48. Der alte [82] pére Lafy und der Teufel.

Ein reicher kaiserlicher Hauptmann, den Krankheit gezwungen, das Soldatenleben aufzugeben, kam nach Alt-Habich, seiner Heimat zurück und baute an der Straße unweit des Waldes ein schönes Schloß und wohnte darin. Da er erst dreißig Jahr alt war, vermählte er sich mit einer reichen und minniglichen Jungfrau aus der Umgegend. Die Maid hatte den Hauptmann herzlich lieb; und als die Hochzeit vorüber war, lebte das junge Paar in stillem Glück auf dem herrlichen Schlosse. Nur eines trübte den sonst so heitren Himmel ihres Erdenlebens, denn ihre Ehe schien kinderlos zu bleiben.

Der Gedanke, daß er vielleicht ohne Leibeserben sterben könnte, machte den Hauptmann oft sehr[82] traurig, wenn er durch den herrlichen Schloßgarten spazieren ging. Eines Tages befand er sich auch im Garten und überließ sich, da er allein war, abermals diesen trüben Gedanken. Da kam ein schöner, schmucker Herr auf der Straße daher, grüßte den Hauptmann sehr freundlich und sagte: »Lieber Herr, Ihr scheint mir recht traurig zu sein! Was fehlt Euch?« – »Gewiß bin ich traurig!« seufzte der Hauptmann; »und Ihr, guter Herr, Ihr wäret es auch, wenn Ihr an meiner Stelle wäret!« Und dann erzählte er ihm von seinem Glück, von seinem Reichtum und seinem Kummer. Als er damit fertig war, sagte der Fremde wie im Scherz: »Hört, ich will Euch für recht bald einen Erben verheißen, wenn Ihr mir denselben in seinem fünfzehnten Lebensjahr überlassen wollt! Wollt Ihr?« Der Hauptmann lächelte ungläubig, hielt die Worte des Fremden für einen unschuldigen Scherz und versprach, dem sonderbaren Verlangen nachzukommen. Darauf ging der andre fort.

Und ehe noch ein Jahr vorüber war, genas des Hauptmanns Frau eines artigen Töchterleins. Das Kindlein wuchs heran, hatte blaue Äuglein, rote Bäckelchen und blondes Haar. Es war so lieb und schön, daß jeder der es sah, ihm gut sein mußte. Und da es immer brav und folgsam war, so waren die Eltern die glücklichsten Leute auf der Erde.

An dem Tage, als das Kind gerade fünfzehn Jahr alt geworden war, ging der noch immer kränkliche Vater mit ihm in dem Garten umher spazieren. Plötzlich stand ein fremder Herr vor ihnen; umfaßte, ehe die beiden ihn recht gesehen, die Tochter mit kräftigen Armen und eilte mit ihr, ohne daß der Vater es hätte hindern können, dem nahen Walde zu. Jetzt erst erkannte der Hauptmann den Fremden und erinnerte sich des unseligen Versprechens, das er demselben vor fünfzehn Jahren gemacht hatte. Da er aber dem Räuber nicht schnell[83] genug folgen konnte, so rief er demselben flehentlich zu, ihm doch sein liebes Töchterchen zu lassen. Allein der Räuber kümmerte sich nicht um das Flehen des jammernden Vaters, eilte weiter und verschwand bald mit seiner Beute in dem dichten Wald.

Bekümmerten Herzens kam der Hauptmann ins Schloß zurück und erzählte seiner Frau, wie ihr liebes Töchterchen von einem fremden Herrn, dem er das Kind vor fünfzehn Jahren, noch ehe es auf der Welt war, im Scherze versprochen, geraubt und in den nahen Wald geschleppt worden sei. Nun begann auch die unglückliche Mutter laut zu weinen und zu schluchzen; sie rang vor Schmerz die Hände und rief unaufhörlich nach ihrem Kinde. Doch alles Weinen und Wehklagen war vergebens, und alles Nachforschen im Walde blieb erfolglos; das arme Kind war und blieb verschwunden, und die trostlosen Eltern betrauerten es Tag und Nacht.

