16. Ermesindens Traumgesicht.

[41] (Variante.)


In dem Staatsarchiv zu Arlon befindet sich ein Blatt, das zu den hinterlassenen Schriften einer Bardenburger Nonne, die mitten im vorigen Jahrhundert lebte, gehört. Dem Berichte dieser Nonne zufolge lustwandelte Ermesinde mit zwei ihrer Hofdamen das Thal Beaulieu hinauf und hatte die wunderbare Traumerscheinung am Fuße des Bardenberges neben einem der noch immer munter und geschwätzig dahin eilenden Quellchen.

Im Traume sah die Gräfin der Lämmlein bloß zwölf; und die beiden Hofdamen, welche sich während des Schlummers ihrer Herrin etwas entfernt hatten, sahen in Wirklichkeit, wie zwölf hirtenlose Schäfchen das Thal heraufkamen und auf die nahe Einsiedelei zugingen. Als Ermesinde erwachte, teilte sie ihren Begleiterinnen mit, was sie im Traume gesehen, und diese erzählten der Gräfin von den zwölf Lämmlein, welche sie in Wirklichkeit gesehen hatten.

Die drei Frauen ahnten sofort, daß dieser Traum eine übernatürliche Erscheinung sei, und begaben[42] sich zu dem in der Nähe wohnenden frommen Einsiedler des Thales, um von ihm die Deutung des Traumgesichtes zu erfahren. Die oben erwähnte Nonne fügt noch hinzu, daß das Kruzifix, vor welchem der Einsiedler gebetet, zu ihren Zeiten neben der Klosterkirche in einer armseligen Nische, die man mehr in Ehren halten sollte, gestanden habe.14

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Institut archéol., XVI, 21.

Quelle:
Warker, N.: Wintergrün. Sagen, Geschichten, Legenden und Märchen aus der Provinz Luxemburg. Arlon: Willems, 1889/90, S. 41-43.
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