47. Der Hexenmeister Kaap.

[80] Unbekannt, ohne Geld, ohne Herberge und weit vom heimatlichen Dorfe entfernt irrte ein Mann von Herzig, namens Hetsch, an einem regnerischen Abend ziemlich trost- und mutlos durch die Straßen von Luxemburg. Da begegnete er einem Dorfgenossen, dem allerwelt bekannten Kaap, der als Nachbar neben ihm in der Hetschengasse zu Herzig wohnte. Kaap, war gebürtig von Saß und war in späteren Jahren nach Herzig übergesiedelt. Hetsch klagte dem Kaap sein Leid und sagte schließlich: »Ich wollte, ich säße ruhig und trocken daheim bei meiner Frau! Das gefiele mir besser, als hier in dem alten Festungsneste wie eine hungrige Ratte herumzulaufen!« Kaap hatte Mitleiden mit dem[80] armen Schlucker und erwiderte: »Weißt du was, Hetsch? Schwöre mir, dein Leben lang keinem Menschen etwas von dem, was ich thun werde, zu verraten, so will ich dir helfen!« Hetsch leistete den verlangten Schwur. »Wohlan!« fuhr Kaap fort; »deine Frau setzt sich in diesem Augenblick unter die schwarze Kuh, um dieselbe zu melken. Ehe sie sich wieder erhebt, sind wir zu Hause!«

Hierauf murmelte Kaap einige dem Hetsch unverständliche Worte, that einen leisen Schrei, und augenblicklich stand ein großer schwarzer Bock vor ihnen, auf den die beiden Bauern sich zugleich wie auf ein Pferd setzten. Auf einen weiteren leisen Ruf Kaaps erhob sich der Bock mit seinen beiden Reitern in die Höhe, und mit Sturmeseile flog er mit ihnen hoch in der Luft dahin. Zu Körich stieß der Bock mit seinen Hörnern an das Kreuz des Kirchturmes, der deswegen noch immer schief ist, und fing an zu sinken. »Usch! der Teufel!« schrie Kaap, und sofort stieg der Bock wieder höher.

Als die Bockreiter zu Herzig angekommen waren, sah Hetsch, wie seine Frau einige Augenblicke später mit dem Milcheimer aus dem Stalle kam. Er dankte dem Kaap für die freundliche Hilfe, wünschte ihm eine gute Nacht und trat in seine Wohnung.

Seit dem grausigen Ritte hatte Hetsch keine Ruhe mehr. Wenn er daran dachte, so wurde ihm immer ganz angst und bang; er wußte selber nicht warum. Endlich entschloß er sich, dem Pastor, als dem Stellvertreter Gottes, die Geschichte zu beichten. Dieser sagte: »Wenn die Leute am nächsten Sonntag aus dem Hochamte kommen, dann stelle dich vor die Kirchenlinde und sprich laut: ›Linde, dir sage ich es, aber keinem Menschen! Mein Nachbar, der Kaap, ist ein Hexenmeister!‹ – Und dann erzählst du ausführlich, was Kaap gethan hat!«

Hetsch that, wie der Pastor ihm gesagt. Als die[81] Leute ihn aber so sprechen hörten, ergriffen sie den Hexenmeister, banden ihm die Füße zusammen und brachten ihn auf den Polknapp, um ihn dort auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen. Als die Flammen an dem Zauberer emporschlugen, zog derselbe flugs ein Buch aus der Tasche und las einen Augenblick darin. Sofort fielen die Fesseln von seinen Füßen, und er ergriff die Flucht. Einige Zeit später wurde er ein zweites Mal ergriffen und mit seinem Buche, das man ihm zuvor abgenommen hatte, verbrannt.

Der Hexenmeister hatte einen Bruder. Dieser ließ seinen Namen ändern und nannte sich fürderhin Michel Herzig. Er stiftete viele gute Werke, um die Sünden des Hingerichteten zu sühnen.

Einer andren Mitteilung zufolge hieß der Hexenmeister Schwarz; und nach langen vergeblichen Versuchen ihn unschädlich zu machen, verbrannte man ihn schließlich in dem Keller des Hauses Ries zu Elcheroth.

Quelle:
Warker, N.: Wintergrün. Sagen, Geschichten, Legenden und Märchen aus der Provinz Luxemburg. Arlon: Willems, 1889/90, S. 80-82.
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