Einige Zeit nach dem Kindesraub kam ein Bettler in die Schloßküche, bat um einen Zehrpfennig und sagte, er sei früher Soldat unter den Kaiserlichen gewesen. Als der Schloßherr hörte, daß ein armer, abgedankter alter Soldat in der Küche um ein Almosen bitte, ließ er denselben vor sich kommen. Sobald der Soldat in das Zimmer des Hauptmanns trat, rief dieser verwundert aus: »Ei herrje! Bist du nicht der alte père Lafy, der als Sergeant in meiner Kompagnie stand?« – »Himmelsapperment und kein End! das will ich meinen! Und Ihr, lieber Herr, Ihr seid, wie ich sehe, unser guter Hauptmann Klemens!«

Der alte Sergeant mußte nun seine Schicksale erzählen; und als der Hauptmann vernahm, daß der greise Soldat recht armselig dran sei, erzählte er ihm auch sein Unglück und sagte schließlich: »Hier, Alter, hast du Geld! Das wird dich für lange Zeit vor aller Not schützen. Aber höre nun[84] noch eins! Du, mein lieber Lafy, warst allzeit ein Flausenmacher, und in schwierigen Verhältnissen wußtest du jedesmal mit Rat und That zu helfen. Wenn du mir meine Tochter zurückschaffen könntest, so solltest du zur Belohnung deine alten Tage bei uns auf dem Schlosse verleben; es würde dir an nichts fehlen, und du hättest es gut und herrlich bis an dein Ende!« – »Nun, das will ich gut heißen, Herr Hauptmann!« sagte der Sergeant. »Gebt mir nur einen Karren mit einem Pferd, einen Hasen, einen Bären und eine geladene Kanone. Sagt mir, wo der Räuber in dem Wald verschwand, und ich will Euch das Kind wieder herbeischaffen, wenn es noch lebt, so wahr ich Lafy heiße!«

Man verschaffte dem Soldaten alles, was er verlangte. Dieser nahm Kanone, Bären und Hasen zu sich auf den Karren und fuhr in den Wald hinein. Neun Tage lang irrte er in demselben herum. Plötzlich kam er vor ein altes schwarzes Schloß und glaubte, eine Frauengestalt an einem Fenster zu bemerken. Er hatte sich nicht getäuscht; denn als er näher hinzufahren wollte, bedeutete ihm ein wonnigliches Mädchen, wegzubleiben und etwas zu warten; denn es sei noch nicht alles im Schlosse, wie es sein sollte, um ihn zu empfangen.

Lafy folgte der Weisung des Mädchens, das ihn nach einiger Zeit zurück rief und nach der Ursache und dem Zwecke seines Kommens fragte. Der Soldat erzählte der Jungfrau alles und war recht froh zu erfahren, daß er die Tochter seines Hauptmanns vor sich habe. Als er aber sagte, daß sie nun mit ihm zu ihren Eltern zurückkehren werde, versetzte sie traurig: »Ich ginge so gerne mit, lieber Alter! Doch es kann nicht sein! Ich lebe hier mit Teufeln; und derjenige von ihnen, der mich geraubt, würde uns auf der Flucht bald wieder einholen und mich aufs Schloß zurückbringen! Mit dem[85] Tode müßten wir beide mein Entfliehen büßen!«

Der alte Sergeant ließ sich durch nichts abschrecken; er sprach der Jungfrau Mut zu und versicherte, er fürchte alle Teufel zusammen nicht, und sie solle nur dreist den Versuch machen, mit ihm zu fliehen. Die Maid war das gern zufrieden und sprach: »Dann entfernt Euch jetzt, guter Alter, und kommt nach einer Stunde wieder! Dann haben sämtliche Teufel, die nun jeden Augenblick für einige Minuten zurückkehren können, das Schloß verlassen, um ihre Runde durch die Welt zu machen!«

Der biedre Sergeant fuhrwerkte nun zum Zeitvertreib eine Stunde im Wald umher und kehrte dann nach dem Teufelsschloß zurück. Das Mägdelein setzte sich auf den Karren. Lafy deckte es mit seinem Mantel zu und fuhr mit ihr fort gen Habich.

