32. Der dankbare Werwolf.

[63] Eines Tages ging ein elfjähriges Mädchen von Metzig nach Tirpingen. Unterwegs kam ein großer Wolf; der faßte das Kind am Arme und führte es weit weg in einen Wald zu einem andren Wolfe,[63] dem es einen Knochen aus dem Rachen herausziehen mußte. Nachdem dies geschehen war, führte der erste Wolf das Mädchen wieder an den Ort, wo er ihm begegnet war, gab ihm eine goldne Kette und sagte: »Diese Kette ist für dich, gutes Kind; du wirst dieselbe stets behalten, so lange du keinem Menschen etwas sagst von dem, was im Walde geschehen ist!« Nach diesen Worten ließ der Wolf das Mädchen mit der goldnen Kette allein und lief wieder in den Wald zurück.

Das Mädchen steckte die wertvolle Kette in die Tasche und ging weiter. Als es nach Haus gekommen war, sagte es keinem Menschen etwas von seinem Abenteuer mit den Wölfen und versteckte sein Kettchen an einem heimlichen Orte. Wenn das Mädchen aber das goldne Geschmeide unbelauscht umlegen konnte, so war es immer froh und wohlgemut und stolz wie eine Königin. Treulich hatte es als unerfahrenes Kind und auch als alte Jungfer das Geheimnis bewahrt und erst in der Beichte auf dem Todesbette dem Priester das seltsame Erlebnis mitgeteilt.

Nach der Beichte schickte die Kranke nach dem Verstecke, um das Kettlein noch einmal in ihrem Leben umlegen zu können. Allein statt eines güldnen Kettleins fand man den Knochen vor, den die Sterbende als elfjähriges Kind dem Wolf aus dem Rachen gezogen hatte.

Quelle:
Warker, N.: Wintergrün. Sagen, Geschichten, Legenden und Märchen aus der Provinz Luxemburg. Arlon: Willems, 1889/90, S. 63-64.
Lizenz:
Kategorien: