15. Das Clairefontainer oder Bardenburger Kloster und seine Stifterin Ermesinde.

[36] Etwa anderthalb Stunde südöstlich von Arlon liegt zwischen waldigen Bergen still verborgen und von einem silberhellen Bächlein, dem Durbach, durchrieselt, das anmutige Thal von Clairefontaine. Diesen Namen verdankt der Ort dem Kloster, welches von der luxemburgischen Gräfin Ermesinde (1185–†1247) dort gegründet und im Jahre 1794 von den französischen Republikanern zerstört wurde. Statt des neuern französischen Namens Clairefontaine gebraucht die deutsch sprechende Bevölkerung der Umgegend noch heute meistens den ältesten Namen und nennt die nächste Umgebung des Klosters »Bardenburg«.

Dieser Name ist der eines bereits vor der Gründung des Klosters zerstörten Schlosses, das sich eben auf jener Stelle befand, worauf später die Klosterkirche gebaut wurde. Unbekannt sind die Namen der Erbauer und der Zerstörer der Bardenburg, in welcher der h. Bernhard und der Papst Eugen III. im Jahre 1147 auf ihrer Reise nach Trier von dem Burgherrn sehr gastfreundlich bewirtet und beherbergt wurden. Wann das Schloß gebaut, und wann dasselbe zerstört wurde, darüber herrscht ebenfalls große Dunkelheit.

Die Bardenburg verdankt ihren Namen einem gallischen Barden, der sich vor ihrer Erbauung auf einem der angrenzenden Berge niedergelassen hatte, um in stiller Einsamkeit das Unglück seines von den Germanen überfluteten Vaterlandes in wehmütigen Liedern zu beklagen. Lange Zeit bezeichnete man irrtümlicherweise mit dem Namen Bardenburg einen alten, stark befestigten Römerturm und das später daraus umgestaltete und nun verschwundene Schloß auf dem letzten Berge rechts am Ausgange des[37] Thales und unfern der Eisch. Allein das Volk kennt diesen Berg, der später mit seiner Burg in den Besitz des berühmten Hausmeiers Karl Martell kam, nur unter den Namen Karlsburg, Karlsberg oder Karlsbusch; während der Berg, an dessen Fuß das Kloster lag, der eigentliche Bardenberg ist.

Zu Ermesindens Zeiten hieß das Thal auch noch Beaulieu, nach dem Namen einer Einsiedlei, die sich auf den Ruinen der Bardenburg befand.

Über den Ursprung des Klosters Clairefontaine berichtet die Legende Folgendes:

Die Gräfin Ermesinde von Luxemburg kam öfters auf ihr auf dem Karlsberg gelegenes Schloß, wo sie mit besondrer Vorliebe weilte, da dessen friedliche und kirchenstille Umgebung ihrem Herzen so recht zusagte. An einem herrlichen Sommertage lustwandelte die hohe Frau das Thal Beaulieu hinauf und kam an ihr gewohntes, trautes, schattiges Plätzchen unter einer alten Eiche, welche neben einer der murmelnden Quellen des Thales ihre dicht belaubten Äste ausbreitete. Die fromme Gräfin setzte sich nieder und schlief aus Ermüdung oder durch Gottes Fügung ein. Da sah sie im Traume, wie eine hohe, majestätische Frau von blendender Schönheit mit einem Kindlein auf dem Arme von der nahen Anhöhe herabstieg. Die Hohe näherte sich der Stelle, wo die Gräfin schlief, setzte sich auf dem entgegengesetzten Rande der Quelle nieder und war plötzlich von einer Herde schneeweißer Schäfchen umgeben, deren Brust und Rücken mit einem zweihandbreiten schwarzen Streifen in Skapulierform gezeichnet waren. Mit innigem Wohlgefallen beschaute die himmlische Gestalt die lieben Schäflein, welche sich ihr zutraulich nahten; und freundlich streichelte sie eines nach dem andern. Auf einmal verschwand die hehre Erscheinung und Ermesinde erwachte.

Bei ihrem Erwachen erinnerte sich die Gräfin[38] eines jeden einzelnen Umstandes ihres Traumes sehr genau. Sie war überzeugt, daß Gott ihr den Traum geschickt, und daß derselbe irgend eine Bedeutung haben müsse. Sie wandte sich deshalb an einen alten, ehrwürdigen Einsiedler, der ganz in der Nähe ein heiligmäßiges Leben führte, damit ihr derselbe durch Deutung des Traumes den Willen Gottes offenbare.

Der Eremit sammelte sich zu einem langen und inbrünstigen Gebete und sprach dann: »Gnädige Gräfin, die hohe Frau, die Ihr im Traume gesehen, war die Muttergottes; die weißen und schwarzgestreiften Schäfchen bedeuten Bernhardinernonnen. Die allerseligste Jungfrau ist die besondre Gönnerin und Beschützerin dieses Ordens. Gründet also an dem Orte, wo Ihr die wunderbare Erscheinung gehabt, ein solches Frauenkloster; denn das ist der durch den Traum geoffenbarte Wille Gottes!«

Die gottesfürchtige Gräfin vernahm diese Deutung mit großem Wohlgefallen. Noch in demselben Jahre ließ sie eine große Schar Arbeiter kommen. Die legten rüstig Hand ans Werk, und bald standen Kloster und Kirche. Allein Ermesinde war inzwischen am Aschermittwoch, 13. Februar, 1247 gestorben, noch ehe das von ihr begonnene Werk vollendet war. Mehrmals des Tages erklang fortan des Glöckleins heller Silberton durch das stille Thal und versammelte des Klosters jungfräuliche Bewohnerinnen zum Gebete.

In der der h. Margaretha geweihten Seitenkapelle hing über dem ersten Grabmale Ermesindens, welche in dem von ihr gestifteten Kloster ihre letzte Ruhestätte haben wollte, ein Bild, das die schlummernde Gräfin und deren Traumgesicht an der Quelle in allen seinen Einzelheiten darstellte. Vor diesem Bilde ließ Gott zahlreiche Wunder geschehen, und besonders fanden dort die Besessenen schnelle und[39] gänzliche Befreiung vom bösen Feind. Dieses Gemälde mußte im Jahre 1652, da es ganz schadhaft geworden war, durch ein neues ersetzt werden.

Weitere Kunde besitzt man von Ermesindens erstem Grabmal nicht.

Am 20. Mai 1747 wurden Ermesindens ehrwürdige Überreste aus der St. Margarethen-Kapelle an einen andern, heimlich gehaltenen Ort übertragen. Die frommen Nonnen thaten dies wohl aus dem Grunde, weil sie befürchteten, das Grab ihrer seligen Stifterin könnte von den von einem Protestanten befehligten Franzosen, die um diese Zeit in das Luxemburgerland einzufallen drohten, entweiht werden. Um eine etwaige Grabesschändung zu vereiteln, ließen die Nonnen ein zweites Grabmal errichten und stellten es in einiger Entfernung von dem geheim gehaltenen Orte auf, wo sie Ermesindens irdische Hülle geborgen.

Auf Ermesindens zweitem Grabmal las man Folgendes in lateinischer Sprache:

»Hier ruht Ermesinde. Dieselbe war die Tochter des Grafen Heinrich von Namür und Luxemburg, die Braut des Grafen Heinrich von Champagne und war zuerst mit dem Grafen Theobald von Bar und in zweiter Ehe mit dem Herzog Waleram von Limburg vermählt. Sie ist die Ahnfrau des luxemburgischen Kaiserhauses. Eines Tages schlummerte sie am Rande einer klaren Quelle ein und wurde durch göttlichen Wink aufgefordert, dort dieses Frauenkloster zu Ehren Gottes und des h. Bernhard zu erbauen. Sie that es im Jahre 1216 und erkor diesen Ort zu ihrer ewigen Ruhestätte. Sie starb im Jahre 1246.«

Erst am 11. Mai 1875 wurde dieses Grab mit Ermesindens Überresten von den Arloner Jesuitenpatres,[40] den jetzigen Besitzern eines großen Teils des ehemaligen Klostergutes, durch Zufall unter den Kirchentrümmern aufgefunden. Angesichts dieser merkwürdigen und unbestrittenen Thatsache mußte ein jahrelanger und allgemein verbreiteter Irrtum endlich weichen. Mit heiliger Ehrfurcht hatte man nämlich bis dahin zu Arlon einen Schädel aufbewahrt, welcher den Flammen des von den republikanischen Horden angezündeten Bardenburger Klosters entrissen worden war, und den man irrtümlicherweise allgemein für denjenigen Ermesindens hielt.

Das Bardenburger Kloster war wie viele andre jener Zeit ein adliges Stift. Als solches und, wie es heißt, auf Ermesindens ausdrückliche Verfügung nahm es vorzugsweise die Töchter aus alten herrschaftlichen Familien auf. Dieser Umstand genügte schon an und für sich, um gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts den Untergang des Klosters heraufzubeschwören.

Kirche und Kloster sind zerstört. Außer einigen wohlerhaltenen Mauern, an welche sich die Wohnhäuser einiger Landleute anlehnen, sind nur mehr sehr wenige Trümmer vorhanden. Man sieht noch eine hohe Pforte, über der sich eine leere Nische mit der Inschrift: S. MATER HUMBELINA BERNADITARUM PATRONA befindet, eine geborstene Chorwand, zerbröckelndes, hier und dort vom Feuer gerötetes Gemäuer und einige unterirdische Gewölbe.

Die liebliche Quelle, an der die Gräfin geschlummert, fließt noch immer. Dieselbe ist drei Quadratmeter breit und befindet sich im Innern des jetzigen Hofes. Nach der klaren Quelle nannte man das Kloster, auf dessen Ruinen sich heute eine kleine Muttergottes-Kapelle erhebt, Clairefontaine.13

13

Bertholet. IV, 425. – Bertels. 152. – Ed. de la Fontaine. 115. – Schötter. 38. Institut archéol., XVI, 18. 34. 38. 51. 56. 58. 60. 61. 64. Marcelin La Garde. Le dernier jour de Clairefontaine. Bruxelles. – pp. 69–71. Moke Joly, etc., Panthéon national. La Belgique monumentale. Bruxelles, 1844. – T. II.. p. 110. J.B. Reichling. Histoire de l'ancienne abbaye de Clairefontaine. Luxembourg, 1866. – p.p. 3, 6, 7, 18, 20. Le Chevalier l'Evêque de la Basse-Moûturie. Itinéraire du Luxembourg germanique. Luxembourg, 1844. – p. 28. Dr N. Gredt. Sagenschatz des Luxemburger Landes. Luxemburg, 1885. – S. 443. A. Siret. L'homme aux légendes. Tournai, 1870. – p. 79.

Quelle:
Warker, N.: Wintergrün. Sagen, Geschichten, Legenden und Märchen aus der Provinz Luxemburg. Arlon: Willems, 1889/90, S. 36-41.
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