35. Der Schloßherr von Metzig und sein Hofmann.

[68] Zu Metzig lebte einmal ein reicher Schloßherr, der nicht weit von seinem Schlosse ein schönes Hofgut besaß. Obgleich der Hofmann, der dieses Gut gepachtet hatte, ein allbekannt großer Lügner war, so schien der gute Schloßherr dennoch den gröbsten Aufschneidereien desselben Glauben zu schenken und sagte eines Tages zu ihm: »Hör' einmal, Pächter! Wenn du mir je eine Lüge sagst, die ich nicht glaube, so soll der Hof, auf dem du wohnst, dein eigen sein!«

Der Hofmann war mit dem Vorschlag zufrieden und dachte Tag und Nacht darüber nach, wie er den Schloßherrn am besten überlisten könnte. Als er nun eines Morgens vom Felde kam, begegnete ihm der Schloßherr, und der fragte ihn: »Woher denn schon so früh des Weges?« Der Pächter erwiderte: »Ei, gnädiger Herr!« ich war »Rübenkraut« säen. »Ich hatte aber eines zu Hause liegen lassen; das hatte ich nun noch herbeiholen und nach den andren säen müssen. Übrigens gedeiht das Rübenkraut besser, wenn dasselbe des Morgens früh gesät wird!« – »Hm!« sagte der Schloßherr; »das habe ich noch nicht gewußt, daß man Rübenkraut sät; und es ist wohl wahr, so alt man auch werden mag, man erfährt doch immer was Neues und lernt täglich mehr!« Damit ging er weiter.[68]

Der Pächter aber sagte zu sich selber: »Muß der Herr doch ein geduldiges Hirn haben, daß er sogar glaubt, man könne Rübenkraut säen!«

Einige Wochen später begegnete der Schloßherr dem Hofmann abermals und fragte ihn wiederum, woher er komme. »Dieses Mal komme ich direkt aus der Hölle!« antwortete der Pächter. »Wie ist das denn möglich?« fragte erstaunt der Schloßherr. »Ei nun! Das ist sehr einfach! Hört nur, wie das zuging, gnädiger Herr!« sagte der Pächter. »Gestern war ich hinaus aufs Feld gegangen, um nach dem gesäten Rübenkraut zu schauen. Da war das eine, welches ich nach den andern gesät hatte, so kräftig in die Höhe geschossen, daß es mit seinem Geäste ins Himmelreich hinein ragte. Ich kletterte an dem riesigen Ding empor und gelangte glücklich bis in den Himmel. Dort war niemand zu sehen, als nur ein weißbärtiger alter Mann, der an der Himmelsthür saß und eingeschlafen war. In der rechten Hand hielt derselbe einen irdnen Pfeifenstummel und in der linken zwei große Schlüssel. Da wurde es mir furchtbar langweilig im Himmel, und ich wollte wieder hinunter nach Hause. Als ich jedoch nach dem Rübenkraut sah, war dasselbe weg; und mir blieb nun nichts anders übrig, als von dem vielen Stroh, das im Himmel lag, ein langes Seil zu machen, um mich an demselben wieder auf den Erdboden hinunter zu lassen. Ich befestigte das Seil an der Himmelsthür und glitt an demselben hinab. Leider war der Strick nicht lang genug; und als ich an dem Ende desselben angelangt war, schwebte ich noch hoch über der Erde. Da ich aber ganz müde war, so ließ ich das Seil fahren und fiel und fiel durch die Erdrinde hindurch mitten in die Hölle hinein. Dort herrschte ein ganz andres Leben, als da droben in dem öden Himmel. Die Zeit wurde mir auch gar nicht lang, wenn ich mich mit den vielen Bekannten, die ich[69] dort antraf unterhielt und Schnäpschen trank. Mit dem alten Müller, der vor zwei Jahren gestorben, spielte ich auch eine Partie ›Pandur‹. Eure alte Köchin, die Lise ....« – »Hast du meinen Vater auch dort gesehen?« unterbrach der Schloßherr den Erzähler, dessen Bericht er bis hierher Glauben zu schenken schien. »Ei gewiß! Warum denn nicht, gnädiger Herr, da ich ihn nicht im Himmel fand?« erwiderte der Pächter. »Ich habe sogar längere Zeit mit ihm gesprochen; er ist ziemlich armselig dran. Ich glaube aber, daß er unter den Höllenbewohnern glänzende Geschäfte machen könnte, wenn er nur Geld hätte!« – »So? – Und was treibt er denn eigentlich?« – »Oh! gnädiger Herr! er hütet – die Schweine!« – »Was? Das ist nicht wahr, Pächter! Das glaube ich nicht!« – »Auch gut, Herr! Aber nun ist der Hof mein!«

Quelle:
Warker, N.: Wintergrün. Sagen, Geschichten, Legenden und Märchen aus der Provinz Luxemburg. Arlon: Willems, 1889/90, S. 68-70.
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