22. Das Wichtelmännchen von Sterpenich.

[48] In ganz alter, alter Zeit hauste auf der Burg zu Sterpenich ein gar böser, grausamer und allgemein gefürchteter Ritter, der seine Unterthanen für das kleinste Vergehen, das sie sich zu schulden kommen ließen, mit unmenschlicher Härte bestrafte. Stets sann der Wüterich nach, wie er die unglücklichen Leute am besten schinden und placken könnte und gab dann häufig unausführbare Befehle. Wehe dem Armen, der denselben nicht nachkommen konnte!

Eines Tages schickte der Ritter einen seiner Leibeigenen mit einem Auftrage nach der etwa dreizehn Stunden entfernten Stadt Metz und drohte dem armen Schalk mit schwerer Strafe, falls derselbe noch vor Anbruch der Nacht mit der Antwort nicht zurück sei. Obschon der bedauernswerte Schelm wußte, daß er den erhaltenen Auftrag innerhalb der gegebenen Frist unmöglich auszurichten vermöchte, so machte er sich doch unverzüglich ohne weitere Gegenbemerkung auf den Weg, um einer sofortigen Strafe zu entgehen, und lief so schnell er konnte. Als er vor den Ort kam, stand da ein mit drei weißen Pferden bespannter Wagen, in welchem ein freundlicher Zwerg saß. Nachdem dieser erfahren, warum der Bauer sich so außer Atem laufe, bot er[48] ihm einen Platz in seinem Wagen an und versprach ihm auch, ihn innerhalb der gewährten Frist nach Metz u. zurück zu fahren. Das Bäuerlein nahm das Anerbieten dankbar an, stieg ein und fort ging es mit Windeseile.

Als die beiden vor Sonnenuntergang wieder vor Sterpenich ankamen, hielt der Wagen an, und der Zwerg sagte zu dem Leibeigenen: »Trage nun deinem Herrn die verlangte Antwort! Sage ihm aber auch, daß ich noch heute mit einem andren Wagen wiederkommen werde, um ihn nach seiner letzten Wohnung abzuholen!« Nachdem der gute Zwerg das gesagt hatte, war er plötzlich mit Pferd und Wagen verschwunden.

Der Burgherr war sehr erstaunt, als er sah, wie pünktlich sein Befehl ausgeführt worden war, und ließ sich den ganzen Hergang erzählen. Nachdem er aber die Botschaft des Zwergs vernommen, rief er laut voll ungläubiger Verwunderung: »Sterben – ich!« und brach leblos zusammen.

In der Nacht sah man, wie ein mit vier schwarzen Pferden bespannter Leichenwagen den Burghof verließ. Es war der Zwerg, der mit der Leiche des bösen Ritters von »Sterben – ich« von dannen fuhr.

Nach des Ritters letzten Worten gab man in der Folge dem Schlosse und dem Dorfe den Namen »Sterpenich«.18

18

Vergl. Basse-Moûtarie, 26. – Ed. de la Fontaine 4. – Dr, N. Gredt, 63. – A. Siret, 66. E. Tandel, Les communes luxembourgeoises. Arlon, 1889 – p. 187. N. Liez, Histoire des seigneurs de Colpach et d'Ell. Luxembourg 1866. – p. 35. Eug. Van Damme, Histoire de Chiny et d'Orval. Gand 1870. – p. 98.

Quelle:
Warker, N.: Wintergrün. Sagen, Geschichten, Legenden und Märchen aus der Provinz Luxemburg. Arlon: Willems, 1889/90, S. 48-49.
Lizenz:
Kategorien: