33. Junker Diez und seine Schwester.

[64] Ungefähr zwölf Kilometer südlich von Arlon liegt zwischen Metzig und Gerlingen der alte Niedlinger Hof, der nach der Meinung des Volkes früher ein Kloster oder ein Schloß gewesen sein soll. Als die Franzosen noch im Lande hausten, nannten sie das alte verwetterte Gebäude seiner[64] Strohdächer wegen nicht anders als Château de paille oder Strohschloß.

In gar alter Zeit wohnte auf diesem Gute ein sehr reiches und unverheiratetes Geschwisterpaar. Es waren der Junker Diez und seine Schwester. Beide besaßen fast die ganze Umgegend ringsum, und alle Äcker, Felder und Wälder und Wiesen bis hinüber nach Künzig hin gehörten zum Hofe. Trotz ihres ungeheuren Reichtums waren die Geschwister sehr geizig und hartherzig und kümmerten sich ganz wenig um die Armen. Nach Gott und der Religion fragten beide gar nichts; beide gingen in keine Kirche und empfingen auch keine Sakramente.

Die Schwester verließ fast nie das Gehöfte und war beständig um die Dienstboten, gegen welche sie sehr streng und hart war.

Junker Diez dagegen war ein sehr leidenschaftlicher Jäger. Den ganzen Tag über jagte er draußen auf dem Felde oder im Wald herum und überwachte dabei gelegentlich und heimlicherweise das im Freien arbeitende Hofgesinde. Wehe dem unglücklichen Dienstboten, den der Junker einen Augenblick müßig sah!

Am liebsten ritt der Junker des Sonntags auf die Jagd, wenn alle andre Leute aus der Umgegend zur Kirche gingen. Einer der Lieblingsjagdgründe des Junkers waren die an drei Seiten durch Wald begrenzte Junkerwiese bei Künzig und deren nächste Umgebung.

Über den garstigen Geiz, die Hartherzigkeit und das gottlose Leben und Treiben der beiden Geschwister schüttelten die guten und frommen alten Leute der Umgegend sehr oft bedenklich den Kopf und sagten: »Mit den beiden da auf dem Hofe wird es kein gutes Ende nehmen! Gott sei ihren vom Teufel verblendeten Seelen gnädig!«

Eines Sonntagabends kam Junker Diez ziemlich verstimmt und mürrisch von der Jagd in der Junkerwiese[65] auf den Hof zurück. Eben als er in das Wohnzimmer treten wollte, fiel er plötzlich wie vom Blitz getroffen zu Boden und war tot. Kurze Zeit danach starb auch die Schwester eines plötzlichen Todes. Ihres ruchlosen, gottvergessenen Lebens und ihrer Hartherzigkeit wegen wurden beide verurteilt, nach ihrem Tode bis in alle Ewigkeit an die Orte zurückzukommen, wo sie bei Lebzeiten so übel gehaust hatten.

Seitdem geisterte die Schwester jede Nacht als weiße Frau, als blasser Schatten auf dem Hofe oder im Garten umher und brachte das alte Gut gar sehr in Verruf. Ihr Bruder, der Junker Diez, jagt mit großem Jagdgefolge des Nachts bei Wind und Wetter zu Künzig, in der Junkerwiese, zu Metzig, Rollingen, Athem, Gerlingen und Laser unsichtbar als verwunschener Jägersmann hoch in der Luft über Feld und Wald dahin. Mit Zittern und Grausen hören die Bauern das schauerliche Heulen des Sturmes, das Ächzen und Stöhnen und Rauschen der Bäume im Wald. Dazwischen ertönt dumpfes Pferdegetrampel, lautes und anhaltendes Schießen, gottloses Fluchen, wildes Hussageschrei, Hundegebell und Hörnerschall. Unheilschwangere Wolken jagen am Himmel dahin, die Erde erdröhnt, die Häuser erzittern, und die Fenster klirren, wenn Junker Diez mit seinem zahlreichen Jagdgefolg im Anzug ist. Andächtig macht der nächtliche Wanderer das h. Kreuzzeichen, und ohne ihm schaden zu können, zieht die wilde Jagd an ihm vorüber.

Nicht immer geht es so geräuschvoll her. Zuweilen irrt der Junker auch bei freundlichem Mondenschein und nur von einem oder zwei Hunden begleitet über die Fluren und Höhen dahin.24

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Vgl. Gredt, 184. 185.

Quelle:
Warker, N.: Wintergrün. Sagen, Geschichten, Legenden und Märchen aus der Provinz Luxemburg. Arlon: Willems, 1889/90, S. 64-66.
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