Die Sauer-Sirene.

[129] Das goldene Abendrot schimmert,

Und still das Gebirge jetzt ruht;

Es glitzert und seltsam es flimmert

Der Sauer leis murmelnde Flut.

Von traulichen Märchen und Sagen

Süß flüstert der nächtliche Strauch;

Es bringet vom Wasser ein Klagen

Der Winde leicht zitternder Hauch.


Sauft schaukelt auf schillernden Wellen

Ein Schifflein mit rosiger Maid,

Und Lieder die Lüfte durchschwellen,

Hell funkelt der Jungfrau Geschmeid.

Leis seufzen die düsteren Weiden;

Es lispelt das Schilfrohr so bang;

Es lauschet der Jüngling mit Freuden

Dem süßen Sirenengesang.


Und wildes und stürmisches Sehnen

Ergreifet des Jünglings Gemüt;

Nicht sieht er den Wasserschlund gähnen,

Zur Jungfrau nur hin es ihn zieht. –

Und still die verlockenden Lieder,

Verschwunden der zaubrische Blick.

Es bringen den Jüngling nie wieder

Die trügrischen Wellen zurück.


8. August, 1880.

Erakegli.

Quelle:
Warker, N.: Wintergrün. Sagen, Geschichten, Legenden und Märchen aus der Provinz Luxemburg. Arlon: Willems, 1889/90, S. 129-130.
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