Erinnerung.

[142] Nebst einer Bank zwei Tannen standen

Da draußen einst auf grüner Au;

Und unsre Nachbarsleute nannten

Sie »Sitz der schwarzen schönen Frau.«


Ich sah, wie unter jenen Tannen

Beim Abendläuten einst sie saß;

Aus ihren Augen Thränen rannen

Hinunter in das duft'ge Gras.


Und leuchtend stiegen Mond und Sterne

Herauf am weiten Himmelszelt;

Es schien mir alles in der Ferne

Wie Traum aus schöner Märchenwelt.


Ich war ein Kind; wie sollt' ich deuten

Das herbe Leid der bleichen Frau?

Doch hört' ich drauf das Abendläuten,

Dacht' ich der Armen auf der Au.


Was mich erfüllt' mit süßem Schauer,

Mein Herz aufjauchzen ließ vor Lust,

Das weckte ihre tiefe Trauer

Und bebt' ihr schmerzlich durch die Brust.


11. Dezember, 1883.

Erakegli.

Quelle:
Warker, N.: Wintergrün. Sagen, Geschichten, Legenden und Märchen aus der Provinz Luxemburg. Arlon: Willems, 1889/90, S. 142-143.
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