sie wies Alle mit Spott zurück, sie wollte ganz was Apartes haben. Da war nun im Dorfe auch ein Farmerssohn, mit Namen Huwcyn Sion. Der war nicht reich, aber der Rechtschaffenste und weil er so bieder war der Angesehenste im ganzen Kirchspiel. Dabei hatte er ein männlich Wesen und ein paar Augen im Kopf, die schon manches Mädchen toll gemacht hatten. Was konnte Huwcyn dazu? Er liebte, seit er denken konnte, nur Eine; und das war Meredith, die schöne, reiche Farmerstochter. Es sollte nun so kommen, daß auch Meredith ihn lieben mußte, und so tief und warm solch' ein schönes Mädchen nur lieben kann. Sonst hätte Huwcyn gar nicht daran zu denken[149] gewagt, um sie zu freien. Allein Meredith's Vater, der sein einzig Kind glücklich sehn wollte und auf Keinen mehr hielt, als auf Huwcyn, weil er so brav und rechtschaffen fleißig war, der ermuthigte ihn, seinen Antrag nur zu machen. Da zog sich Huwcyn aufs Beste an und machte sich auf den Weg. Meredith konnte den ganzen Tag thun, was sie wollte; sie jagte die Fohlen auf dem Anger vor der Farm. Als sie Huwcyn so stattlich gekleidet sah, rief sie aus: »Sag mir doch, Huwcyn, ist es heut Sonntag?« »Wenn Du willst, so ist es heut Sonntag für mich«, erwiderte Huwcyn und sagte ihr dann, warum er gekommen sei. Da aber lachte Meredith aus Leibeskräften, ja sie lachte so laut, daß die Fohlen über den Anger setzten; dann sagte sie: »Seht doch! Ei – seht doch! Meinst Du denn, ich wäre für einen Farmer nicht zu gut? Einen Barden will ich haben, sag' ich Dir, einen Barden! Und eh' Du nicht ein rechter Barde geworden bist, eher kann ich Dich auch nicht gebrauchen!« Damit lief sie wieder die Wiese hinauf zu den Fohlen. Huwcyn gieng in tiefster Betrübnis von dannen. Hätte er sich nur einmal umgesehn! Denn kaum war er fort, so kam auch Meredith wieder herunter, setzte sich auf die Gatterthür und sah ihm nach, so lange sie konnte. Er aber war sehr betrübt, und sah nicht rechts noch links. – An einem steinigen Platze, yr Arddu, der schwarze Weiler genannt, an dem man vorüberkommt, wenn man den Snowdon besteigt, liegt ein großer Stein, welcher Maen du y Arddu heißt.[150]

Nun geht die Sage, daß wenn zwei Personen eine Nacht auf diesem Steine schlafen, der Eine sich am andren Morgen, wenn die Sonne aufgeht, mit der Gabe des Bardenthums beschenkt sehn, der Andre aber wahnsinnig geworden sein würde. »Ich gienge hinauf«, sagte Huwcyn, »gleich! Denn wenn ich die Gabe des Sängers erhalte, so würde ich glücklich werden; und werde ich wahnsinnig, so fühle ich ja Nichts von meinem Unglück! – Aber es müßen Zwei sein, die da hinauf gehn – und wen darf ich bitten, auf solchem Gang mich zu begleiten?«

Indem begegnete ihm Huw Belissa. Er konnte ihm seinen Kummer nicht verbergen, denn Belissa war von Jugend auf sein liebster und bester Freund gewesen. Belissa war unter allen jungen Burschen als der größte Waghals berühmt; und kaum hatte er die Geschichte seines Freundes vernommen, als er schon fröhlich entschloßen ausrief: »Huwcyn, ich begleite Dich!« Je mehr Huwcyn abredete, um so fester ward Belissa's Vorsatz, und so traten sie denn nun gemeinschaftlich ihren Weg an. Als sie bei Meredith's Farm vorüberkamen, da stand das Mädchen vor der Thür.