Als sie eine Strecke weit gefahren waren, kam auf einmal ein Teufel herbeigerauscht; der schnaufte vor lauter laufen wie der Sturmwind und fragte den Soldaten, was er auf seinem Karren habe. »Das geht dich halt nichts an!« sagte Lafy und fuhr weiter, ohne sich mehr um den Teufel zu kümmern. »Wenn du es mir nicht sagst,« schrie wütend der Böse, »so will ich dich zerreißen!« – »Ei nun, wenn du es denn mit aller Gewalt wissen mußt,« versetzte Lafy, »so wende dich hier an mein Brüderchen! Lauf' demselben nach, so wirst du schon erfahren, was du zu wissen wünschst!« Dann ließ er den Hasen vom Karren hinab springen, und der Teufel eilte demselben nach. Inzwischen trieb Lafy sein Fuhrwerk weiter.

Bald darauf kam der Teufel wieder und sprach ärgerlich: »Hör', Männchen, ich habe dein Brüderchen nicht einholen können; und du mußt mir jetzt sagen, was du auf deinem Karren hast, sonst werde ich dir den Hals umdrehen!« – »Wenn du das thun willst, lieber Teufel, so mußt du zuvor noch mit meiner Großmutter reden!« sagte Lafy und[86] ließ den Bären vom Karren springen. Der Bär aber verstand keinen Spaß und sprang dem Teufel, als derselbe auf ihn zukam, an den Hals, drückte ihn so herzhaftig an seine zottige Brust, daß dem armen Teufel alle Rippen und Knöchelchen im Leibe krachten. Dann zerkratzte er ihn so gewaltig mit seinen breiten Tatzen, daß dem Schwarzen die Haut in langen Striemen am Leib herunter hing. Der Teufel war am Ende froh, als er sich von dem Bären loswinden und entwischen konnte. Meister Petz schmunzelte ganz vergnügt, als er den zerrissenen Teufel fortlaufen sah. Behaglich knurrte er etwas vor sich hin; dann trollte er sich auch von dannen und kam nicht mehr wieder.

Ehe der Teufel seine zerfetzte und zerschundene Haut mit Salbe bestrichen und allerlei Pflastern geflickt hatte, waren die Flüchtlinge schon weit, weit weg. Ächzend und stöhnend lief ihnen der Teufel nach und sagte zu dem schlauen Sergeanten: »Nun Spaß beiseite, du alter Graukopf! Deine Großmutter hatte mir nichts sagen wollen, da habe ich sie totgeschlagen. Entweder sagst du mir, was du auf deinem Karren hast, oder ich erwürge dich!« – »Nunu! Nur nicht so schnell, lieber Freund!« erwiderte Lafy und lachte heimlich, als er den ganz mit Heilpflastern bedeckten Körper des Lügners sah. »Zuvor mußt du dich an die ganz Alten wenden, ehe die Reihe an mich kommt! Da in der hinteren Ecke des Karrens hockt mein Großvater; der wird dir schon sagen, was du zu wissen begehrst, wenn du ihn freundlich darum bittest; denn er ist ein sehr gefälliger Mann. Doch halte deinen Mund dicht an sein Ohr; der gute Alte ist etwas taub!« – »Wohlan, wir wollen sehen!« rief der Teufel. Dann eilte er hinter den Karren, hielt seinen Mund dicht vor das Kanonenrohr und schrie hinein: »He! Alter! Was habt ...?« In diesem Augenblick[87] brannte Lafy die Kanone los, und der dumme Teufel flog weit über Bäume und Berge dahin; und ehe der arme Schelm seine mehr oder weniger auseinander geratenen Glieder wieder zusammengerafft und in Ordnung gebracht, hatte Lafy mit dem Mädchen Alt-Habich erreicht.

Die glücklichen Eltern konnten nun ihr Töchterchen wieder herzen und küssen wie ehedem, und soviel sie wollten. Daß das Wiedersehen aufs herrlichste gefeiert wurde, versteht sich von selbst. Der alte Lafy blieb auf dem Schlosse, so lange er lebte und fühlte sich bei seinem guten Hauptmann so glücklich, daß er mit keinem König hätte tauschen wollen.

Quelle:
Warker, N.: Wintergrün. Sagen, Geschichten, Legenden und Märchen aus der Provinz Luxemburg. Arlon: Willems, 1889/90, S. 82-88.
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