28. Hondelingen.

[59] Etwa eine Meile südlich von Arlon liegt das Dorf Hondelingen. Früher hieß die Ortschaft Rosenbur nach einer noch immer unter diesem Namen bekannten und nördlich vom Dorf fließenden Quelle. In der Ortschaft selbst sieht man heutzutage ein altes schlecht verwahrtes Gehäuse, auf dessen Stelle einst das herrliche Schloß Rosenbur gestanden, und von dem man nicht weiß, wann und wie es zerstört wurde. Rechts und dicht hinter der hohen Eingangspforte streckt noch heute eine dicke, über dreihundert Jahr alte Linde ihre zerfetzten und verstümmelten Arme über dem morschen Stamm in die Höhe.

Woher die Ortschaft ihren Namen hat, erzählt die Sage, wie folgt:

Als das alte Schloß Rosenbur noch stand, gebar die Edelfrau sieben lebendige und gesunde Knäblein in einem Male. Obwohl von ihrer ehelichen Treue vollkommen überzeugt, fürchtete sie den-noch, ihr abwesender Gemahl könnte sie bei seiner Rückkehr aus dem Kriege des Ehebruches beschuldigen oder verdächtigen. Sie ließ deshalb eine ihr sehr ergebene Dienerin zu sich kommen und gewann dieselbe durch inständiges Bitten und große Geschenke, sechs von den Knäblein in dem nahen Bache zu ertränken. Die Magd wickelte die sechs Kindlein in ihre Schürze und eilte auf das Wasser zu. Durch[59] einen außerordentlichen Zufall begegnete sie dem unverhofft heimkehrenden Edelmanne, welchem das Benehmen der Magd sehr verdächtig vorkam, und der sie deswegen um die Ursache ihrer Eile fragte. Die Dienerin stutzte und antwortete verlegen, ihre Herrin sei eines kräftigen Knäbleins genesen und habe ihr aufgetragen, sechs Hündlein, die eine Hündin auf einmal geworfen, im Bache zu ertränken. Der Ritter schien den Worten des Mädchens keinen Glauben zu schenken und verlangte, die Tierchen zu sehen. Darauf war die Dienerin nicht gefaßt; sie erbleichte und gestand zitternd dem Edelmann den wahren Sachverhalt. Doch der Herr beruhigte sie und gebot ihr, die Kinder unter strengster Verschwiegenheit zu sechs verschiedenen Ammen zu tragen, bei denen sie ohne Vorwissen der Mutter bis zu ihrem siebenten Jahre verbleiben sollten. Dann eilte er zu seiner Gattin und beglückwünschte sie zu ihrer glücklichen Entbindung.

Als die sieben Jahre vorüber waren, ließ der Edelmann die sechs bei den Ammen auferzogenen Knaben aufs Schloß kommen und dem auf dem Schlosse verbliebenen Sohn in allem ganz ähnlich kleiden. Hierauf rief er sein ganzes Haus zusammen, stellte die sieben Kinder vor und sagte zu seiner Gemahlin: »Wie glücklich wären die Eltern, denen in einer einzigen Geburt eine so zahlreiche Nachkommenschaft beschieden wäre!« – »Solche Eltern wären in der That nicht nur glücklich, sondern überglücklich zu preisen!« versetzte etwas verlegen die Edelfrau. »Wohlan!« erwiderte darauf der Gatte; »dies sind die sieben Knäblein, die du mir in einem Male geboren, und von denen sechs wie Hündlein hatten ertränkt werden sollen!« Erschrocken stürzte die Edelfrau dem Ritter zu Füßen und bat ihn unter Thränen um Verzeihung, die er ihr auch großmütig gewährte.

Seit jener Zeit, d.h. seit ungefähr 1319 führten[60] die Herren von Hondelingen die Hündlein im Wappen, und Burg und Dorf bekamen den Namen Hondelingen.22

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Ed. de la Fontaine, 172. – N. Liez, 40. – Institut (archéologique, 1I. 150. – J. Bertels, 130. – Französisches Manuscript.

Quelle:
Warker, N.: Wintergrün. Sagen, Geschichten, Legenden und Märchen aus der Provinz Luxemburg. Arlon: Willems, 1889/90, S. 59-61.
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