»Wohin des Weges?« fragte sie.

»Dahinauf!« sagte Belissa, und zeigte zum Gipfel des Snowdon empor, der im Abendroth strahlte – »zum schwarzen Weiler!«

Bei diesem Worte fiel es dem Mädchen schwer aufs Herz. Allein sie faßte sich bald wieder und wünschte den Männern eine glückliche Reise. Auch[151] glaubte sie, die Beiden hätten nur spaßen wollen. Ueber eine Weile jedoch, da sie wieder hinaus sah, bemerkte sie die Beiden schon ganz weit in der Abenddämmrung hoch über den Tiefen. Da ward ihr angst und sie mußte den ganzen Abend an den schwarzen Weiler denken. Als sie sich zu Bett gelegt hatte, kam es ihr wieder im Traume vor – es war ihr, als sei Huwcyn wahnsinnig geworden – ihretwegen ... sie kämpfte, sie flehte, sie litt ... da erwachte sie, schweißgebadet, und vom Kirchthurm schlug es eben Mitternacht. Da konnte sie's auf dem Bett nicht mehr aushalten; sie sprang auf, zog sich eilig an, und lief hinaus. Von Liebe und Gewißensangst gejagt, klomm sie den Snowdon hinan. Es war eine finstere Nacht, nur einzelne Sterne funkelten aus dem Gewölk, und der Sturm, der am Snowdon nimmer rastet, jagte schauerlich durch die Höhlen und Löcher. Das arme Mädchen verirrte sich bei der Dunkelheit und schon fieng der Morgen zu grauen an, als sie noch immer in der unwegsamen Felswildnis kletterte. Endlich findet sie den Weg, endlich darf sie hoffen, noch frühe genug zu kommen, um die Schlummernden zu wecken und zu retten. Da, als sie mit dem letzten Aufwand ihrer Kraft den Gipfel erreicht, und den Namen des Geliebten ruft, – da, mit dem Klange zugleich trifft der erste Strahl der aufgehenden Sonne das Antlitz der Schläfer ... sie erwachen – und das Verhängnis ist erfüllt. Auf dem nebelumwallten Felsen, als wie auf einer Wolke schwebend, steht Huwcyn, vom Morgenroth das edle Haupt verklärt,[152] und mit dem Lachen des Wahnwitzes weckt Belissa das Echo der Klüfte des Gebirges. Meredith, von Liebe und Schmerz hingerißen, sank vor Huwcyn nieder, und umfaßte weinend seine Knie.

Dieser aber sagte: »Ich habe nur noch eine irdische Sorge, und das ist Huw Belissa – weiter habe ich Nichts mehr auf Erden!«

Huwcyn's Harfe ward das Entzücken seines Volkes; nur für Meredith war jeder ihrer Klänge wie ein Schwertstich. Sie, die Rose von Betta Garmon, welkte vor der Zeit, und starb als Mädchen; aber in Schloß und Hütte berühmt wurde Huwcyn Sion, mit dem Beinamen y Canu, der Sänger. Denn nicht vor, nicht nach ihm war ein beßrer Sänger in Cambrien.1

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Aehnliche Geschichten werden auch vom Cader Idris erzählt, nächst dem Snowdon der höchste Berg in Wales, und wie dieser ein Parnass der walisischen Barden. Auf der genannten Bergkuppe wird ein Stein gezeigt, welcher der Sitz des sagenberühmten Riesen, Astrologen und Barden Idris (aus dem 3. oder 4. Jahrhundert) gewesen sein soll. Wer eine Nacht auf diesem Stein schläft, wird mit poetischem Genius begabt. Hier soll vor nicht gar zu langer Zeit der walisische Dichter Evan Evans, von Ruhmbegierde getrieben, eine Nacht zugebracht haben, danach aber wahnsinnig geworden sein.

Quelle:
Rodenberg, Julius: Ein Herbst in Wales. Land und Leute, Märchen und Lieder. Hannover: Rümpler, 1857, S. 149-153.
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