36. Der letzte Herr von Guelff.

[70] Zu Guelff, einem kleinen Weiler, der zur Hewerdinger Pfarrei gehört, ließ sich während der langwierigen Kämpfe zwischen den Welfen und Ghibellinen in Welschland eine aus ihrem Vaterland Italien verbannte adlige Familie nieder, deren Geschichte sich jedoch in undurchdringliches Dunkel hüllt. Das Andenken an diese alte Herrschaft lebt aber noch fort in der Sage, welche das gegenwärtig von der Familie Rodesch bewohnte Gebäude zu Guelff als den alten Edelsitz, und mehrere zu Guelff und Hewerdingen ansässige Personen, welche den Namen Guelff tragen, als Abkömmlinge jener welschen Edlen bezeichnet. Der Ortsname Guelff soll übrigens an die Welfen (ital. guelfi) erinnern.

Von dem letzten Herrn von Guelff erzählt das Volk folgende Sage.

Eines Tages fand zu Guelff eine Versteigerung von Grundgütern statt. Unter den Liebhabern befand[70] sich auch der Ritter. Nun geschah es, daß ein Einwohner des Ortes ein Grundstück, das auch der Ritter haben wollte, um jeden Preis an sich zu bringen suchte. Über diese Dreistigkeit und Hartnäckigkeit aufs höchste erzürnt, griff der Ritter nach seinem Dolch und tötete den Bauer. Nachdem er die That vollbracht, schwang er sich auf sein Pferd und sprengte für immer von dannen.

Zwar sah man den Ritter nie wieder; aber nach seinem Tode schreckte sein Schatten lange Zeit die Einwohner der Umgegend. Bald jagte er unsichtbar als verwunschener Jäger unter lautem: »Hop! hop! hu! hu! hei! hei!« und von einer lärmenden Meute begleitet über die Guelffer und Hewerdinger Höhen dahin. Bald ängstigt er den nächtlichen Wandersmann zwischen Hewerdingen und Meer durch eine rauschende Musik, welche hoch in den Lüften ertönt und von Udingen herüber kommt. Zuweilen geschieht es, daß er, von hundert glühenden, Feuer und Flammen sprühenden Reitern begleitet, den einsamen Wanderer überfällt. Ein andermal tritt er mit einem seiner mitverdammten Spießgesellen im Breitbusch zwischen Esch op der Hurd und Guelff auf. Unter der Gestalt von Frauenzimmern werfen die beiden Unholde sich auf den erschreckten Wanderer, walken denselben tüchtig durch und zerren ihn ganze Stundenlang durch Dick und Dünn und Sand und Sumpf dahin. Und wenn endlich das grausame Spiel aufhört, so schleppen sie den Unglücklichen nach seinem Heimatsdorfe zurück, und hohnlachend verlassen sie dort ihr Opfer. Zerschunden, zerfetzt und beschmutzt, halbtot vor Müdigkeit, Hunger, Schmerz und Schrecken steht der arme Mensch auf, dankt Gott, daß er mit dem Leben davongekommen und erreicht mit Müh und Not seine arme Hütte.26

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Vgl. E. Tandel, 453.

Quelle:
Warker, N.: Wintergrün. Sagen, Geschichten, Legenden und Märchen aus der Provinz Luxemburg. Arlon: Willems, 1889/90, S. 70-71.
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